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und dafs sie sich nur durch mildere Strafsätze von den damaligen Vorschlägen unterscheidet. Es ist das Verdienst der „Deutschen Volkswirthschaft- lichen Gorrespondenz“, zuerst auf diese Thatsache hingewiesen zu haben, wenn sie schreibt: „Vom Schutze der Goalitionsfreiheit an sich handeln nur die §§ 1 bis 6 der Vorlage, während §§ 7 bis 10 sich mit öffentlicher Zusammenrottung, der öffentlichen Sicherheit, der gemeinen Gefahr für Menschenleben und Eigenthum u. s. w., also mit Dingen befassen, die mit dem Goalitionsrecht nichts zu thun haben und nur in Frage kommen können, wo es aus Anlafs eines Streiks zu be sonders schweren Ausschreitungen gegen die öffent liche Ordnung käme. Der Kern der Vorlage steckt also in den §§ 1 bis 6. Diese enthalten aber sachlich genau dasselbe wie der Berlepschsche Vorschlag von 1890; der einzige Unterschied ist, dafs die Strafandrohung der heutigen Vorlage milder ist als die von Hrn. v. Berlepsch als an gezeigt erachtete. Nach geltendem Recht lautet die Strafandrohung des § 153 auf „Gefängnifs bis zu drei Monaten, sofern nach allgemeinem Straf gesetz nicht eine höhere Strafe eintritt.“ Der Berlepschsche Vorschlag wollte eine sehr erheb liche Verschärfung, indem er „Gefängnifs nicht unter 3 Monate“ und für „gewohnheitsmäfsige“ Handlungen nicht unter 1 Jahr androhte. Die heute vorgeschlagene Strafe ist viel milder, mit Gefängnifs bis zu einem Jahre bemessen, während bei mildernden Umständen, die weder das geltende Recht noch Hr. v. Berlepsch zuliefs, sogar nur Geldstrafe (bis zu 1000 eintreten soll. Auch für die gewerbsmäfsigen Streikhetzer ist der heutige Vorschlag milder als der Berlepschsche, da § 3 nur Gefängnifsstrafe nicht unter 3 Monate für sie vorsieht, während Hr. v. Berlepsch nicht unter 1 Jahr in Aussicht nahm. So weit die Unterschiede! Dafs wie die jetzige Vorlage auch Hr. v. Berlepsch gewohnheitsmäfsige Verletzungen der Goalitionsfreiheit Anderer schärfer als sonstige treffen wollte, was § 153 bisher nicht thut, ist schon erwähnt. Aber auch Hr. v. Berlepsch wollte den Versuch strafbar machen, indem er in Uebereinstimmung mit der heutigen Vorlage und im Gegensätze zum geltenden Recht Strafe androhte: „Wer es unternimmt . . .“. Auch Hr. v. Berlepsch hielt es für nöthig, gerade wie die neue Vorlage, zwischen dem Zwange bezw. der Verhinderung zur Theilnahme an Coalitionen (§ 152 der G.-O. sagt „Verabredungen und Ver einbarungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen“) und dem Zwange bezw. der Verhinderung der Theilnahme an Streiks und Aussperrungen zu unterscheiden, was die Vorlage thut, indem sie erstere in § 1, letztere in § 2 behandelt. Dafs aber Hr. v. Berlepsch auch die in § 4 der heutigen Vorlage speciell behandelten Punkte treffen wollte, geht aus seiner am 21. April 1891 im Reichstage gehaltenen Rede hervor. Diese Rede des Freiherrn v. Berlepsch bietet überhaupt die denkbar beste Begründung der heutigen Vorlage; denn niemand wird ver- muthen, dafs er als Minister a. D. etwa arbeiter freundlicher geworden sein sollte, als er im Dienst war. Für „unerfindlich“ erklärt es Hr. v. Berlepsch in jener Rede, dafs seine Vorschläge die Coalitions- freiheit beseitigen sollten. Sein § 153 richte „sich nicht gegen die Arbeiter, nicht gegen ihre Befugnifs, zur Erlangung von günstigeren Arbeitsbedingungen sich zu verbinden, nicht gegen den Ausstand an sich, sondern lediglich gegen diejenigen, die durch Zwang die Theilnahme derjenigen ihrer Arbeits genossen bewirken wollen, welche einem Streik abgeneigt sind.“ Hr. v. Berlepsch berief sich auf Lasker, der schon bei Anerkennung des Coalitions- rechtes durch Aufnahme des § 152 in die Ge werbeordnung am 3. Mai 1869 im Reichstage betont hatte, falls man nicht den § 153 hinzu füge, wandle man „die Freiheit der Vereinigung in einen Vereinigungszwang um“, er spräche „nicht von Hypothesen“, sondern von thatsächlichen Vor gängen. Auch Hr. v. Berlepsch wollte mit seinen Vorschlägen von 1890, gerade wie Lasker es 1869 gewollt — er sagte selbst in jener Rede —: „verhüten, dafs das Vereinigungsrecht zu einem Vereinigungszwang ausarte“! Demgegenüber ist es allerdings höchst be zeichnend, dafs die Hrn. Freiherrn v. Berlepsch so nahe stehende „Sociale Praxis“ heute etwa das gerade Gegentheil von dem sagt, was damals der Herr Minister zur Begründung des § 153 vorbrachte, heute, wo der Terrorismus noch viel tollere Blüthen zeitigt, als 1890, wie das amtliche Material zum „Gesetzentwurf zum Schutz des ge werblichen Arbeitsverhältnisses “ zur Genüge darthut. Auch nach der Ablehnung der 1891er Vor schläge hat man die ganze Angelegenheit weit ruhiger und sachlicher behandelt, als es bei der gegenwärtigen Vorlage der Fall ist. Noch in der Kölner Generalversammlung des „Vereins für Socialpolitik“, der gewifs vor dem Verdacht der Arbeiterfeindlichkeit geschützt ist, hat Prof. Dr. Loening die Erweiterung der Strafbestimmungen des § 153 im Interesse nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeiter gefordert und gesagt: „ Hier handelt es sich darum, dafs die Arbeiter geschützt werden gegen einen Zwang, der von ihren eigenen Genossen gegen sie ausgeübt wird. Auch hier handelt es sich um die Erhaltung der Goalitions freiheit gegen den Coalitionszwang. Allerdings das Interesse der Partei verlangt, dafs während eines Streiks mit allen Mitteln, rechtmäfsigen wie unrechtmäfsigen, der Zuzug abgehalten und die Arbeiter verhindert werden, den Streik zu brechen. Uns aber stehen die allgemeinen Interessen höher, wir wollen nicht die Interessen einer Partei, sondern die der arbeitenden Klassen schützen.“ Man ver gleiche mit diesen Ausführungen die mehr als