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300 Stahl und Eisen. Zum Etat der Eisenbahnverwaltung im Preu/s. Abgeordnetenhause. 15. März 1900. Bei einem Hülfsmittel für unser Eisenbahnwesen, welches die Grundlage des ganzen Verkehrs bildet, ist meines Erachtens nichts nothwendiger, als das zu thun, was schon lange vor uns die französischen und ein Theil der amerikanischen Bahnen gethan haben, und gerade dieses Ver kehrsmittel einer sehr aufmerksamen und dauern den wissenschaftlichen und praktischen Prüfung zu unterwerfen. Es ist für mich als Ingenieur etwas be schämend, zu erfahren, dafs wir in der Beziehung, die wir doch das gröfste Eisenbahnnetz der Welt, in einer Hand die gröfste Zahl von Locomotiven besitzen, eigentlich noch nichts gethan haben. Ich hoffe, dafs die Anträge, die meines Wissens seitens einzelner Directionen gestellt sind, in Zu kunft wohlwollendere Aufnahme finden; denn die Ausgabe von 60-, 70- oder 100000 6 kann in keiner Weise in Betracht kommen bei so viel Millionen, die unsere Locomotiven kosten, und bei denen jede Verbesserung ins Unendliche sich vervielfältigt. Der Betriebscoefficient unserer Eisenbahnen hat sich seit einigen Jahren dauernd verschlechtert. Diese Verschlechterung hat vorwiegend ihren Grund in den höheren Löhnen und höheren Material preisen. Jede derartige Verschlechterung ruft um so dringender das Bedürfnifs hervor, Ersparnisse nach anderer Richtung im Betriebe und der Technik zu machen. In der Beziehung kann ich der preufsischen Eisenbahnverwaltung nicht das Zeugnifs ausstellen, dafs sie an der Spitze steht und dafs sie gar in technischen Verbesserungen den ersten Rang unter allen Eisenbahnverwaltungen einnimmt. Den Anspruch, dafs sie das thut, glaube ich wohl erheben zu können; denn das gröfste Eisenbahnnetz der Welt in einer Hand kann auch in der Richtung führend vorangehen und mufs ohne Bedenken jährlich eine ganze Anzahl von Millionen für Verbesserungen und Versuche aufwenden können. Selbst wenn sich diese Ausgaben auf 6 Millionen jährlich belaufen sollten, so rentiren sie sich in einer Weise, dafs man ohne Bedenken denselben zustimmen kann, und ich möchte wünschen, dafs unsere Eisenbahn verwaltung nach der Richtung etwas muthiger und rascher voranginge. Wenn ich von technischen Verbesserungen und Veränderungen rede, so ist es naturgemäfs, dafs ich dabei von der Anwendung der Elek- tricität sprechen mufs. Leider mufs ich auch hier feststellen, dafs wir nicht an der Spitze der Prüfung der Anwendung dieser modernen Kraft stehen, Prüfungen, die nothwendig sind, um fest zustellen, inwieweit dies Gebiet unserm Eisen bahnverkehr nützlich gemacht werden kann. Amerika ist uns vor, die französischen Bahnen haben seit langen Jahren wichtige und kostspielige Versuche gemacht, ebenso Italien, auch auf den Pfälzer Bahnen hat man seit 3 Jahren eingehende Versuche gemacht. In Preufsen hat man sich darauf beschränkt, einer Privatgesellschaft die Er- laubnifs zu geben, vom 1. April an auf einer preufsischen Bahn derartige Versuche anzustellen. Ich meine: die Wichtigkeit des Gegenstandes steht nicht im Verhältnifs zu diesen Leistungen. Ich bin weit entfernt, elektrischen Betrieb ohne weiteres einführen zu wollen, aber diese Versuche müssen von einer so grofsen Eisenbahnverwaltung wie der preufsischen in erster Linie angestellt werden. Es sind doch nicht blofs die Resultate der Versuche, es ist auch die Summe von wichtigen Erfahrungen, die während solcher Versuche von den Beamten gesammelt und in der Zukunft für unser Eisen bahnwesen verwerthet werden. Es ist in der Commission seitens eines Re- gierungs-Commissars bestritten worden, dafs die Versuche der Pfälzer Bahn ein ökonomisches Resultat erzielt hätten. Wenn mir schon diese Behauptung auffällig erschien gegenüber der That- sache, dafs die Pfälzer Bahn nach dreijährigen Versuchen endgültig dazu übergeht, Accumulatoren- wagen für den Localverkehr einzuführen, so kann ich, nachdem ich mich inzwischen in Ludwigs hafen erkundigt habe, jetzt noch bestätigen, dafs die Pfälzer Bahn diese Versuche jetzt als ab geschlossen betrachtet und an die endgültige Ein führung geht, nachdem sie die feste Ueberzeugung gewonnen hat, dafs auch in ökonomischer Be ziehung gute Resultate zu erzielen sind. M. H., wenn ich an die vielen kleinen Bedürfnisse in unserm Lande denke, an die Pflege des Local verkehrs, dessen es noch in so vielen Richtungen ermangelt, dann kann ich mir kein zweckmäfsigeres Hülfsmittel vorstellen als das, welches heute die Pfälzer Bahn auf zwei ihrer Strecken dauernd zur Einführung bringt. Es wird uns durchaus nicht schwer werden, ähnlich vorzugehen; denn in unseren vielen elektrischen Gentralstationen haben wir überall die Kraft, die wir brauchen, und die Ausnützung der gröfseren Stationen würde eine viel vortheilhaftere sein, wenn sie, anstatt blofs des Abends Licht zu geben, am Tage in vollstem Umfange zur Kraftabgabe benutzt würde. Ich möchte der Regierung dringend empfehlen, nach der Richtung endlich in ein Versuchsstadium und womöglich bald in ein Definitivum zu treten, damit die zahlreicheren kleineren Bedürfnisse be friedigt werden können. Dies Ziel kann natürlich nur in einfachster Weise und Ausführung mit möglichst wenig Bedienungsmannschaften, aber durch zahlreiche Verbindungen erreicht werden. M. H., wenn von dem Herrn Minister vielfach über die grofsen Anlagen von Kapitalien, die unser Eisenbahnwesen in den letzten Jahren er forderte, geklagt worden ist, so hat diese Klage ja eine gewisse Berechtigung, Nach meiner An sicht hat sie aber nur nach der Richtung eine Berechtigung, dafs in den meisten Fällen diese Kapitalien in ihrer Höhe zu eng begrenzt gewesen