Volltext Seite (XML)
I. December 1899. Der Arbeiterausstand in Creusot u. s. w. Stahl und Eisen. 1095 Was die Gleichheit für alle Arbeiter u. s. w. anbelangt, so sind es Fabeln, dafs eine besondere Hülfskasse u. s. w. von der Verwaltung eingerichtet worden sei. Was aber das Verlangen nach Aufhebung der Accordarbeit betrifft, so kann demselben nicht entsprochen werden. Das Recht der Arbeiter, Syndicate zu bilden, wird anerkannt.“ Es folgte darauf das nachstehende Schreiben des Streikcomites an Hm. Schneider: „Wir verlangen eine vollständige, contradic- torische Enquete, welche die Berechtigung unserer Reclamationen darlegen wird. Ferner: 1. Die Erfüllung der Versprechungen vom 2. Juni, die Löhne betreffend. 2. Keiner von uns darf das Object von Denun- , ciationen aus politischen Anlässen sein. 3. Von den Werkmeistern und Betriebsdirectoren darf (bei Strafe) kein Unterschied zwischen organisirten und nichtorganisirten Arbeitern gemacht werden. 4. Jeden Monat findet eine Besprechung mit Hrn. Schneider oder einem Vertreter von ihm zur Erledigung der eingegangenen Be schwerden statt. 5. Wegen des Streiks darf niemand entlassen werden.“ Hr. Schneider antwortete dem Präfecten: „Unter dem mir übergebenen Material befinden sich ganz neue Beschwerden; diese werde ich, wie neulich bemerkt, nicht prüfen. Ich bin bereit, wegen Erörterung der von den Arbeitern erhobenen Beschwerden drei Delegirte der Arbeiter zu empfangen.“ Es folgte das Schreiben des Hrn. Schneider an den Präfecten über die Gonferenz mit den Arbeiter-Delegirten, in welcher das Schreiben des Streikcomites wie folgt erledigt wird: 1. „Die Vereinbarung vom 2. Juni ist streng eingehalten worden. 2. Der am 14. Juli veranstaltete Aufzug war keine politische Sache, sondern eine gegen die Fabrik gerichtete Schmähung. 3. Ich mache keinen Unterschied zwischen or ganisirten und nicht organisirten Arbeitern. 4. Meine Arbeiter wissen, dafs ich jeden Augen blick zu sprechen bin. 5. In Bezug auf diesen Punkt behalte ich mir volle Freiheit vor.“ Ferner konnte Hr. Schneider die von den Arbeitern wegen der Lohnberechnung vorgebrach ten Beschwerden als berechtigt nicht anerkennen. Am 28. September erfolgte sodann an den Mauern von Creusot der nachfolgende Anschlag des Streikcomites: „An die Bewohner von Creusot! Dieser Anschlag hat zum Zweck, die Verant wortlichkeit festzustellen. Unsere Kameraden bleiben fest; denn sie wissen, dafs auf ihre gerechten Beschwerden der schlecht unterrichtete Chef nur verächtliche, ab schlägige Antworten hat. Dem ehrlichen und dauerhaften Frieden, welchen wir ihm vorschlagen, ziehen die Rathgeber des Hrn. Schneider den Kampf vor. Es sei! Wir nehmen ihn an. Wir haben ihn nicht gewollt; aber wir werden ihn bis zum Ende durchführen. Ihr wifst jetzt, auf welcher Seite das gute Recht ist; an Euch ist es jetzt, gegen die Ar beiter, Eure Mitbürger, Eure Pflicht zu erfüllen, indem Ihr sie unterstützt.“ Hr. Schneider antwortete mit folgendem Anschlag: „Seit 8 Tagen bin ich in Creusot. Ich habe die Reclamationen meiner Arbeiter erwartet. Ich habe die Beschwerden geprüft, welche mir vorgelegt worden sind. Ich habe nichts gefunden, was das schroffe Niederlegen der Arbeit erklären, noch weniger etwas, wodurch dasselbe gerechtfertigt werden könnte. Die Arbeit wird wieder aufgenommen werden: 1. sobald die Freiheit und Sicherheit der Arbeit gesichert sein wird, 2. sobald die Zahl der Gesuche um Wieder aufnahme der Arbeit zur Aufnahme des Be triebs genügen wird, 3. in dem Umfang, als der Zustand der Materialien und der Vorräthe dies gestatten wird. Ich wünsche im Interesse Aller, dafs dies bald geschehen möge.“ Der politische Charakter des Ausstandes trat nun mehr und mehr in die Erscheinung. Pariser Emissäre erschienen in Creusot, um dort eine Art Jacobinerherrschaft zu etabliren und nach Ver dächtigen, d. h. nach Arbeitswilligen zu schnüffeln. Da in Bezug auf die Weltausstellung die höchsten Hoffnungen auf Creusot gesetzt werden, so glaubte die Socialdemokratie, einen unwiderstehlichen Druck auf das Ministerium ausüben zu können. Der Chef redacteur der „Lanterne“, Socialdemokrat Viviani, reiste nach Creusot und bewies den Ausständigen in einer Rede, dafs sie nicht für ihr berufliches Interesse kämpfen, sondern für die Gewissens freiheit und die Rettung der republikanischen Staatseinrichtungen. Am 4. October berichtete Waldeck-Rousseau im Ministerrath über die Verhaltungsmafsregeln,