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1. März 1898. Referate und kleinere Mittheilungen. Stahl und Eisen. 235 Referate und kleinere Mittheilungen. Eine Marinefrage. Die «Kölnische Zeitung“ schreibt u. a.: «Die Flottenvorlage, deren Berathung in den nächsten Tagen die Budgetcommission beschäftigen wird, lenkt die Aufmerksamkeit auf den ungenügenden Zuwachs für das technische Personal der kaiserlichen Werften, dem ein grofser Theil der Ausführung des Flotten bauprogramms und die kriegsbrauchbare Instand haltung der ganzen Flotte obliegt. Es befremdet, dafs nach dem neuen Marine-Etat noch fünfzehn Stellen des höheren technischen Werftpersonals aus früheren Jahren unbesetzt sind. Die Laufbahn ist allerdings schwierig und langsam im Vergleich zu anderen Be rufsarten; das rechtfertigt aber nicht die auffällige Erscheinung, dafs in den höheren Stellen gerade in den letzten Jahren Abgänge zu verzeichnen sind, die auch allerhöchsten Orts auffallend befunden wurden. Der Hauptgrund ist die Aussichtslosigkeit im Vorwärts kommen und der Mangel an gröfserer Selbständigkeit im höheren technischen Personal, da bei der heutigen Organisation der kaiserlichen Werften und des Reichs- Marineamts die leitenden Stellen ausschliefslich durch höhere Offiziere besetzt werden. Die sich mit der Entwicklung und Vergröfserung der Flotte gewaltig hebende Privatindustrie bietet beides, Vorwärtskommen und grofse Selbständigkeit, und es ist daher nicht zu verwundern, wenn ein höherer Marinetechniker, selbst nach längerem Staatsdienste, seine Stellung als Reichs beamter mit der einer gut besoldeten, leitenden und ganz selbständigen in der Privatindustrie vertauscht. Die Laufbahn des höheren Marinetechnikers schneidet jetzt, nachdem der neue Etat die Stelle eines vor tragenden Rathes nicht wiederbesetzt hat, mit dem Ressortdirector, im Range eines Oberbauraths, ab. Dieser Fall kennzeichnet die Aussichtslosigkeit im höheren Vorwärtskommen und mufs natürlich ver stimmend wirken. Es ist zu hoffen, dafs die Budget- berathungen diese Sache ins Auge fassen. Anderer seits berücksichtigt der Marine-Etat langgehegte und berechtigte Wünsche. Schon irn verflossenen Jahre wurden versuchsweise Bauführer und jüngere Bau meister des Schiffbaues an Bord der Geschwaderschiffe commandirt, um sich sowohl ein Urtheil über die Zweckmäfsigkeit der Schiffseinrichtungen zu bilden, wie auch als Techniker in ihrem Fache bei eintreten den Fällen zu wirken. Es werden jetzt drei Stellen für Schiffbaumeister verlangt, und zwar je eine für die Schiffsprüfungscommission, für die Kreuzerdivision und für das active Geschwader, mit der Begründung, «dafs die Aufgaben der schiffbautechnischen Mitglieder der Schiffsprüfungscommission infolge der zahlreichen Probefahrten neuer und umgebauter Schiffe einen Umfang angenommen hahen, dafs sie eine volle Arbeitskraft in Anspruch nehmen“. „Auf die Forderung von höheren Schiffbaubeamten für die dauernd im Dienst befindlichen Geschwader als schiffbautechnische Berather und Organe der Geschwaderchefs mufste bisher aus Mangel an Nachwuchs verzichtet werden. Bei der schnellen Entwicklung des Kriegsschiffbaues, sowie wegen der bei jedem Geschwader nicht nur im Kriege, sondern auch im Frieden dauernd zu lösenden rein technischen Aufgaben sind sie unentbehrlich, von besonderem Werthe aber bei vorkommenden Havarien und bei Ausführung von Schiffsreparaturen im Auslande.