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in der Verbesserung der Geschosse ist ein Gewinn für die Artillerie, der um deswillen Bedeutung hat, weil die bisher im amerikanisch-spanischen Kriege gewonnenen Erfahrungen von neuem die Ansicht bestätigt haben, dafs die Artillerie die Hauptwaffe des Seekrieges ist und darum kein Geschütz den Panzerschutz entbehren kann, der uns seine Kampf kraft im Gefecht länger zu erhalten vermag, als wenn es diesen Schutz entbehren müfste. Der Erfolg des Kampfes wird deshalb im wesentlichen das Ergebnifs der Artillerie-Geschofswirkung sein, und wird darum das Verbessern der Geschosse für die Technik stets eine dankenswerthe Aufgabe bleiben. Noch sind wir, meines Wissens, nicht in den Besitz von Panzergeschossen gelangt, die dem Geschütz die Stellung dem Panzer gegenüber an nähernd zurückgeben könnten, die es einst inne hatte. Dafs das Geschütz die verloren gegangene Herrschaft über den Panzer in gleichem Mafse wieder gewinnen könnte, darf billig bezweifelt werden. Der Panzer hat einen so gewaltigen Vorsprung gewonnen, dafs wir einstweilen nur hoffen dürfen, das Geschütz zu seinem ebenbürtigen Gegner zu machen, so dafs das Geschofs auf Gefechtsentfernungen bis zu einigen Hundert Metern einen Panzer von der Dicke des Geschofsdurch- messers glatt zu durchschlagen vermag. Dazu kann ihm nur ein besseres Geschofs verhelfen, wie aus den vorerwähnten Berichten über die Kruppschen Panzerschiefsversuche hervorgeht, in denen* bereits darauf hingewiesen wurde, dafs der verbesserungsbedürftige Gegner des Panzers nicht das Geschütz, sondern das Geschofs sei. Es heifst dort: „Aus den vorstehenden Schiefs- listen geht hervor, dafs kein einziges Geschofs beim Auftreffen auf den Panzer ganz geblieben ist, selbst die gegen die 80-mm-Platte verfeuerte 15-cm-Stahlpanzergranate ist zerbrochen. Es war also keine dieser Granaten imstande, die ihm vom Geschütz ertheilte lebendige Kraft in der Weise in Arbeit umzusetzen, wie es bei der Beschiefsung von Panzern beabsichtigt wird. Erst wenn es unverändert den Panzer durchdringt, findet eine Verwerthung seiner lebendigen Kraft (soweit dies möglich), eine Umsetzung der Arbeitsleistung des Pulvers in Geschofsarbeit statt, wie sie das Schiefsen bezweckt. Mit solchen Geschossen gewinnen wir auch einen richtigeren Mafsstab für die Wider standfähigkeit der Panzerplatten, als wir ihn an unseren heutigen Geschossen besitzen, weil sie einen unmefsbaren Theil der lebendigen Kraft selbst, in ihrem Zerbrechen, verschlingen.“ Seitdem sind mehr als zwei Jahre vergangen, die sicherlich auch in Deutschland nicht ohne Fort schritte in der Herstellung von Panzergeschossen geblieben sind. Wenn wir darüber keine Beweise beibringen, so will es uns dennoch voreilig er scheinen, sollte daraus geschlossen werden, dafs sie * „Stahl und Eisen“ 1896 S. 279. überhaupt nicht vorhanden seien. Es entspricht nicht den thatsächlichen Verhältnissen, ein Zurückbleiben der deutschen Waffen-, im besonderen der Artillerie technik , in ihren Leistungen und in Originalität ihrer Erfindungen gegenüber ausländischen Fabriken daraus zu folgern, dafs darüber keine Mittheilungen in den Fachzeitschriften zu finden sind. Wir wollen gern zugeben, dafs man über die Zu geknöpftheit der deutschen Techniker und Fabriken verschiedener Meinung sein kann, die gegentheilige Meinung berechtigt aber noch nicht, ein Ver schlafen der Zeit oder ein Nichtkönnen bei unsern schweigsamen Technikern vorauszusetzen. Es soll keineswegs verkannt werden, dafs wir in deutschen Fachschriften mit wenigen Ausnahmen nur von ausländischen Erfindungen und Er zeugnissen der Waffentechnik lesen, und dafs englische und französische, vorweg aber ameri kanische Zeitschriften eine schier erdrückende Fülle von Nachrichten aus dem weiten Gebiete der kriegstechnischen Industrie ihres Vaterlandes in die Welt streuen, während unsere ohnehin spärliche technische Literatur über das Schaffen der deutschen Kriegstechnik wenig zu sagen weifs. Wir versagen es uns, den Ursachen dieser Er scheinung nachzuspüren, und begnügen uns mit einem Hinweis auf die grofse Verschiedenheit des Geschäftsgebahrens in Deutschland und dem Aus lande. Dieser Unterschied ist schon sehr bemerk bar bei einem Vergleich Deutschlands mit Frank reich und England, noch sehr viel gröfser aber bei Amerika. Die dort herrschende Epidemie des Erfindens hat auch das Gebiet der Kriegstechnik verseucht, wozu die den Amerikanern eigenthüm- liche Anschauung über das Kriegswesen mitge holfen haben mag. Ein Jeder glaubt sich zum Kriegshelden geboren, meint das Kriegswesen mit allem, was dazu gehört, zu verstehen, und erfindet frisch darauf los. Man hat nichts zu vergessen und weder Zeit noch Neigung, die Erfahrungen des Auslandes zu studiren und daraus zu lernen. Ein Buch über die amerikanischen Erfindungen im Geschützwesen würde zum nicht geringen Theil mit den wunderlichsten Guriositäten angefüllt sein, deren Erfinder aber Anspruch darauf machten, völlig ernst genommen zu werden. Wir erinnern nur an das seltsame Liman-Haskelsche Accelerations- geschütz, für dessen Erprobung der Gongrefs viele Hunderttausend Dollars bewilligte, noch weit mehr hat er für die unzähligen Versuche mit Dynamitkanonen aller Art hergegeben. Das Zalinskysche Luftdruckgeschütz (Dynamitkanone) hat ungezählte Millionen verschlungen. Noch in den letzten Jahren hat man dort lederne und Papierkanonen (mit Lederstreifen oder mit Papier umwickelte Stahlrohren) auf staatlichen Schiefs- plätzen ernsthaft versucht. Man versteht es dort meisterhaft, die Berichte über solche Dinge schön und glaubwürdig aufzuputzen, so dafs es nicht selten schwer hält, der Sache auf den Grund zu kommen.