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Beilage zu Rr. 8 des „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenstock, den 17. Januar 1891. Harte Köpfe. Erzählung aus dem Schwarzwald von Oskar Höcker. (Schluß.) Den Grund für die Erregung hatte man indessen heute ganz anderswo zu suchen. Anton Jörger war nämlich in der Kirche gewesen, hatte seine Nichte Afra freundlich gegrüßt und sogar ein paarmal nach dem Bruder Crispin hingesehen. Nach dem Gottesdienst hatte Anton'.-mit dem Pfarrer gesprochen und ihm für die schöne, ergreifende Predigt gedankt. Es mußten sich in dem Jörger'schen Hause ganz seltsame Dinge vollzogen haben, um eine derartige Wandlung begreif lich erscheinen zu lassen. Bor Antons Wohnhause standen denn auch zahlreiche Gruppen neugieriger Dorfbewohner, die durchaus hinter die Lösung des Räthsels kommen wollten, das ihnen als ein Geheim- niß erschien. „Ich wundere mich jetzt über nichts mehr," äußerte ein alter Bauer, „mag da kommen, was da wolle." Trotzdem sollte noch der nämliche Tag den guten Mann Lügen strafen. Crispin war gleichfalls hochüberrascht aus der Kirche zurückgekehrt. „Ich hätte eher des Himmels Einsturz erwartet," sagte er zu Afra, die äußerst lustig und aufgeräumt erschien, sehr häufig zum Fenster hinaus sah, hin und wieder aber auch eine kleine Ungeduld zeigte. Der Postbote hatte wiederum vom Advokaten in der Stadt ein Schreiben gebracht, das Crispin aber erst nach beendetem Gottesdienst erbrechen wollte. Er mochte sich seine andächtige Stimmung nicht durch weltlichen Aerger verderben. Was konnte das Schrei ben anders enthalten, als den abermaligen Ausdruck des Bedauerns von Seiten des Advokaten, daß Crispin den Prozeß voraussichtlich auch in der dritten und letzten Instanz verlieren werde. Mit dem festen Vorsatz, sich in keinerlei Weise über den Inhalt des Brieses zu erregen erbrach Cris pin das Schreiben. Dasselbe enthielt nur wenige Zeilen; doch diese waren bedeutsam genug, denn der Rechtsanwalt zeigte seinem Klienten an, daß Anton Jörger, wider alles Erwarten, auf die Weiterführung des von ihm schon halbgewonnenen Prozesses verzichte, seinem Bruder das Recht, den über dessen Wiese führenden Weg zu kassiren, einräume und sich zur Tragung sämmtlicher Unkosten verpflichte. Crispin war sprachlos. Er winkte die Tochter zu sich heran und überreichte ihr den geöffneten Brief. --Auch Afra zeigte sich erstaunt, aber sie klatschte fröhlich in die Hände und rief: „Das ist schön und edel von dem Onkel!" Nach einer Weile der Ueberlegung sagte Crispin: „Ich weiß recht gut, woher der plötzliche Edelmuth kommt." Afra blickte ihn fragend an. „Es ist so eine Art stummen Dankes, daß ich Anton aus schwerer Lebensgefahr errettete. Er ist zu stolz, um den Dank in Worte zu kleiden, und er ist jetzt sicherlich fest davon überzeugt, daß er furchtbar edclmüthig gehandelt und meine Gutthat mehr als wett gemacht habe." „Wie kannst Du nur so sprechen, Vater," versetzte Afra unwillig, beide Arme in die Seite stemmend. „Der Oheim und die Tante, ja, sogar der Joseph haben Dir schon längst ihren herzlichen, aufrichtigen Dank ausgesprochen." „Oho," rief Crispin, „da müßte ich doch auch et was davon wissen!" „Ach," versetzte Afra kleinlaut, während sie immer wieder verstohlen durch das Fenster blickte, „ich habe gänzlich vergessen, es Dir mitzuthlilen." „Was denn zum Kuckuck?" „Ei nun," berichtete die Tochter zögernd, „daß unsere Verwandten Gerold Classen den Auftrag er- theilten. Dir ihren Dank auszusprechen." „So,"'erwiderte Crispin gedehnt, „woher weißt Du denn das?" „Je nun — von dem Gerold selbst." Crispin sprang empor. „Von dem Verwalter?" wiederholte er in einem Tone, dem man es anmcrkte, daß er an die Wahrhaftigkeit der Aussage seiner Tochter nicht recht glaube. „Ihr Beide geht Euch ja geflissentlich aus dem Wege, wie könnt Ihr Euch da getroffen haben?" Afra zuckte die Achseln und sagte: „Drüben im Bergwald steht die Mooshütte, dort hin gehe ich seit letzterer Zeit gern. Weiter oben durchforstet Gerold. Wenn er wieder heimkchzt, muß er an der MooShütte vorbei — na, da sah er mich, und ich sah ihn, und er redete mich an, und als ein wohlerzogenes Mädchen