“ Durch die Etatisirung dieser Stellen werden also im neuen Rechnungsjahre zwei höhere Schiffbautechniker zu den Geschwaderstäben com mandirt werden, und es scheint, dafs durch die Ein reihung dieser Beamten in den Schiffsstab der erste Schritt dazu gethan werden soll, die noch völlig von einander verschiedenen Berufszweige — Seeoffiziere und Techniker — einander näher zu bringen und eine Regelung der militärischen Rangverhältnisse dieser Beamten herbeizuführen. — In den Erläute rungen zu den Personalforderungen unter Capitel 60 heifst es weiter: „Der Geschäftskreis der Torpedo ressortdirectoren ist allmählich so umfangreich ge worden, dafs eine Entlastung geboten ist. Diese soll mit Rücksicht auf die technische Selbständigkeit, den Umfang und die Bedeutung der zu den Torpedoressorts gehörigen technischen Betriebe durch Zutheilung eines Maschinenbaumeisters erreicht werden.“ Es werden daher für die kaiserlichen Werften in Wilhelms haven und Kiel je ein Maschinenbaumeister gefordert. — Die Begründung läfst allerdings nichts zu wünschen übrig, hätte jedoch andere Forderungen erwarten lassen, wie sie bei den Intendanturbeamten gemacht sind. Hier heifst es zur Begründung der Forderung für eine neue Intendanturrathsstelle: „Da das Personal der Intendanturen nur für den Dienst am Lande be messen ist und ausreicht, ist es nothwendig, für den Dienst an Bord eine Stelle in Zugang zu bringen, um das bestehende Verhältnifs der Zahl der Stellen für Assessoren zu derjenigen für Intendanturräthe dem Bedürfnisse näher anzupassen. Nun kommen aber auf jeden Intendanturassessor drei Rathsstellen, während auf drei Baumeister bezw. Bauinspectoren nur ein Baurath kommt. — Auch im mittleren tech nischen Personal der Marine liegen die Dinge nicht, wie sie sollen. Man hat den Beamten zwar den Titel technische Secretäre gegeben, aber die ersehnte Gehaltsaufbesserung bleibt aus. — Es will daher scheinen, dafs man dem gesammten Technikercorps in der kaiserlichen Marine immer noch nicht diejenige Stellung einräumt, die ihm zukommen sollte und ihm gerade jetzt eingeräumt werden müfste, wo das neue Flottengesetz wieder so grofse Aufgaben an diese Berufsklasse stellen wird. — Man könnte nun glauben, dafs die Marineverwaltung bemüht sei, offenbare Unzufriedenheiten im Marinetechnikercorps dadurch auszugleichen, dafs sie im neuen Etat die Summe von 25000 JI „als aufserordentliche Vergütung für be sonders hervorragende Leistungen auf dem Gebiete des Schiff- und Schiffsmaschinenbaues sowohl an Be amte als auch an besonders tüchtige Privattechniker“ ausgeworfen hat. Ganz abgesehen davon aber, dafs den Beamten bei dem beständigen Personalmangel keine Zeit verbleibt, sich mit aufserdienstlichen Ar beiten zu beschäftigen, ist ihnen, soweit unsere Kenntnifs über die Verhältnisse und Wünsche dieser Kreise reicht, weit weniger an dem Genufs derartiger materieller Vortheile gelegen, als an einer entsprechen den Würdigung ihrer ranglichen und persönlichen Stellung. Wenn es daher zu einer Reorganisation des technischen Beamtencorps der kaiserlichen Marine kommen sollte, so liegt es jedenfalls im engsten Inter esse derMarineverwaltung, die Wünsche dieser Beamten nach höherem Range und gröfserer Selbständigkeit zu erfüllen. Es ist anzunehmen, dafs die Marine verwaltung diesen Wünschen im allgemeinen zustimmt und nur bei anderen entscheidenden Stellen, wo sich die bekannte Gegnerschaft des Verwaltungselements gegenüber der mächtig aufstrebenden Technik zu er kennen giebt, auf Widerstand slöfst. Der frische Hauch, der jetzt im In- und Auslande durch die Marinepolitik weht, wird aber auch diese Spuren einer nicht mehr zeitgemäfsen Anschauung wegwehen.