Volltext Seite (XML)
15. Februar 1900. Die Seekabel im Weltoerkehr u. s. w. Stahi und Eisen. 217 augenblicklichen englischen Interesse leiten lassen würde. Diese Ansicht wird in England durchaus ernst genommen, was daraus hervorgeht, dal's die englischen Kriegsschiffe mit der maschinellen Einrichtung und den Geräthen zum Aufgreifen von Kabeln in tiefer See schon im Frieden aus gerüstet sind, um sich durch Uebung die dazu erforderliche Erfahrung und Geschicklichkeit für den Kriegsgebrauch eines zum Zerschneiden des Kabels eingerichteten Greifankers anzueignen. Das Journal des Debats berichtete im October 1895: Die Engländer scheinen die Meere, in denen sie ihre Kabel versenkt haben, als ihnen unumschränkt zugehörige Gebiete zu betrachten. Dies beweist die Unverfrorenheit, mit der sie kürzlich und ohne ersichtlichen Grund unser Mayunga (auf Madagascar) und Mosambique verbindendes Kabel auffischten und nach Prüfung desselben wieder in die Tiefe sinken liefsen. — Mehr als andere Seestaaten hat Frankreich durch seinen ausgedehnten Colonialbesitz unter dem englischen Kabelmonopol zu leiden, da es versäumte, sich rechtzeitig mit einem Kabelnetz nach allen seinen überseeischen Besitzungen zu versorgen. Die Gesammtstrecke der unter fran zösischer Verwaltung stehenden Seekabel beträgt gegenwärtig 31 205 km, davon gehören der Re- gierung 9315, den Gesellschaften 21890 km, von diesen sind eine Anzahl Kabel zwischen Marseille und den Küstenstädten Algiers, sowie je ein Kabel zwischen 'Teneriffa und St. Louis am Senegal und zwischen Mosambique und Mayunga staatlich, alle anderen gehören der Compagnie Frangaise des Cäbles Sousmarins in Paris, die eine jährliche Subvention von 800 000 e(6 vorn Staate erhält. Es sind transatlantische Kabel nach Nord- und Mittelamerika, die Anschlüsse nach Südamerika haben. 1893 wurde ein Kabel zwischen Neucaledonien und dem australischen Festlande verlegt. Damals setzte eine von den französischen Kabelfabricanten geschürte lebhafte Bewegung zum Zwecke der telegraphischen Ver- bindungsämmtlicher französischen Colonien mit dem Mutterlande ein, um das englische Kabelmonopol zu durchbrechen. Die Bewegung hatte jedoch nur das Ergebnifs, dal's ein Kabel von Tamatava auf Madagascar nach den Inseln St. Mauritius und Reunion verlegt wurde, dessen Herstellung fran zösische Kabelfabricanten zu einem anderthalbmal höheren Preise, als das Angebot englischer Fabri canten betrug, in Auftrag erhielten. * Damit wurde das Gedeihen der eben begonnenen Entwicklung aufgehalten, bis vor wenigen Wochen die Regierung von Cochinchina die Legung eines Kabels von Saigun nach Port Arthur zum Anschlufs an die sibirische Ueberlandslinie der „Store Nordiske Telegraf Selskab" in Kopenhagen beschlofs, um * „Elektrotechnische Zeitschrift“ vom 21. 1899 Heft 51 S. 881. IV.20 I so unter Umgehung der englischen Kabel Ver bindung mit Frankreich zu erhalten. Inzwischen ist auch hier unter dem frischen Eindruck der über den telegraphischen Verkehr nach Südafrika verhängten englischen Censurmafsregel die Be wegung zur Gründung unabhängiger Kabel wieder lebhaft in Flufs gekommen. Am 3. Dec. 1899 fand im Handelsministerium zu Paris die Berathung eines Planes zur sofortigen Her stellung von 9 Kabellinien statt, durch welche alle französischen Colonien mit dem Mutterlande ohne Benutzung englischer Linien verbunden werden sollen. Die Kosten sind auf 100 Mil lionen Francs veranschlagt. Es finden zunächst Erhebungen darüber statt, ob es zweckmäfsiger sei, das geplante Kabelnetz in staatlichen Betrieb zu nehmen, oder es Privatgesellschaften zu übertragen. Daneben wird aber, wie oben erwähnt, der Plan einer telegraphischen Ueberlandsverbindung zwischen Frankreich und seinen indochinesischen Besitzungen durch Rufsland, Sibirien und China mit wachsender Unterstützung erörtert, der be sonders den Wünschen der französischen Colonien selbst zu entsprechen scheint. China ist mit Rufsland durch drei, in nächster Zeit sogar durch vier festländische Telegraphenlinien verbunden, deren Tarif erheblich niedriger ist, als derjenige der Seekabel. Es würde sich also darum handeln, dafs Frankreich durch Verhandlungen mit China und Rufsland das Recht zu erlangen sucht, eine eigene Leitung durch China herzustellen, die in eine der russischen Telegraphenstationen einläuft und so den Ueberlandsweg zwischen Frankreich und seinen Colonien in Ostasien herstellt. Das Unternehmen würde sich, wie man meint, ent weder durch die Staatsverwaltung oder durch eine Telegraphengesellschaft mit Staatsunter stützung verwirklichen lassen. England verdankt die grofsen Erfolge seiner Kabelunternehmungen nicht nur der Initiative seiner Kabelgesellschaften, sondern hauptsächlich der materiellen und moralischen Unterstützung derselben durch seine Regierung, welche an die Kabelgesellschaften jährlich etwa 5 Millionen Mark Subventionen zahlt. Natürlich finden dabei die Wünsche der Regierung, die in erster Linie das strategische Interesse im Auge hat, dabei in der bereits geschilderten Weise Berücksichtigung. Deutschland befindet sich in Bezug auf tele graphische Verbindung mit seinen Colonien in ähnlicher Lage, wie Frankreich, darum ist es begreiflich, dafs sich auch bei uns das Bedürfnifs nach Befreiung von der englischen Abhängigkeit geltend gemacht hat. Das prophetische Wort Kaiser Wilhelms: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser!“ ist das wegweisende Motto für die deutsche Weltpolitik, die mit zwingender Noth wendigkeit aus dem deutschen Colonialbesitz, der Entwicklung der deutschen Grofsindustrie und 3