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936 Stahl und Eisen. Ueber die Spannungen im gänzlich gehärteten Stahl. 15. October 1898. jener für den Praktiker aufserordentlich wichtigen Frage beizutragen, ist der Zweck dieser Arbeit. Bei der Annahme von Spannungen im ge härteten Stahl ist in Betracht zu ziehen, dafs dieselben naturgemäfs zweierlei Art sein müssen, und zwar: a) Spannungen, welche im durchweg gleichmäfsig gehärteten Stahl geringen Querschnitts auf treten, und b) Spannungen, welche im gehärteten Stahl gröfseren Querschnitts infolge der verschiedenen Volumenveränderungen an der Oberfläche und im Inneren entstehen. Die unter a) angeführten Spannungen bestehen natürlich auch im gehärteten Stahl gröfseren Querschnitts, und zwar am stärksten in jener Zone, innerhalb welcher der Stahl die gröfste Härte besitzt, also an der Oberfläche. Wenn man Stahl geringen Querschnitts so härtet, dafs derselbe durch und durch gleichmäfsige Härte zeigt (ein über die ganze Bruchfläche gleichförmiges Gefüge er kennen läfst), so kann derselbe reifsen, ohne dafs die Ursache hierfür aus dem Drucke äufserer, stärker gehärteter Schichten auf das Innere ab zuleiten möglich ist. Härtet man Stahl grofsen Querschnitts, so ist die Beobachtung zu machen, dafs entstehende Härterisse ebensowohl an der Oberfläche, als im Inneren ihren Anfang nehmen können. Im Innern des Stahls können aber Härte risse ihren Anfang nicht nehmen, wenn das Innere unter dem Druck äufserer Schichten steht. Ohne weitere in der Praxis auftretende Er scheinungen, welche Zweifel an dem Vorkommen von Druckspannungen im gehärteten Stahl hervor rufen, anzuführen, sei darauf aufmerksam gemacht, dafs deren Annahme auch im logischen Wider spruche mit der Erscheinung der Volumenvergröfse- rung gehärteten Stahls steht. Wedding knüpft an die Versuche von Barus und Stronhal die unzweifelhaft richtige Folgerung: . „Die äufsere Haut, welche zuerst zu einer für die Beweglichkeit der Gefügetheile ungeeig neten Starrheit abgekühlt, daher an ihrem Zusammenschrumpfen gehindert wird, und eine, einer höheren Erwärmung entsprechende Aus dehnung bewahrt, hält die inneren, noch beweg lichen Theile zurück. Dieses Innere nimmt also einen gröfseren Raum ein, als ihm unter ge wöhnlichen Umständen zukommen würde, d. h. wird specifisch leichter.“ Diese Folgerung steht aber im Widerspruch mit der Annahme einer Zusammendrückung des Inneren, welches hierdurch, wie bei einer mecha nischen Bearbeitung, ein kleineres Volumen, als ihm unter gewöhnlichen Umständen zustehen würde, einnehmen, daher specifisch schwerer werden müfste. Wenn im durch und durch gehärteten Stahl die unter a) angenommenen Spannungen bestehen, so können diese nur auf Spannungen, welche schon zwischen den einzelnen Gefügetheilen herrschen und welche auf eine vollständige Trennung derselben abzielen, zurückgeführt werden. Zum Versuche einer Erklärung dieser Span nungen ist es nöthig, das Wesen der Härtung, soweit dasselbe theoretisch erklärt ist, in Kürze zu berühren und die Veränderungen, welche der Kohlenstoff und die Grundmasse des Stahls — das Eisen — bei der Operation des Härtens erleiden, getrennt zu verfolgen. Ledebur nimmt an, dafs sich im hochglühenden Stahl aller Kohlen stoff als Härtungskohlenstoff im Zustande der Lösung oder Legirung mit dem Eisen befindet und, bei rascher Abkühlung in diesem Zustande erhalten, fixirt wird. Der Stahl hat Härte an genommen. Bei langsamer Abkühlung hoch glühenden Stahls oder bei der Erwärmung ge härteten Stahls zur Glühhitze tritt ein Zerfallen der gleichmäfsigen Legirung in eine kohlenstoffarme Hauptmasse und in eine kohlenstoffreichere Le girung (Carbid) ein; aller Kohlenstoff wird zu Garbidkohle, der Stahl ist weich. Wenn nicht härtbares Eisen nach und nach bis zur Schmelzhitze erwärmt wird, so durchläuft es verschiedene Stadien der Volumenveränderung, der Veränderung im Gefüge und in der molecularen Zusammenhangskraft desselben. Bei Erreichung der für das Härten in Betracht kommenden Tem peraturgrade hat das Eisen ein wesentlich gröfseres Volumen erreicht, aber fast alle Festigkeit und Dehnbarkeit verloren, wie aus den Ergebnissen der praktischen Untersuchungen Kollmanns* hervorgeht. In diesem Zustande, in welchem die kleinsten Gefügetheile offenbar eine Auseinanderrückung er fahren haben, befindet sich das Eisen, wenn sich der darin vorhandene Kohlenstoff mit demselben gleichmäfsig legirt und zu Härtungskohle wird. Bei rascher Abkühlung wird der Kohlenstoff in diesem Zustande festgehalten und verhindert eine Rückbildung (der molecularen Lagerung) des Gefüges im Eisen, es wird fast ganz in jenem physikalischen Zustande erhalten, in welchem es sich zur Zeit der Abkühlung befand. Das kohlenstoffhaltige Eisen zeigt nach der Abkühlung aus dem hoch glühenden Zustande die durch den Kohlenstoff erlangte höhere Härle, hat aber alle Dehnbarkeit und den gröfsten Theil der ihm unter gewöhn lichen Umständen zukommenden Festigkeit ver loren. Es ist spröde geworden. Die durch die Aenderung des Gefüges hervorgerufenen Volumen- und Formveränderungen, welche der Stahl (rich tiger das Eisen im Stahl) im hochglühenden Zu stande erlitten hatte, sind auch im gehärteten Stahl festgehalten. Aus dieser Voraussetzung lassen sich auch die zwischen den einzelnen Ge fügetheilen im gehärteten Stahl bestehenden Span nungen erklären. * Wedding, Eisenhüttenkunde S. 161.