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thatsächlich eingeräumt sind. Solche Vortheile stehen und fallen also mit den mit den Dritten getroffenen Vereinbarungen. Der Umstand, dafs der Meistbegünstigungsvertrag dem Gegencontra- henten ohne jede Gegenleistung jeden Vortheil sichert, welcher später einem anderen Staate viel leicht nur gegen Gewährung besonderer Con- cessionen zugestanden wird, hat in neuerer Zeit besonders lebhaft die Frage erörtern lassen, ob es überhaupt angezeigt sei, Meistbegünstigungs verträge zu schliefsen. Es ist bekannt, dafs in dem Frankfurter Friedensvertrag vom 10. Mai 1871 im Artikel 11 Meistbegünstigung ausbedungen ist. Diese Bestimmung hat zweifellos dem Vorschub geleistet, dafs seitdem fast in allen Handelsver trägen die Meistbegünstigungsclausel Aufnahme ge funden hat. Wenn ich in Kürze die historische Entwick lung der deutschen Tarifgesetzgebung hier berühren darf, so will ich mich darauf beschränken, hervor zuheben, dafs durch das preufsische Tarifgesetz vom 26. Mai 1818 im Princip die Einfuhr jeder fremden Waare, abgesehen von wenigen Monopol gegenständen, nur gegen Entrichtung eines mäfsi- gen Zolles, um dadurch die inländische Gewerb- samkeit gebührend zu schützen, gestattet war. Diese Tarifgesetzgebung ist in den Zollverein über gegangen, anfangs durch Erhöhung verschärft, später aber in der Periode von 1851 bis 1861 wieder durch Zollermäfsigungen gemildert worden. Die politische Beziehung Preufsens zu Oesterreich, das Streben des ersteren, sich von dem öster reichischen Einflufs frei zu machen, veranlafste Preufsen, eine freihändlerische Richtung einzu schlagen, welche in dem Handelsverträge mit Frankreich vom 29. März 1862 zum Ausdrucke kam. Dieser Vertrag erschien Preufsen darum nothwendig, um dem jedem Zollvereinsstaate zu stehenden Veto aus dem Wege zu gehen und auf diese Weise es zu erreichen, dafs die in jenem Vertrage vorgesehenen Zollherabsetzungen schliefs- lich als allgemein gültige in dem Deutschen Zoll tarif vom 11. Juli 1865 Aufnahme fanden. Seit 1866 trat eine wesentliche Veränderung in der Organisation des Deutschen Zollvereins ein, und schliefslich wurde durch Artikel 4 und 11 der Verfassung des Deutschen Reiches der Kaiser unter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages zum Abschlufs von Handelsverträgen ermächtigt. Als das charakteristische Resultat der Epoche von 1850 bis 1865 ist zu bezeichnen: Reform des Zolltarifs in freihändlerischem Sinne unter der Annahme des Princips, dafs Alles zollfrei eingeht, was nicht als speciell zollpflichtig bezeichnet ist, Abschlufs des Handelsvertrages mit Frankreich und Ausscheidung Oesterreichs aus den bisherigen engeren Verhältnissen zum Zollverein unter Ab schlufs eines besonderen Handelsvertrages. In dem Vertrage mit Oesterreich fand eine Ermäfsigung des Roheisenzolles auf 1 Mark statt, ferner eine Herabsetzung der Zölle auf Wein, Vieh, verschie dene Eisen- und Glaswaaren u. s. w. sowie Zoll freiheit auf landwirthschaftliche Producte. Alles dies bis 1877, bis wohin der Zollverein als völker rechtlicher Verein abgeschlossen war. Seit dem Jahre 1869 geht die Regierung wie die Volks vertretung und vor allem die damals völlig radical frei händlerisch gesinnte deutsche Landwirthschaft immer weiter in der autonomen Zollreform freihändlerisch vor durch Zollermäfsigung und durch bewufste Umwandlung aller Eingangszölle in reine Finanz zölle, so dafs im Jahre 1873 vor allem auf Be treiben preufsischer Grofsgrundbesitzer wie v. Below, v. Wedel-Malchow u. s. w. die völlige Aufhebung der Eisenzölle, Zölle auf landwirthschaftliche Ma schinen u. s. w. verlangt wurde, auch bezüglich des Roheisens zur Ausführung gelangte, während bezüg lich der übrigen Eisenartikel der Fortfall erst vom 1. Januar 1877 und bis dahin eine fortschreitende Zollermäfsigung beschlossen ward. Noch im Jahre 1876 wird ein Antrag Windthorsts, den Wegfall der Zölle für verarbeitetes Eisen am 1. Januar 1877 nicht eintreten zu lassen, vom Reichstage abge lehnt, so dafs das Jahr 1877 als der Höhepunkt der thatsächlichen Durchführung des Freihandels in Deutschland bezeichnet werden kann. Die schwergeschädigte Eisenindustrie war 1873 in eine böse Krisis eingetreten, welche durch die Regierung noch insofern erheblich verschärft wurde, als dieselbe nach Eintritt der Eisenkrisis mit Be stellungen für Eisenbahnen, mit denen sie früher gedrängt hatte, völlig zurückhielt und ungeachtet des lebhaften Protestes der Eisenindustriellen am 12. Juli 1874 noch einen 20procentigen Fracht zuschlag auf die Eisenbahntarife anordnete. Die Eisenindustriellen fanden Unterstützung an den Baumwollenspinnern und Sodafabricanten, ferner in den vor den Consequenzen des Freihandels be sorgten Zuckerfabricanten, endlich den Lederfabri canten, den Leinenindustriellen und den über die Aufhebung des Lumpenausfuhrzolles sich beklagen den Papierfabricanten. Alle diese schutzzöllnerisch gesinnten Industriellen waren 1875 bis 1876 zu einem Gentralverband deutscher Industriellen zu sammengetreten, der mit aller Energie und mit grofsem Geschick unausgesetzt bei der Reichs regierung dahin zu wirken suchte, dafs bei den handelspolitischen Mafsnahmen die Interessen des vaterländischen Gewerbfleifses — oder wie man das heute bezeichnet, die nationale Arbeit — in rationellerer Weise, als es bisher geschehen, ge wahrt werden möchten. Neben diesem Centralverbande war die Ver einigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer entstanden. Allerdings ursprünglich nur, um einer gemeinsamen politisch conservativen Gesinnung Vertretung zu schaffen. Im dem Statute von 1876 hatte diese Vereinigung noch den Satz: *