Volltext Seite (XML)
kilometer Stückgüter von Hamburg nach Breslau verfrachtet, so rechnet der Schiffer nicht mit solchen Zahlen, sondern mit einer ganz billigen Fracht von 11/2 bis 2 8 pro Tonnenkilometer und kommt dabei noch besser weg, als wenn er Kohle für den halben Satz nähme, und daraus erklärt sich, dafs gerade Stückgüter und andere hochwerthige Güter auf die Wasserstrafsen über gehen. Wo aber diese Concurrenz mit ihrem billigen Transport fehlt, da haben wir die Er scheinung, dafs besonders die Verfeinerungsindustrie, welche die höherwerthigen Erzeugnisse herstellt, sich möglichst innerhalb der Gonsumtionsgegenden ansiedelt, wo sie einen bequemen Absatz findet, der nicht sehr unter der Höhe der Frachten für ihre Fabricate leiden kann; in solchen Gegenden kann sie sich vortheilhaft entwickeln. M. H.: Sie wissen Alle, dafs die Eisenbahnen nicht lediglich ihre Selbstkosten decken, sondern darüber hinaus ganz erhebliche Ueberschüsse er zielen. Ich will nicht berechnen, wie hoch die selben in den letzten Jahren waren. Im laufenden Jahre werden sie wohl 200 Millionen übersteigen, der letzte Etat veranschlagt sie mit 175 Millionen. Wenn man ein Monopol hat, dessen sich Alle bedienen müssen, so wirkt der Ueberschufs nicht als Unternehmergewinn, sondern er bekommt den Charakter einer Steuer. Infolgedessen sind die Betriebsüberschüsse der Eisenbahnen Verkehrs steuern. Es ist das eine Sache, die früher viel bestritten wurde, neuerdings aber von der Wissen schaft mehr und mehr anerkannt wird. Wie wirkt nun eine derartige Steuer? Sie wirkt dahin, dafs, wenn wir mit dem kilometrischen Tarif rechnen, wo die Fracht sich in arithmetischer Progression steigert, dann die Steuer so und so viel mal mehr erhoben wird auf die gröfseren Ent fernungen, als auf die kleineren, auf zehnfache Entfernungen zehnmal, auf tausendfache Entfer nungen tausendmal mehr. Nun ist zwar behauptet worden, und neuerdings auch von wissenschaftlicher Seite, dafs diese Ver kehrssteuer eine der gerechtesten sei, welche es gäbe, und dafs man gar nicht in der Lage wäre, eine gerechtere Besteuerung zu finden. M. H.! Wie steht es denn nun um die Gerechtigkeit dieser Steuer? Derjenige, welcher unter möglichst gün stigen Bedingungen seine Roh- und Hülfsmaterialien bezieht, welcher seine Fabricate unter möglichst günstigen Verhältnissen auf kurze Entfernungen ab setzt, zahlt als Ausgleich für seine günstigeren Er- zeugungs- und Absatzbedingungen nur ein Bruch- theil von demjenigen an Steuer, was der zu ent richten hat, der auf weitere Entfernungen seine Roh- und Hülfsmaterialien beziehen und seine Fabricate absetzen mufs. (Hört, hört, Beifall.) Man könnte eigentlich sagen: dieses Verhältnifs ist eine vollständige Umkehrung der Gerechtigkeit, und natürlich wirkt eine derartige Steuer ganz entschieden wieder dahin, alle diejenigen zu be- nachtheiligen, welche auf grofse Transportlängen angewiesen sind. Wir haben aber auch eine weitere Erscheinung, dafs eine derartige Verkehrssteuer schon nach einer gewissen kurzen Transportlänge einfach prohibitiv wirkt. Es ist nicht möglich, ein Erzeugnifs weiter zu versenden, weil der Frachtsatz zu hoch wird, und daraus folgert die auch für die Eisenbahnen höchst unerwünschte Erscheinung, dafs gerade bei dem kilometrisch gebildeten Tarif die Transport länge, auf welche Güter verfrachtet werden, stetig zurückgeht, während eigentlich das finanzielle Inter esse der Bahn dahin gehen müfsfe, die Transporte möglichst lange auf ihren Strecken zu behalten. Aber wenn es bisher nicht gelungen ist, hier eine wesentliche Aenderung, eine gröfsere An näherung an die Gerechtigkeit zu erzielen, so liegt das mit an der Frage der wirthschaftlichen Ver schiebung, an der Inlandsconcurrenz selbst. Es ist ja naturgemäfs, dafs derjenige, der einen Vortheil hat, diesen auch weiter behalten will. Unsere centralen Gegenden, welchen durch die hohen Tarife die Concurrenz der weiter abliegenden Ge biete ferngehalten wird, wünschen naturgemäfs nicht, dafs diese Tarife verbilligt werden, am ■ wenigsten in der Form der Staffeltarife, weil dann die bisher ungefährliche Concurrenz ihnen auf den Hals käme. Unsere mittel-, süd- und westdeutsche Landwirthschaft, welche höhere Bodenpreise hat als wir, hat sich auf das entschiedenste gegen den । Staffeltarif für Getreide und Mehl gesträubt und i ist jetzt wieder bestrebt, die Tarife für Mehl wesent lich zu erhöhen. Die gesammte Braunkohlen- | Industrie Mitteldeutschlands will naturgemäfs nicht ’ das Geringste von Staffeltarifen oder von allgemeiner Verbilligung der Kohlentarife wissen. Seiner Zeit waren auch die Braunkohleninteressenten diejenigen, welche der Frachtverbilligung durch den Rohstoff tarif widersprachen und, obgleich sie bereits den niedrigsten Einheitsfrachtsatz hatten, sich aus- schliefslich nur dadurch zur Zustimmung bewegen liefsen, dafs man ihnen zusagte, sie sollten eine Extravergütung bekommen. (Zustimmung.) Die Textilindustrie Sachsens ist die entschie denste Gegnerin der Staffeltarife, weil sie ja den Vorzug hat, dafs ihre Fabriken überall in der | Mitte des deutschen Absatzgebietes liegen, während durch die Staffeltarife für Stückgut Schlesien und Westfalen ihre Fabricate viel billiger nach ihnen entfernteren Gegenden absetzen könnten und somit Sachsen Concurrenz machen würden. Die Gegnerschaft gegen Staffeltarife bezw. über haupt Allen zu gute kommende Tarifermäfsigungen ist aber keine regionale, sie ist je nach der Lage der einzelnen Industrie in ein und derselben Gegend verschieden. Während z. B. hier in Oberschlesien der Steinkohlenbergbau mit verhältnifsmäfsig nicht hohen Erzeugungskosten arbeitet, aber seinen Absatz auf grofse Entfernungen sucht und infolgedessen auf billige Frachten bedacht sein mufs, ebenso wie