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auch die Küsten verlassen und das hohe Meer gewinnen zu können, weiter vervollkommneten. Es ist staunenswerth, wie weit man es in der Kunst, ohne Theorie Schiffe zu bauen, brachte, wenn man bedenkt, dafs es erst unser Jahrhundert, dank der Forschungen einer Reihe von Gelehrten, wie Chapmann, Bourgois, Rankine, Fronde u. A., dahin gebracht hat, rechnerisch aus dem Linienrifs eines Schiffes seine Stabilität, sein Verhalten in See, den Wasserwider stand bei gewissen Geschwindigkeiten vorher genau ermitteln zu können. Heute ersetzt eben die Theorie, die exacte Wissenschaft, was man früher nur durch die Erfahrung mühsam gewinnen konnte, und es ist höchst interessant, wenn man heute die Pläne oder Modelle von Seeschiffen früherer Jahrhunderte betrachtet und aus ihnen ersieht, wie richtig man seiner Zeit, allein durch die Er fahrung geleitet, dasjenige machte, was man heutigen Tages nur glaubt mittels der exacten Wissenschaft machen zu können. Auch auf diesem Gebiete merkt man den Einflufs unseres Jahr hunderts, das zur Wissenschaft erhoben, was früher nur Handwerk war. Sie wissen wohl alle, dafs man vor mehreren Jahren zur 400jährigen Jubelfeier der Entdeckung Amerikas in Europa die Schiffe nach alten Zeich nungen getreu reconstruirte, mit denen Columbus einst seine erste Fahrt nach Amerika machte. Die nämlichen Schiffe gewannen heute noch ebenso sicher den Ocean und kamen ebenso gut drüben an als einst. — Ja noch mehr, man baute sogar nach den durch Ausgrabungen ge wonnenen alten Modellen ein offenes Wickinger- schiff, und selbst dieses Boot bewährte sich auf seiner Fahrt nach Amerika in Sturm und Wetter ebenso sicher, wie dies einst der Sage nach seine Modellbrüder in der Urzeit gethan haben sollen. Gehen somit die Behauptungen einzelner Gelehrter dahin, dafs Amerika schon lange Jahrhunderte vor Columbus von Europäern, den Normannen, Friesen, Wickingern entdeckt worden ist, so giebt diese Fahrt des modernen Wickingerschiffs über den Ocean für die Möglichkeit solchen Unter nehmens eigentlich den besten Untergrund, zumal wir wissen, dafs Normannen, Friesen, Wickinger die kühnsten Seefahrer gewesen sind. — Wo blieben diese verwegenen Seefahrer Europas ? Erlagen sie jenseits des Oceans im Kampfe, schlug die Liebe sie dort in Banden oder fanden sie den Rückweg nach Europas Gestaden nicht wieder? Wer vermag es zu sagen? Es klingt in der heutigen Zeit, in der unsere Regierung, an deren Spitze sogar unser Kaiser Wilhelm II., Alles daran setzt, den deutschen Schiffbau zu fördern und das allgemeine Interesse dafür rege zu machen, nicht recht glaublich, und doch ist es so, dafs Deutschland bis zum späteren Mittelalter eine hochentwickelte Schiff baukunst bereits einmal gehabt hat. Die Machtstellung nämlich, welche sich der deutsche Handel damals in der Hansa verschaffte, brachte es naturnothwendig mit sich, dafs auch der deutsche Schiffbau in vollster Blüthe stand und, dank dem damaligen noch sehr grofsen Holz reichthum, eine nicht zu unterschätzende Einnahme quelle bildete; denn Holland, England, ja selbst Frankreich liefsen vielfach ihre Kriegs-Koggen und Orloggschiffe in Deutschland bauen. Der alte Hanseat war ein welterfahrener, prak tischer Kaufherr, der bereits die Erkenntnifs hatte, zu der wir heute gekommen sind, dafs ein blühender überseeischer Handel zur Eifersucht reizt und hieraus Streitfragen mit Nachbarn entstehen können, die nicht durch Handelsverträge, auch nicht durch freundliches Zureden oder diplomatische Verhandlungen geschlichtet, sondern letzten Endes nur mit Waffengewalt zur See beglichen werden können. Wir werden dies bei der jetzt zwischen Spanien und Nordamerika schwebenden „cuba- nischen Streitfrage“ wahrscheinlich wieder einmal recht deutlich bewahrheitet sehen. — Mit dem Verfall der Hansa, mit Beendigung des 30jährigen Krieges und der durch letzteren geschaffenen Zerrissenheit und Ohnmacht Deutsch lands war auch der Handel von Deutschlands Küsten an andere Länder übergegangen — ver fiel der einst so blühende Schiffbau an Deutsch lands Küsten nahezu vollkommen. Als daher der Grofse Kurfürst, angeregt durch die Eindrücke, die er in seiner Jugend in Holland von der Macht eines überseeischen Handels ge wonnen hatte, für sein kleines Reich versuchen wollte, wieder einstige maritime Bestrebungen wach zurufen, fand er zunächst unter seinen Unter- thanen kein Verständnifs mehr dafür, denn der alte hanseatische Unternehmungsgeist war längst im Volke untergegangen, einem kurzsich tigen, engherzigen Krämergeiste gewichen, und er war gezwungen, auch seine Fregatten in Holland bauen bezw. kaufen zu lassen, da man solche an Deutschlands Küsten nicht mehr bauen konnte, denn Blüthe und Verfall des Handels sind un zertrennlich mit Blüthe und Verfall des Handwerks und Gewerbes. Es ist heute nicht Zeit und Gelegenheit, dieser hochinteressanten Epoche näherzutreten und den Gründen weiter nachzuforschen, weshalb jenes kühne Unternehmen des Grofsen Kurfürsten ein so tragisches Ende finden mufste, obwohl gerade diese Mifserfolge so recht geschaffen sind, in unserer heutigen Zeit stolzen Wiederaufblühens deutscher See- und Handelsmacht lehrreich erörtert zu werden. Ich habe vielleicht ein anderes Mal unter Ihnen Gelegenheit, eingehender darüber zu sprechen, und darf mich heute kurz dahin fassen, dafs meiner Ansicht nach der Kurfürst sein Geld zu sehr in directe Handelsunternehmungen steckte, und daher für die bewaffnete Macht zur See — durch seinen Marineminister, den bekannten hollän-