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306 Stahl und Eisen. Die Zunahme der Erzförderung und Roheisenerzeugung u. s. w. 1. April 1895. An Luxemburg sind vom Deutschen Reich aus diesen Ueberschüssen also ungeheure Summen gezahlt. Und warum? Man könnte glauben, durch die Uebernahme der Verwaltung der Wilhelm-Luxemburg-Eisenbahn habe das Deutsche Reich grofse Vortheile erreicht. Das Gegentheil ist der Fall! Im § 2 der Uebereinkunft verpflichtet sich das Deutsche Reich, die Wilhelm-Luxemburg- Eisenbahn zu keiner Zeit zum Transport von Truppen, Waffen, Kriegsmaterial und Munition zu benutzen, und während eines Krieges, an welchem Deutschland betheiligt sein sollte, sich derselben — und hierunter fällt sogar die Ver- proviantirung der Truppen — auf keine die Neu tralität des Grofsherzogthums verletzende Weise zu bedienen, sowie überhaupt im Betriebe dieser Bahnen Handlungen, welche den, dem Grofs- herzogthum als neutralem Staate obliegenden Verpflichtungen nicht vollkommen entsprechen, weder vorzunehmen, noch zuzulassen. Nun könnte man vielleicht denken, dafs dem Deutschen Reiche durch die Uebernahme der Verwaltung der Wilhelm - Luxemburg - Eisenbahn noch besonders grofse finanzielle Vortheile in der Uebereinkunft vom 11. Juni 1872 zugesichert seien. Auch hierin ist gerade das Gegentheil der Fall, vielmehr ist das Deutsche Reich zur Aus kehr der Zinsen- und Amorfisations-Beträge des Anlagekapitals aus den Ueberschüssen des Be triebes dieser Eisenbahn an das Grofsherzogthum verpflichtet. Weder das Land noch ein Be wohner von Luxemburg weifs Deutschland für diese ihm dargebrachten ungeheuren Geldopfer Dank; im Gegentheil, wo das Ländchen bei be sonderen Veranlassungen, als Branntweinbesteue rung, Portoermäfsigung,* Moselkanalisirung, seiner seits Schwierigkeiten erheben kann, da thut es das in einer, zu seiner Macht in keinem Ver- hältnifs stehenden Weise. Bei Arbeitslöhnen, welche infolge des Mangels vieler Lasten, im Vergleich zu denen unserer Industriebezirke, sehr niedrig sind,** macht die Roheisenerzeugung Luxemburgs den deutschen Eisenhütten eine unüberwindliche Concurrenz. Keinenfalls werden alle diese grofsen ma teriellen Nachtheile aufgewogen durch die uns unbekannten Vortheile der Uebereinkunft vom 11. Juni 1872, durch welche das Deutsche Reich dem Ländchen Luxemburg den Anschlufs an den Zollverband des Deutschen Reiches bis zum 31. December 1912 unkündbar eingeräurnt bat. Für den deutschen Volkswirth ist die genannte Neumansche Arbeit darum interessant, weil er daraus lernen kann, mit welcher Vor sicht die Gesetzgeber dieses kleinen Ländchens * „Kölnische Zeitung“ 1894, Nr. 1024. ** Siehe die 6. Zusammenstellung auf S. 311. die allgemeinen Interessen desselben, sowie die speciellen Interessen der Gemeinden, der Eisen bahnen, der Grubenbesitzer und der Eisenhütten abwogen, als sie in den Jahren 1868 bis 1874 die Art der Abgaben und der Bedingungen bei Vergebung von Bergwerks - Concessionen fest- | zustellen suchten. Wir Deutschen könnten uns freuen, wenn die Wünsche unserer Industrie solche Berück sichtigung fänden, wie in Luxemburg, und wenn bei ähnlichen Gelegenheiten in Deutschland eben soviel Vorschläge aus praktischen Kreisen ent gegengenommen und zum Gegenstände nicht nur der Erwägung, sondern auch der Ausführung gemacht würden, als dies bei obiger Gesetzgebung in Luxemburg geschehen ist.* Die deutsche Eisenindustrie, welche seit mehreren Jahren auf die billigeren Frachten für Erze, Kalksteine und Kohlen wartet, obgleich dieselben von allen mafsgebenden Factoren als nothwendig erachtet sind, werden, wie aus Fol gendem zu schliefsen, die unerträgliche Con currenz der Nachbarn, Luxemburg und Belgien, ertragen müssen, welche Frachttarife haben, von denen wir nicht träumen dürfen. In der Sitzung des Reichstages vom II. De cember 1894 hat der Reichskanzler, Fürst zu Hohenlohe, bei der Entwicklung seines Programms gesagt: „Es ist unbestrittene und beklagenswerthe „Thatsache, dafs die Lage der deutschen „Landwirthschaft infolge der Fruchtbarkeit der „überseeischen Länder und des ungeahnten „Umfanges der Verkehrsentwicklung eine sehr „ungünstige geworden ist. „Die gesetzgeberischen Mafsnahmen der „letzten Jahre sind der Natur der Sache nach „mehr der Industrie als der Landwirthschaft „zu gute (??) gekommen. Die letztere bedarf „nunmehr einer besonderen Berücksichtigung.“ Obgleich man Alles, was der Reichskanzler über die Lage der Landwirthschaft gesagt hat, als richtig anerkennen mufs, so mufs man doch leider ebenso entschieden der Ansicht wider sprechen, als wenn irgend welche Gesetzgebung der letzten Jahre der Industrie irgendwie „zu gute“ gekommen wäre. Ob die geringe Steigerung der Ausfuhr nach einzelnen Ländern eine Folge der Handelsverträge ist, und vor Allem, ob diese Steigerung anhält oder zunimmt, mufs die Zukunft lehren; unser Verhältnifs zu Nordamerika ist z. B. ein mehr als zweifelhaftes, und hat die Ausfuhr dorthin so sehr abgenommen, dafs man deren baldiges Ende vor Augen hat; jedenfalls geht es der ge- sammten Industrie in Deutschland schlecht. * Die Mittheilung der Einzelheiten der Gesetzes bildung in Luxemburg würde über den Rahmen dieser Zeitschrift hinausgehen.