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Einige neuere französische Brückenbauten. Von Frahm, Eisenbahn-, Bau- und Betriebsinspector. Das auf dem Gebiet des Verkehrswesens einen hohen Rang einnehmende Frankreich hat von jeher dem Brückeningenieur eine Fülle der mannig faltigsten Aufgaben dargeboten. War es in der letzten Hälfte des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts die Herstellung schiff barer Kanäle und fahrbarer Strafsen, die viele Brückenbauten erforderlich machte, so ist im weiteren Verlaufe des gegenwärtigen Jahrhunderts besonders die stete Fortentwicklung des Eisenbahn wesens eine Ursache zur Ausführung noch zahl reicherer Brückenconstructionen gewesen. Wenn man diesem weitgehenden Bedürfnifs nach Brücken die Thatsache gegenüberstellt, dafs die Technik im allgemeinen, besonders aber die Kunst des Ingenieurs sich in Frankreich schon mehr als 100 Jahre einer achtunggebietenden Stellung im Staat und der Gesellschaft erfreut, so darf es nicht wundernehmen, dafs gerade der Brückenbau frühzeitig eine hohe Blüthe in diesem Lande er reicht hat. Solange dabei der unser modernes Culturleben beherrschende Baustoff Eisen noch nicht seine jetzige Bedeutung erlangt hatte, kam den Franzosen der grofse Reichthum an natür lichen Bausteinen aller Art und das Vorhanden sein vortrefflicher Bindemittel zur Ausführung massiver Brückenbauten noch besonders zu statten. Daher ist es gekommen, dafs auf dem Gebiet der Herstellung steinerner Brücken die französischen Meister lange Zeit vorbildlich gewesen sind. Als der spröde ungefügige Stein in dem elastischen biegsamen Eisen einen gefährlichen Nebenbuhler erhielt, und zwar zunächst in dem seiner Natur noch ziemlich nahestehenden Gufs- eisen, konnte es nicht fehlen, dafs die Franzosen sich auch die Einführung dieses neuen Baustoffes in die Brückenbaupraxis angelegen sein liefsen. Wir sehen daher eine Menge gufseiserner Brücken in Frankreich entstehen. Das Gufseisen mufste bekanntlich bald dem zähen Bruder Schmiedeisen weichen; auch für seine Aufnahme war der Boden gut geebnet. Denn wir wissen, dafs dort neben der Praxis auch die Theorie nicht vernachlässigt wurde. Die Pflege der mathematischen Wissen schaften, das allmähliche Hinüberleiten der For schung aus der rein theoretischen Auffassung der Ingenieur-Mechanik zu der Praxis der Versuche, mufs zum nicht geringsten Theil als Verdienst der Franzosen hingestellt werden. Die Anwendung des Schmiedeisens verlangte aber beides: Theorie und Praxis. Gute Rechner und tüchtige Versuchs techniker mufsten zusammen arbeiten, um diesem neuen Material seine jetzige universelle Stellung zu erobern. Das brachten die französischen In genieure wohl fertig, daher haben sie in der ersten Zeit des Baues schmiedeiserner Brücken auch noch eine gewisse führende Stellung im Brückenbau eingenommen. Im Laufe der Zeit hat sich dies nun geändert. Auf dem Gebiet der Praxis waren es zuerst besonders die Engländer, nachher die Amerikaner, dieGrofsartigeres leisteten; in der sorgfältigen Ausgestaltung der Rechnungs methoden, in der Formgebung der Tragconstruc- tionen und Durchbildung ihrer Einzelheiten nahmen die Deutschen bald den ersten Rang ein. In neuerer Zeit scheint man sich nun in Frankreich mehr Mühe zu geben, den alten Ruhm wiederherzustellen. Dabei ist es für uns Deutsche interessant und erhebend zugleich, wenn wir sehen, dafs man anfängt, deutsche Vorbilder mehr und mehr zu benutzen, deutsche Rechnungsweisen einzuführen. In Nachfolgendem sollen mehrere Brücken bauten der Neuzeit, von denen auf einer’ Studien reise nach Frankreich Kenntnifs genommen wurde, beschrieben werden, und wird man dabei das zuletzt Gesagte theilweise bestätigt finden. Zur Ergänzung des an Ort und Stelle gesammelten Materials sind mehrere Aufsätze in den „Annales des ponts et chaussees“ 1898, im „Genie civil“ 1899, im „The Engineering Magazine“ 1899, im „Engineering“ vom 21. Juni 1899 und in der „Revue internationale des; Expositions“ 1899 (rue Royale 23 Paris) benutzt worden, denen auch die Abbildungen zum Theil entnommen worden sind. Ein ausgedehntes Feld seiner Thätigkeit hat der Brückeningenieur in Frankreich bekanntlich stets in der Landeshauptstadt selbst gefunden. Die Lage der Stadt Paris auf beiden Ufern der Seine, der Umstand, dafs gerade in der Nähe des Flusses die Hauptverkehrs-Mittelpunkte sich befinden, erheischte natürlich zahlreiche Ueber- brückungen. Viele der früher gebauten Brücken sind aber nach und nach ein wirkliches Verkehrs- hindernifs geworden. Denn als man noch aus- schliefslich auf Steinmaterial angewiesen war und die Gewölbetheorie noch nicht auf ihrer jetzigen Höhe stand, ging man aller Kühnheit in der Construction selbstverständlich aus dem Wege, baute in der Väter Weise nur Bögen mit mäfsiger Spannweite und grofsem Pfeil. Die geringe Spann weite hinderte natürlich die Schiffahrt; der grofse Pfeil machte steile Rampen zur Verbindung mit den Uferstrafsen erforderlich, beides Momente, die dem nach und nach in grofsartiger Weise sich entwickelnden Schiffahrts- und Strafsenverkehr- sehr hinderlich waren. Man hat deshalb bereits