Volltext Seite (XML)
8 Stahl und Eisen. Ueber die. wirthschaftliche Bedeutung der Gütertarife. 1. Januar 1899. Aber sehen wir uns einen anderen Luxusartikel an, den Tabak. England hat in seiner Tabak steuer die höchste Belastung von allen Staaten, Holland die niedrigste; der Tabakconsum stellt sich nun in Holland auf 31/3 kg, in England da gegen nur auf 0,67 kg a. d. Kopf, also auf fast blofs den fünften Theil, und die Engländer sind doch ein viel reicheres Volk als die Holländer. Wir sehen demnach an solchen Ziffern, dafs die Höhe des Preises mit der Zeit doch entscheidend wirkt auf den Gonsum, und wenn Sie weiter den Gonsum von Kohlen, Eisen, Baumwolle, Colonial- waaren in den einzelnen Ländern vergleichen, so werden Sie ebenfalls zu dem Schlüsse kommen, dafs überall die Höhe des Consums abhängig ist von der Billigkeit der Preise. Wir dürfen demnach mit Recht sagen: niedrige Preise sind dazu angethan, den Gonsum zu ver mehren. Aber, m. H., niedrige Preise sind durch niedrige Erzeugungskosten bedingt und für beide ist die Voraussetzung: niedrige Fracht, — die Inlandspreise könnten bis zu einem gewissen Grade gehalten werden, einmal durch Schutzzölle, sodann durch Cartelle. Der Schutzzoll wird zweifellos dort voll zum Ausdruck kommen, wo der Bedarf vom Inland nicht gedeckt werden kann. Anders steht es da, wo der Schutzzoll gewissermafsen selbst eine Exportprämie darstellt, um im Inlande einen höheren Preis zu erzielen und um nach dem Auslande billiger exportiren zu können; dort wird er selbst bei Cartellirung aller Werke sich nicht vollständig zum Ausdruck bringen lassen. Aber wir sind ja nicht nur auf den Inlands bedarf angewiesen, sondern in immer steigendem Mafse gezwungen, nach dem Auslande abzusetzen. M. H.! In diesem Jahre dürfte voraussichtlich der Werth unseres Exports bereits über 3,8 Milliarden betragen, und ungefähr 3 Millionen Menschen mit etwa 6 Millionen Angehörigen arbeiten in Deutsch land für den deutschen Aufsenhandel. Diese Zahl steigt immerwährend. Im Auslande, auf dem Weltmärkte ist man nicht in der Lage, sich durch Zölle zu helfen; Exportprämien sind nur für wenige Artikel möglich, und bei unserer täglich steigenden Bevölkerungsmenge sind wir mehr und mehr darauf angewiesen, mit unserer Industrie den Weltmarkt aufzusuchen. Dort ist daher die Güte der Waaren einerseits und die Billigkeit derselben andererseits entscheidend und — bezüglich der letzteren — sind wiederum die Erzeugungskosten, und das sind zum grofsen Theil die Frachtkosten, von entscheidendem Einflufs. Nun hat Deutschland heute in seinen Eisen bahntarifen bedeutend höhere Frachtkosten, als alle anderen Länder, deren Concurrenz für uns in den wesentlichen Industrieerzeugnissen in Be tracht kommen. Zwar bestehen in England in gewissen Relationen vielfach höhere Eisenbahn tarife, aber diese spielen dort nicht entfernt die selbe Rolle wie bei uns, da England in seiner maritimen Lage imstande ist, den gröfsten Theil seiner WaarenVerfrachtung auf dem Wasserwege vorzunehmen. Dagegen haben Amerika, Frank reich, Rufsland, Oesterreich-Ungarn, Belgien wesent lich niedrigere Frachtsätze, namentlich auf gröfseren Entfernungen, als wir in Deutschland. Während der jetzigen Hochconjunctur, die doch hauptsächlich mit auf den grofsen Umwälzungen beruht, welche durch die Elektrotechnik in unsere Industrie hineingekommen sind, und durch die anderweite Vervollkommnung der technischen Ver fahren, ist man überall bestrebt, nicht nur die Güte der Fabricate zu erhöhen, sondern gleich zeitig diese in grofser Menge und billiger herzu stellen, Verfahren anzuwenden, welche uns gestatten, mit immer niedrigeren Erzeugungskosten zu arbeiten. Ich glaube, m. H., wir befinden uns gewissermafsen in dem Zustande einer industriellen Rüstung, Vor sorge zu treffen in dem grofsen allgemeinen industriellen Wettbewerb, der sich von Jahr zu Jahr durch das Heraustreten Amerikas auf den Weltmarkt, in Zukunft auch Rufslands, Japans und anderer Länder stetig intensiver gestalten mufs, gut und billig erzeugen zu können. Dafür, dafs wir gut erzeugen, wird die deutsche Technik, wie bisher im Verein mit der deutschen technischen Wissenschaft, sorgen. Aber nothwendig ist es, wenn wir unsere Bevölkerung erhalten, wenn wir auf dem Weltmärkte nicht ins Hinter treffen gelangen wollen, dafs wir auch billig erzeugen. Und dazu müssen wir in erster Linie bestrebt sein, den wichtigsten Erzeugungsfactor, in dessen Entwicklung wir zurückgeblieben sind, unsere Frachtkosten für Güter herabzusetzen. Dann werden wir erfolgreich die grofse Stellung unseres Vaterlandes im Rathe der Völker aufrecht erhalten können. (Lebhafter Beifall.)