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4 Stahl und Eisen. Ueber die wirthschaftliche Bedeutung der Gütertarife. 1. Januar 1899. Da wirkt der Wettbewerb dahin, dafs sie sich thunlichst niedrig gestalten, den Selbstkosten mög lichst nahe kommen. Wenn ein Unternehmer versuchen wollte, die Preise möglichst hochzu halten, dann würde der Nachbar und Goncurrent diese Situation sofort ausnützen und ihn unterbieten. Anders liegt das Verhältnifs dann, wenn wir es mit monopolartigen Erscheinungen zu thun haben, wie bei unseren Eisenbahnen, die im wesent lichen in einer Hand sind, oder wenn sich in anderen Ländern die verschiedenen Eisenbahn gesellschaften vereinigen, um die Frachssätze in einer bestimmten Höhe zu halten. Wir haben dann ge bundene Preise, und speciell in Deutschland haben wir es bei den Güterfrachten nicht mit einer natür lichen Entwicklung der Frachtsätze, sondern mit einer decretirten, einer monopolartigen zu thun. Wir sind schon vor dieser Abschweifung über die Bildung der Frachten ganz von selbst auf das zweite wichtige Ergebnifs der v. Thünenschen Untersuchung gekommen: „Von der Frachthöhe ist die wirthschaftliche Entwicklung der Gegenden abhängig.“ Es ist klar, kein Mensch wird etwas er zeugen, was er nicht absetzen kann, er würde sonst durchaus unwirthschaftlich handeln; absetzen aber kann man nur das, was sich am Gonsum- orte nicht theurer stellt, als es die Goncurrenz absetzt. Es würde sich ja sonst kein Abnehmer dafür finden, denn bei gleicher Güte der Fabricate wird jedermann natürlich den billigeren Preis an zulegen suchen. Insofern sind wiederum die Frachtkosten, wenn der Erzeugungspreis festgelegt ist, entscheidend für die Gröfse des Absatzgebietes und rückwirkend das Absatzgebiet für die Art und Weise der wirthschaftlichen Entwicklung nicht nur des einzelnen Erwerbszweiges, sondern viel fach auch der einzelnen Gegenden. Betrachten wir zunächst die Landwirthschaft, so finden wir, dafs, auf je gröfsere Entfernungen sie verfrachten mufs, um so mehr mufs sie billig wirthschaften, um so geringwerthiger ist auch der Preis von Grund und Boden. Es ist bekannt, dafs der Preis des letzteren in Süddeutschland und Sachsen viel höher ist, als in Posen, Pommern und Preufsen, geschweige in Rufsland oder Argen tinien. Und je niedriger der Kapitalwerth von Grund und Boden, um so weniger intensiv kann man ihn bewirlhschaften, man wird ihn zwar möglichst auszunutzen suchen, aber es lohnt nicht, seine Ertragsfähigkeit durch Tiefcultur und Zu führung kostspieliger Düngemittel zu erhalten oder zu heben. Demnach wird die Landwirthschaft in allen denjenigen Gegenden, die ihre Erzeugnisse blofs auf sehr grofse Entfernungen absetzen können, die eine sehr hohe Fracht bis zum Gonsumtions- orte zu tragen haben, eine extensive sein. Sie wird überall da eine intensive sein und mehr Menschen ernähren können, wo das Absatzgebiet in unmittelbarer Nähe des Erzeugungsortes liegt. Ebenso ist das Verhältnifs in der Industrie. Dieselbe kann sich nur da entwickeln, wo sie Roh- und Hülfsstoffe billig bezieht und wo sie ferner ihre Fabricate auf nicht zu grofse Ent fernungen absetzen kann. Früher, wo das Trans portwesen noch nicht so entwickelt war, konnte sich in viel höherem Mafse als heute eine locale Industrie entwickeln; so ist in Schlesien namentlich durch die Fürsorge, welche Friedrich der Grofse der Textilindustrie im vorigen Jahrhundert angedeihen liefs und unter der preufsischen Herrschaft in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts die schlesische Textilindustrie zu ganz aufserordent- licher Entwicklung gelangt, aber sie ist später zurückgeblieben. Es ist Ihnen bekannt, dafs wir in unserem Eulengebirge von einem Webernoth stand in den andern gekommen sind und man hat übersehen, dafs die Ursache, warum hier gleich eine Krisis entstand, wenn einmal ein Nachlassen der Gonjunctur erfolgte, einfach darin lag, dafs unsere Baumwollindustrie in Schlesien mit den gröfsten Entfernungen zu rechnen hat, und dafs aufserdem die Staatsbahnverwaltung die Tarife so aufserordentlich hoch hielt, dafs wir 41/2 Pfennige f. d. Tonnenkilometer für die Verfrachtung der Rohbaumwolle bezahlen mufsten, während dieselbe Staatsbahn nach Sosnowice über die Grenze nur 18/4 Pfg- f- d. Tonnenkilometer erhob und nach Sachsen, nach dem Oberrhein 2,1 Pfg. Infolge dessen konnte sich die Baumwollindustrie überall in jenen Gegenden entwickeln und bei uns in Schlesien blieb sie zurück. Ich möchte als charakteristische Zahl nennen, dafs sich in ganz Preufsen in den Jahren von 1858 bis 1892 die Zahl der Baumwollspindeln sechsmal so stark vermehrte wie in Schlesien. Es war also eine einfache Frachtfrage, weshalb sich die Baumwoll industrie in Schlesien nicht entwickeln konnte; sie mufste für jeden Doppelcentner Baumwolle gegen den Einheitsfrachtsatz, den die Rheinländer zahlten, 1,60 46 mehr zahlen. Jeder Baumwollweber im Eulengebirge zahlte eine Extraverkehrssteuer von 20 16 blofs durch diese theure Fracht für Roh baumwolle. (Hört, hört.) Ganz ähnlich ist es mit der Eisenindustrie. Auch sie ist hinsichtlich der Erze auf den Bezug aus gröfseren Entfernungen angewiesen, ebenso bezüglich des Versands ihrer Erzeugnisse. Infolge dessen wird die Eisenindustrie, speciell die Hoch ofenindustrie, immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn sie bei hohen Frachten ihre Roh materialien aus sehr grofsen Entfernungen beziehen mufs. Und wenn Sie vergleichen, in welcher Weise die Roheisenerzeugung Oberschlesiens gegen über der Rheinlands und Westfalens, die mit be deutend billigeren Frachten arbeitet, gestiegen ist, so finden Sie, dafs Oberschlesien sehr zurück geblieben ist. Ebenso liegt es mit anderen localen Industrien, z. B. dem Kohlenbergbau. Hier hat das Hoch-