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Zu den Vorarbeiten zum neuen Zolltarif. Zu den wichtigsten Aufgaben, welche im Laufe der beginnenden Legislaturperiode an den neuen Reichstag herantreten werden, wird ohne Zweifel die Berathung und Festsetzung des neuen allge meinen Zolltarifs gerechnet werden dürfen. Die Neu aufstellung des Tarifs hat die Regierung namentlich im Hinblick auf die künftigen Handelsvertrags- Verhandlungen, und weil der jetzige Tarif zu wenig specialisirt ist, für nothwendig erachtet. Der neue Tarif kann zwar erst nach Ablauf der gegen wärtigen Handelsverträge in Kraft gesetzt werden, er soll aber schon vorher als Grundlage für die abzuschliefsenden neuen Verträge dienen; man hat deshalb ziemlich frühzeitig mit den Vorarbeiten dazu begonnen. Der Staatssecretär des Innern hat bereits vor Jahresfrist einen aus Vertretern der verschiedenen Industriezweige bestehenden Beirath als „ Wirthschaftlichen Ausschufs“ berufen, dessen Aufgaben in unserer Zeitschrift wiederholt eingehend erörtert worden sind. Die genannte Behörde hat aufserdem, nach Benehmen mit dem Wirthschaftlichen Ausschufs, Erhebungen über den Umfang der heimischen Gütererzeugung veranstaltet. Diese Erhebungen sollen über die Mengen und Werthe der Erzeugung, der darin enthaltenen Arbeitsleistung, der ver wendeten inländischen und fremdländischen Roh stoffe und Halbfabricate, sowie der Absatzverhält nisse Aufschluls geben und so die wichtige Aufgabe erleichtern, die Bedeutung der einzelnen Industrie gruppen für die gesammte Nationalwirthschaft, insbesondere für die Gestaltung des künftigen Zoll tarifs und für die handelspolitischen Verhandlungen mit dem Auslande, richtig abzuwägen. Bis jetzt haben, wie unsern Lesern bekannt ist, Erzeugungs erhebungen u. a. in der gesammten Montan- und Hüttenindustrie, in den verschiedenen Zweigen der Eisen- und Metallbearbeitung, in der Klein eisen- und Metallwaarenindustrie, dem Maschinen und Wagen bau u. s. w. unter erfreulicher Be theiligung der Befragten stattgefunden. Nebenher hat das Reichsschatzamt bereits einen Theil der Vorarbeiten für den neuen Tarif zum Abschlufs gebracht; es ist nämlich der Vorentwurf zum Tariftexte fertiggestellt worden, mit dessen Prüfung sich zur Zeit die Bundesregierungen zu befassen haben und der später auch den berufenen Vertretern der Industrie, der Landwirthschaft und des Handels, also wohl in erster Linie den Mit gliedern des Wirthschaftlichen Ausschusses, zur Begutachtung vorgelegt werden wird. Wenn auch der wichtigste Theil der Tarifarbeiten, die Fest setzung der Zollsätze, noch aussteht und den nächsten Jahren vorbehalten bleibt, so darf doch auch der blofse Tariftext in seiner Bedeutung für den deutschen Gewerbestand nicht unterschätzt werden, zumal wenn dieser Text eine so gründ liche Umarbeitung erfahren hat wie in dem jetzigen Entwurf des Reichsschatzamtes. Der Entwurf be schränkt sich im wesentlichen auf die Anordnung der Tarifpositionen und die Gruppirung der Waaren, weicht indessen in letzterer Hinsicht — wie übrigens auch nach verschiedenen officiellen Andeutungen zu erwarten war — völlig von der Eintheilung unseres heutigen Zolltarifs ab. Insbesondere ist dem in privaten wie amtlichen Kreisen hervor getretenen Wunsche nach einer gröfseren Speciali- sirung der Waaren in weitestem Umfange Rech nung getragen, so dafs, wie gemeldet wird, in Zukunft das ganze amtliche Waarenverzeichnifs überflüssig werden soll. Die Eisen- und Stahl industrie wird gegen diese Neuerung grund sätzlich nichts einzuwenden haben, da gerade bei ihr die zu geringe Specialisirung des bis herigen Tarifs als ein grofser Mangel sich be merkbar machte. Greifen wir irgend einen beliebigen Artikel, z. B. Fahrräder oder Nähmaschinen, heraus, so macht es sicher einen grofsen Unterschied aus, ob derselbe für sich allein eine Tarifposition bildet, oder, wie dies in unserem alten Tarif der Fall ist, mit allen möglichen sonstigen Fabricaten zusammengeworfen ist; im letzteren Falle theilt er in der Regel bei Handelsverträgen und Tarif änderungen das Schicksal der übrigen zu der Position gehörigen Waaren. Für Fahrräder giebt es in dem bisherigen Zolltarif überhaupt keine Position, der Zollverwaltung blieb daher bisher nur der einzige Ausweg übrig, Fahrräder der Sammelposition „feine Eisenwaaren" zuzuweisen und wie diese zum Zollsätze von 24/6 zu be handeln. Dafs dies der höchste Zollsatz ist, den der Tarif für Eisenwaaren — abgesehen von Ge wehren, Nähnadeln, Stahlfedern, Uhrfournituren —• vorschreibt, dafs noch dazu die ganze Position „feine Eisenwaaren“ durch die Handelsverträge auf die Höhe dieses Satzes gebunden ist, so dafs vor dem Jahre 1904 kein einziger der vielerlei hierher gehörigen Artikel im Eingangszoli erhöht werden kann, hat sich für die betreffenden ein heimischen Industriellen in den letzten Jahren recht unangenehm fühlbar gemacht und ist auch re gierungsseitig als ein grofser Fehler unseres heutigen Tarifsystems anerkannt worden. Diesem Mangel an Specialisirung ist es zum grofsen Theil auch zuzuschreiben, dafs heute die einzelnen Einfuhrartikel so verschiedenartig mit Eingangszoll belastet sind, dafs vielfach der Zoll in gar keinem Verhältnifs zum Werthe der Waare steht. Der richtige Mafsstab für die Beurtheilung