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1094 Stahl und Eisen. Der Arbeiterausstand in Creusot u. s. w. 1. December 1899. „ es einen festen Platz im industriellen Frankreich gab, welcher den Wortführern des Proletariats unerschütterlichen Widerstand zu leisten imstande war, so war es Creusot! Die Ge- sammtanlage des Etablissements schien darnach angethan, jeden Ansturm des Socialismus abzu schlagen. Die vielen tausend Arbeiter mit ihren Angehörigen waren seit drei Generationen durch Bande der Liebe und Treue an die Familie Schneider geknüpft; unentwegt und erfolgreich hatten die Besitzer darnach gestrebt, das Wohlergehen ihrer Angestellten zu fördern und sie an ihr Unter nehmen zu fesseln. Es soll nicht behauptet werden, dafs die Schneider in ihren philantropischen Be strebungen weiter gegangen seien, als ihr eigener Vortheil es erheischte. Aber wenn sie auch niedrige Löhne zahlten, — wir wissen nicht, dafs ihre Lohn sätze geringer waren, als die an anderen fran zösischen Werken üblichen —, ihre Sorge für ihre Arbeiter und deren Angehörige war eine unaus gesetzte. Sie gründeten und unterhielten Schulen und Krankenhäuser, richteten Altersversicherungen u. a. unabhängig von den von Staats wegen ge troffenen weitgehenden Mafsnahmen ein. Die Kran ken werden in ihrer Wohnung verpflegt, mehrere hunderttausend Pfund werden jährlich für Wohl fahrtseinrichtungen verausgabt. Die Leute können ihre Ersparnisse bei der Gesellschaft deponiren, zur Erbauung eigener Wohnstätten werden bereit willig Gelder vorgestreckt, die Miethen sind im Vergleich mit den gebotenen Vortheilen ungemein niedrig, kurz, die Familie Schneider hat in jeg licher Hinsicht das Ihrige gethan, um die Inter essen all’ derer, für deren Wohl sie einsteht, zu fördern. Kein Wunder, dafs die französische Social demokratie einen Ehrgeiz darin suchte, Creusot zum Ziel ihrer Angriffe zu machen. Dafs sie damit Erfolg halte, ist ein Beweis für die wachsende Macht und Kühnheit dieser Partei.“ — Wir haben es hier also mit einem Ausstande zu thun, der, wie Sie sehen, ohne Ursache in Scene gesetzt und sorgsam vorbereitet in die Reihe der auf rein politischen Gründen beruhenden Aus stände gehört, deren Aera man in Frankreich für beendet hielt. Am Tage nach der Arbeitsniederlegung machte das Syndicat der Arbeiter in den Strafsen von Creusot folgenden öffentlichen Anschlag: „Aus Anlafs des letzten Streikes hat uns der Chef einen Zuschlag von 25 cts. bewilligt. Heule sind die Sätze für Accordarbeit überall herabgesetzt, selbst unter die alten Sätze. Der Chef gewährte uns auf sein Wort Gewissensfreiheit. Heute will man sie uns entziehen. Alle Tage erfolgen Herausforderungen. Unsere Reclamationen sind durch den Ober ingenieur der Werkstätte lächerlich gemacht worden. Dieser Mann wagt es, die Polizei in der Stadt und in der Fabrik zu spielen. Wir werden dies nicht dulden. In vollem Einverständnifs verlangen wir Alle vom Chef die Erfüllung der von ihm gemachten Versprechungen: Die Anerkennung des Syndicats, die Gewissens freiheit, wir wollen als freie Menschen leben; die Unterdrückung der geheimen Polizei, welche im grofsen seit dem letzten Streike organisirt ist. — Das Streikcomite appellirt an die proletarische Solidarität. Niemand wird die so gerechte Sache, die wir vertheidigen, verrathen.“ Durch den Unterpräfecten liefsen sodann die Arbeiter Hrn. Schneider ein Schreiben überreichen, in welchem sie ihre Forderungen ähnlich formulirten und die Abschaffung der Accordarbeit forderten. Der Unterpräfect selbst ersuchte Hrn. Schneider, Arbeiterdelegirte, an ihrer Spitze Hrn. Adam, den Secretär des Syndicats, zu empfangen. Hr. Schneider antwortete, er sei jederzeit zum Empfang der Arbeiter, aber nicht des Hrn. Adam bereit, da dieser kein Arbeiter der Fabrik sei. Als die Arbeiter ihre Forderung mit der Drohung wieder holten, dafs sie, wenn er Hrn. Adam nicht mit empfange, überhaupt keine Verhandlungen mehr führen würden, da eine Ablehnung, mit dem Syndicat zu verhandeln, eine Verletzung der Vereinbarung vom 2. Juni d. J. sei, erwiderte Hr. Schneider, er gestatte keiner, dem Werke nicht angehörenden Person, sich in die Sache zu mischen. Am 2. Juni habe er nur erklärt, dafs er vor wie nach seine Arbeiter empfange, gleichviel ob sie dem Syndicat angehören oder nicht; mit Unterhändlern werde er nicht verhandeln. Auf weitere Beschwerden der Arbeiter erwiderte Hr. Schneider, unter dem gleichzeitigen Nachweise, dafs auf Grund von 75 000 Abrechnungen für Accordarbeit seit dem 2. Juni d. J. sich nur sechs Reclamationen ergeben hätten, von denen sich nur eine als begründet herausstellte, das Nachfolgende: „Die am 2. Juni bewilligte Lohnerhöhung ist allen Arbeitern gewährt worden. Eine Gewissensfreiheit, unter der man das Recht versteht, auf der Strafse Betriebschefs oder Kameraden zu insultiren, kann ich nicht anerkennen. Es existirt keine geheime Polizei. Die drei Agenten, welche Erkundigungen wegen Unter stützungen u. s. w. einziehen müssen, sind Jeder mann bekannt. Zu der Entlassung von Beamten u. s. w. be steht kein Anlafs. Die zwei jungen Leute, welche behaupten, dafs sie ungerechterweise bestraft (entlassen) seien (sie sagen, sie hätten den Werkmeister Germain nicht beschimpft), sind wieder beschäftigt. Die Liste der Verdächtigen enthält nur be rechtigte Auskünfte und wird geheim gehalten.