antwortete ich ihm —" „Hm, hab' bisher noch nicht gewußt, daß meine Blitzhex so gar wohlerzogen ist, — ich machte mir immer Vorwürfe, sie schlecht erzogen zu haben." „O nein, Vater," rief Afra lustig, „von diesem Vorwurf spreche ich Dich frei." „Ei, Du bist außerordentlich gütig. Na was geschah denn nun weiter mit Dir und Gerold?" „Wie gesagt, er überbrachte mir den Dank unserer Verwandten." „So," meinte Crispin, „und weiter habt ihr mit sammen nichts gesprochen?" „Aber Vater, wie neugierig Du bist!" „Warum siehst Du heute so oft durchs Fenster?" fragte Crispin. „Weil — weil," stotterte Afra verlegen, „je nun, ich erwarte Jemanden —" Sie vollendete den Satz nicht, ward aber Plötzlich purpurroth. Gleich nachher öffnete sich die Thüre und Suse trat ein. „Denken Sie nur," rief sie Crispin zu, „der Ver walter von drüben ist da rind will mit Fräulein Afra sprechen. Nicht wahr, ich soll ihn rundweg abweisen?" „Daß Du Dich nicht unterstehst!" befahl Afra schnell. „Selbstverständlich," wandte sie sich dem Vater zu, „werde ich ihn nur empfangen, wenn Du es gestattest." „Wie artig meine Blitzhex ist," schmunzelte Cris pin, die Wange seines Lieblings sanft streichelnd, „möchte es aber totzdem nicht tiskiren, nein zu sagen. — Der Verwalter mag kommen," rief er Suse zu, die sich kopfschüttelnd entfernte. „Meine Gegenwart," wandte er sich wieder an die Tochter, „ist wohl nicht nöthig und somit kann ich gehen —" „Bleib' aber in der Nähe, Vater," bat Afra, ihn bis zu der in die Kammer führenden Thüre be gleitend. „Wenn ihr Euch zankt," gab Crispin launig zu rück, „so will ich schon dazwischen fahren." Er war kaum verschwunden, als Gerold durch die andere Thüre eintrat. Er hatte sich festlich gekleidet und seinen Frack hervorgesucht, der schon seit längerer Zeit unbenutzt im Schrank gehangen. Er tnig sogar eine weiße Binde, die den feierlichen Eindruck bedeutend erhöhte. Er verneigte sich gegen die lächelnde Afra so ceremoniell, wie er es einst in der Tanzstunde ge lernt, dann begann er in tiefem Tone: „Sie haben den Wunsch ausgesprochen, daß ich Ihnen jenen Mann vorführen soll, von welchem ich überzeugt bin, daß er Ihnen gefallen wird. Ich komme hiermit Ihrer Aufforderung nach." „Das ist sehr schön von Ihnen," erwiderte Afra, welcher jetzt der Schalk im Nacken saß. „Wollen Sie also die Güte haben und den Herrn hereinrufen?" Gerold sah einigermaßen verblüfft aus und es fiel Afra schwer, das Lachen zu unterdrücken. „Verzeihen Sie," sagte er endlich, „der Herr steht bereits vor Ihnen." „Wie," rief Afra mit erkünsteltem Erstaunen, „Sic sind es selbst?" „Ja, ich bin es selbst." „Sie sind aber sehr eingebildet, Herr Classen." „Meinen Sie? Je nun, ich bilde mir wenigstens ein, Ihren Geschmack getroffen zu haben." „Unsere Ansichten," erwiderte Afra, „sind aber von jeher grundverschiedene gewesen —" „Mag sein, aber in dem einen Punkte stimmen sie jedenfalls überein." „Wollen Sie sich nicht deutlicher erklären?" „Mit Vergnügen," entgegnete Gerold, sich räu spernd und mehrere Male an seiner Halsbinde zupfend. „Haben Sie, als Sie sich in der Pension zur höheren Tochter ausbildeten, nicht auch Physik gehabt?" „Allerdings," antwortete Afra mit verwundertem Lachen. „Sie werden da gewiß auch gelernt haben," fuhr Gerold fort, „daß sich die Extreme berühren. Die Körper können die verschiedensten Eigenschaften be sitzen und trotzdem einander anziehen. Diese physika lische Eigenthümlichkeit findet auch auf uns Anwend ung. Unsere Charaktere weichen stärker von einander ab, wie die Magnetnadel bei einem Gewitter, trotz dem aber sympathisircn unsere Herzen. Wir haben uns gezankt, uns verfeindet und sind einander doch von Herzen gut." „Glauben Sie?" fragte Afra leise. „Ich lege meine Hand darauf in'S Feuer." „Nun," versetzte Afra schalkhaft, „ich will Ihnen nicht widersprechen, denn ich bin heute sehr heiter gestimmt. Aber um noch einmal auf die Physik zu- rückzukommcn: wenn die Körper sich auch anziehen, so bleiben ihre einander widerstrebenden Eigenschaften doch bestehen. Mithin würden auch wir uns in der Ehe zanken, streiten und verfeinden." „Zanken," wiederholte Gerold, „das wäre möglich, das kommt wohl auch in der