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278 Stahl und Eisen. Der amerikanische Wettbeiverb und die Frachtenfrage. 15. März 1898. Die neuesten Erfahrungen in den Vereinigten Staaten führen dahinaus, dafs man auf allen Bahnen, auf welchen Massentransporte zu bewältigen sind, schwere Züge mit grofsen Güterwagen einrichtet. So erhielt im vorigen Herbst die Schoen Co 600 aus Flufseisen gebaute Wagen von je 100000 Pfund (= rund 45 t) von der Pittsburg Bessemer Lake Erie-Eisenbahn und weitere fünfzig Stück von der Pittsburg Lake Erie-Bahn in Auftrag, während die Pennsylvania-Bahn damit umgeht, Wagen für Kohlentransport von 110 000 Pfund Tragfähigkeit bei nur 30 Fufs Länge einzustellen. Wenn man nun, der amerikanischen Rechnung folgend, einen Zug von 30 Wagen zu je 45 t zu Grunde legt, so würde derselbe 1350 t zu schleppen vermögen, während das todte Gewicht der Wagen auf rund 460 t angegeben wird. Wollten wir in Deutschland eine gleich grofse Last fort schaffen, so bedürften wir dazu von unseren 121/2-t-Wagen 108 Stück, welche ein Eigengewicht von 2- bis 300 t mehr als der aus dreifsig 45-t-Wagen bestehende amerikanische Zug haben würden. Rangirt man die deutschen Wagen in zwei Zügen, so würde noch jeder für sich länger als der amerikanische Einzelzug sein. Welche hohen praktischen Vortheile die letztere Zuganordnung vor der ersteren hat, liegt auf der Hand. Ich rege diese Frage hier an, trotzdem mir wohl bekannt ist, dafs die versuchsweise ein geführten gröfseren Wagen, sogar die 15-t-Wagen schon, bei einem Theil der Verfrachter wenig beliebt sind. Wollen wir aber wettbewerbsfähig bleiben, so hat unsere auf der Massenbewegung beruhende Industrie alle Veranlassung, auf vorübergehende Unbequemlichkeiten nicht zu achten, welche in dem Uebergangsstadium unvermeidlich sind, und ihr durch Anpassen an neue Transporleinrichtungen ohne Zweifel erwachsen werden. Zur letzteren ist auch die Einführung von Specialwagen für die Hochofenindustrie zu rechnen. Ich halte dafür, dafs es gerade jetzt an der Zeit ist, die vielen Fragen aufzurollen, welche hierbei in Betracht kommen und welche das Interesse der Eisenbahn behörde und der Grofsverfrachter gleichmäfsig in Anspruch nehmen, und bin ich dieser Ansicht um deswillen, dafs bei letzteren allenthalben sich die Einsicht Bahn gebrochen hat, dafs unsere Staats eisenbahn vor umwälzenden Veränderungen steht, sofern sie den wachsenden Bedürfnissen des Verkehrs gerecht wird, d. h. einfach die Pflicht thun will, welche ihr als Staatsbehörde und Inhaberin des Verkehrsmonopols obliegt. Durch mehrere bedeutsame Kundgebungen ist die Ueberzeugung, dafs in unserem Verkehrs wesen ein neuer Geist, den ich im wesentlichen als einen solchen bezeichnen möchte, der weniger fiscalisch als der alte sein müfste, Platz greifen müsse, in letztverflossener Zeit öffentlich zum Ausdruck gekommen und damit sind auch gleichzeitig die Mittel angedeutet, die bei Durchführung der Um gestaltung in Anwendung zu bringen sind. Herr Gommerzienrath Haarmann hat in einem in Berlin vor dem Verein für Eisenbahnkunde gehaltenen Vortrag in geistvoller Weise ausgeführt,* wie im Eisenbahnwesen Betriebssicherheit und 'Oekonomie sich gegenseitig bedingen, und einen guten Oberbau unter Hinweis darauf gefordert, dafs im Laufe der letzten Jahre unser rollendes Material an Gewicht erheblich zugenommen hat und die Geschwindigkeit der Züge gröfser geworden ist, dafs dagegen von 1880/81 bis 1895'96 das Durchschnitts gewicht der Schienen aller vollspurigen deutschen Bahnen um mehr als 4 % zurückgegangen ist. In erster Linie forderte Vortragender, dafs der Oberbau sich durch Schwere und Steifigkeit der Schienen in einem höheren Verhältnifs, als es seither der Fall war, auszeichne; weiter fordert er thunliche Vermeidung der Schienenstöfse, entsprechendes Material und kunstgerechte Verlegung ;m Schotter. Eine werthvolle Ergänzung zu diesen Ausführungen bieten die hochinteressanten Ergebnisse, zu welchen mein verehrter College, Hr. Bergmeister Engel, gelangt ist, indem er der im Herbst ver flossenen Jahres wie alljährlich um diese Zeit brennend gewordenen Frage des Wagenmangels nach ging. Seine Untersuchungen erstrecken sich auf die Zeit von 1885/86 bis 1895/96; sie ergeben, dafs die durchlaufende gesammte Geleisentwicklung mit der inzwischen sich vollzogen habenden Verkehrs zunahme keinesfalls Schritt gehalten habe und dafs der Wagenmangel nur die Erscheinungsform der Verkehrscalamität sei, ihre Ursache aber tiefer, nämlich einmal in der mangelnden Geleisentwicklung, vor Allem aber in dem zögernden Vorgehen der Staatseisenbahnverwaltung gegenüber den Forderungen der Verkehrsentwicklung liege. In einer sehr zeitgemäfsen Denkschrift, welche der „Centralverband deutscher Industrieller“ kürzlich an das preufsische Abgeordnetenhaus gerichtet hat, wird Erweiterung bezw. Neuanlage der Bahnhöfe, die Vermehrung der Geleise und der Bau von Parallel bahnen als dringend geboten bezeichnet. Die Ausführungen von Hrn. Engel haben z. Th. Widerspruch erfahren durch eine Abhandlung, welche unter dem Titel „Wagenmangel und Wasserstrafsen" von Hrn. Eisenbahndirections-Präsidenten * Vergl. „Stahl und Eisen“ 1898 Nr. 2 und „Glasers Annalen f. G. u. B.“ 1897 Nr. 491.