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1. December 1899. Der Arbeiterausstand in Creusot u. s. w. Stahl und Eisen. 1099 einstellungen erwachsen mufs. Die Erwägungen zeigen, dafs der Schiedsspruch durchaus nicht die Creusot-Gesellschaft ins Unrecht setzt, und rechtfertigen den Widerstand gegen übertriebene Forderungen, welche das Parlament von 1884 jedenfalls nicht stillschweigend in das Gesetz über die Arbeitersyndicate aufnehmen wollte. Zum Trost für die Agitatoren hat Waldeck-Rousseau angekündigt, die Regierung beabsichtige, der Kammer ein Gesetz über die zweckdienliche Aus führung des Arbeitersyndicats-Gesetzes zu unter breiten. Wir können darüber nichts Näheres sagen, ehe wir Genaueres wissen. Von Bedeutung ist für den Augenblick nur das Factum, dafs die Regierung als Schiedsrichter in einer so wichtigen Angelegenheit nicht entschieden auf die Seite des hartnäckigen und heimlich wirkenden Syndicats trat. Das Ministerium hat wenigstens gelernt, wie man einen so verhängnifsvollen Fehler ver meidet. Waldeck-Rousseaus Entscheidung hat trotz des Jubels der socialistischen Presse, der zu geräuschvoll ist, um aufrichtig sein zu können, die Creusot Compagnie vor den so lange gegen sie gerichteten Wühlereien beschützt, ohne doch das Gesetz von 1884 anzutasten, an dessen Aufrecht erhaltung dem Buchstaben sowie dem Geiste nach Unternehmer und Angestellte ein gleiches Interesse haben.“ So weit die „Rpublique Franaise". Lassen Sie mich noch eine andere französische Prefsstimme in Kürze anführen, die den Berührungspunkt zeigt, den der Streik in Creusot mit der heute hier behandelten Frage des Schutzes der Arbeits willigen hat. Im „l’Echo des Mines et de la Metallurgie“, das von dem ehemaligen radicalen Deputirten Francois Laur redigirt wird, ist eine interessante I Betrachtung über den in Rede stehenden Ausstand enthalten, die sich „Philosophie de la Greve de Creusot“ betitelt und die zunächst darauf hinweist, dafs mit dem Greusoter Ausstand die rein poli tischen Streiks wieder begonnen haben, die man in Frankreich für beendet hielt. „Die grofsen Er eignisse von La Ricamarie, voh Montceau-les-Mines, von Anzin, kommen wieder zum Vorschein, wie unter dem zweiten Kaiserreich bei seinem Verfall. Zweites Merkmal ist die Plötzlichkeit und Einmüthigkeit der Erhebung. Nichts vorher Ab gekartetes , nichts Vorbereitetes. Und dennoch, innerhalb weniger Stunden ist Jeder bereit und gehorcht Jeder. Also herrscht Disciplin in dieser Arbeitermasse, und die Streikleiter finden unbedingten Gehorsam. Das kommt daher, dafs die politischen Be strebungen dahinterstecken, stets wachsam, ge schmeidig, beredt und berückend. „Das Ganze wird mit einer Candidatur enden“, hat ein geistreicher Mann gesagt. Und in der That ist es tiefbetrübend bei diesem industriellen Drama, dafs wahrscheinlich nur Hr. Maxence | Roldes die dürftige Frucht der ohne Unterschied durch Jedermann in Creusot verlorenen Millionen einheimsen wird. So viel hat man gelitten, so viel Reichthümer und Kräfte vergeudet, die bewaffnete Macht der Präfecten auf die Beine gebracht, ein ganzes Ministerium in Bewegung gesetzt, den Schieds spruch eines Ministerpräsidenten angerufen, — und das alles, um einen neuen Abgeordneten oder Generalrath zu schaffen; .... „ridiculus mus!“ Das dritte Merkmal findet das genannte fran- । zösische Journal darin, dafs bei Streiks die Re- gierungsintervention immer häufiger wird. „Ist das nun ein Vortheil oder ein Nachtheil?“ Im vorliegenden Falle war der Schiedsspruch Waldeck-Rousseaus sicher ausgezeichnet, ja, man kann sagen, sogar die einzige Lösung. Um diese einfache Frage beleidigter Eigenliebe auf ihre wahren Dimensionen zurückzuführen, bedurfte es Jemandes, der mit geschickter Hand die Eigen liebe zu schonen verstand. Aufserdem mufste er in Creusot Ansehen besitzen, und daher war es sehr geschickt von Viviani und Genossen, den gröfsten Kunden von Creusot zum Schiedsrichter zu wählen. Man hat aber nicht nur diese gegenwärtige Lösung, man hat auch die Zukunft zu beachten. Die Regierungsintervention in sieter Wieder holung kann keine Lösung, kein modus vivendi sein. Selbst ein erfolgreicher Schiedsspruch reicht häufig nicht hin, die Erbitterung zu beseitigen, die die Gonflicte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erzeugen, besonders dann, wenn die absolut unvereinbarlichen Ansprüche eines Syn- dicals, das seine Autorität geltend machen, und eines Arbeitgebers, der die seine ungeschmälert erhalten will, aufeinander stofsen. Nur zu gut wissen wir, dafs eine solche Situation in unseren grofsen Industriecentren nicht selten ist, und es vergeht kein Monat, wo nicht ein so wenig stabiler Gleichgewichtszustand gestört wird. In welcher Lage wird nun die Regierung beim nächsten Streik sein? Durch den letzten Schiedsspruch ist sie engagirt, sie hat versprochen, ein Gesetz einzubringen; ohne jeden Zweifel wird sie es auch thun, aber wird das Gesetz durchgehen? Wird die Discussion darüber besser sein und wird es an den Senat gelangen? Wir bezweifeln es. Der ganze Schiedsspruch ist so im Grunde das Versprechen, ein Gesetz einzubringen. Bricht ein Streik aus, ohne dafs dies Gesetz verabschiedet ist, wer wird daran schuld sein? Auf jeden Fall werden die Arbeiter Verrath schreien, von Seiten der republikanischen Regierung und, natürlich, des Arbeitgebers. Und damit haben wir wieder den Gonflict, tragischer als je. Kurz, wir brauchen etwas Anderes, als einen Scheinfrieden und einen unbestimmten Gesetz entwurf, wir müssen die gründlich gestörte Ein-