besten Ehe vor. Aber verfeinden? Niemals!" „Wie können Sie das so bestimmt behaupten?" „Fräulein Afra," begann Gerold jetzt in herz lichem Tone, indem er ihre Hand ergriff, „gedenken Sie noch der herrlichen Predigt, die wir vor ein paar Sonntagen in hiesiger Kirche mit angehört? Der Geistliche sprach über den schönen Spruch: «Lasset die Sonne nicht im Zorn über euch untergehen." Möchte ich mich mit meinem Weibchen während des Tages auch noch so viel gezankt und gestritten haben, am Abend würde ich ihr doch versöhnend die Hand reichen und ihr eine freundliche gute Nacht bieten. Würden Sie das nicht auch thun?" „Wenn er zuerst käme — ganz gewiß." „Nun," rief Gerold lustig, „und er käme gewiß zuerst, verlassen Sie sich darauf, denn — der Ver nünftigere giebt immer nach." Sie schlug ihm lachend auf die Hand und schalt ihn einen lieben Narren. Als er aber fragte, ob er bei dem Vater um sie werben dürfe, antwortete sie: „Mein Himmel, so rasch wollen Sie vorgehen? Sie haben mir ja noch nicht einmal die Kur gemacht und das ist doch das Schönste für uns Mädchen." „Ich werde das Versäumte in unserer Ehe nach holen," versicherte Gerold, worauf sie es ruhig ge schehen ließ, daß er einen Kuß auf ihre Lippen drückte. In holder Verwirrung eilte sie sodann auf die Kammerthüre zu und rief hinein: „Vater, komm rasch — Herr Classen hat Dir etwas sehr wichtiges zu sagen!" Gerold lachte und wollte sie zum zweiten Mal küssen, aber sie entwand sich ihm geschickt und war wie der Blitz zur anderen Thüre hinaus. Der eintretende Crispin erwiderte Gerolds freund lichen Gruß und blickte dann verwundert im Zimmer umher. „Wo ist sie denn?" fragte or. „Sie hat ihr Heil in der Flucht gesucht," bemerkte Gerold, „und mich zu ihrem Vertheidiger erwählt." „Ich liege ja mit ihr in keinem Prozeß," gab Crispin wohlgelaunt zurück. „Gewiß nicht, allein sie hat so sonderbare An sichten, die vielleicht nicht Ihren Beifall findenda ich aber dieselben zufällig theile, so —" „Das nimmt mich Wunder," unterbrach Crispin, „Sie konnten sich doch sonst nicht mit meiner Blitz hex verstehen." „Das war nur 'Neckerei." „So?" „Ja, Sie kennen gewiß das alte Sprüchwort?" „Kann mich eben nicht besinnen." „Was sich liebt — das neckt sich!" „Wirklich? Das ist mir neu. Als die ärgerliche Geschichte zwischen uns noch nicht vorgefallen war, liebte ich Sie doch auch, fast wie einen Sohn, aber geneckt haben wir einander nicht." „Das kommt eben nur zwischen Männlein und Weiblein vor," erwiderte Gerold rasch, worauf Cris pin so herzlich lachte, daß er sich aufs Sopha setzen mußte. „So wollen Sie meine Blitzhex also am Ende gar heirathen?" platzte er heraus. „Sie würde es wenigstens nicht ungern sehen." „Ich kann doch mein Kind nicht einem Manne geben, der Verwalter auf einem Gute ist, mit dessen Besitzer ich in Feindschaft lebe?" „Jh," erwiderte Gerold lustig, „wer weiß, ob diese Feindschaft nicht ein rasches Ende nimmt; außer dem bin ich gern bereit, mein Wissen und Können meinem verehrten Herrn Schwiegervater anzubieten." „Potz Wetter, Sie gehen rasch vor." „Das macht unsere Zeit, da geht alles mit Dampf." „Nun, meinetwegen denn," sagte Crispin ent schlossen, „die Blitzhex mag hereinkommcn." Damit schritt er der Ausgangsthüre zu, stieß aber mit der hereinstürzenden Suse unsanft zusam men, welche mit den Worten auf den nächststehenden Stuhl sank: „Ach, du grundgütiger Himmel, die Welt geht unter. Herr Jörger, erschrecken Sie nicht, hinter mir kommt ein Geist!" Hatte die Alte die Wahrheit gesprochen? Crispin fuhr in der That zurück, als ob er eine überirdische Erscheinung erblickt hätte. Es war aber auch kein Wunder, daß ein so jäher Schreck ihn überkam, denn auf der Schwelle erschien die lange, hagere Gestalt seine« „seligen Bruders" Anton, der ihn mit freundlichem Ernst anblickte. Gerold schlich schnell mit Suse hinaus, um die Brüder allein zu lassen. Er fand auf dem Hofe reiche Entschädigung für die Unterdrückung seiner be rechtigten Neugier. „Guten Tag, Bruder Crispin," begann der ältere Jörger. „Grüß Dich Gott, Bruder Anton," erwiderte der Jüngere. „Ich ersuche Dich, mir zu gestatten," fuhr Anton fort, „daß ich Dir persönlich meinen Dank für Deine