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15. Januar 1898. Arbeitgeber und Socialreform. Stahl und Eisen. 91 Vorschriften erlassen werden. Wir erinnern nur daran, dafs erst mit dem 1. Januar 1898 für die Buchdruckereien die neuen Anordnungen über die Einrichtungen der Betriebe in Kraft treten werden. Es hat jahrelang gedauert, bis die allgemein ein schneidenden Bestimmungen des Gesetzes vom 1. Juni 1891 überhaupt erst durchgeführt waren. Wir erinnern in dieser Beziehung an die beiden Vorschriftenkategorien über die Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen, sowie über die Sonntagsruhe. Nur, wer die Klagen, die in den ersten 90er Jahren aus den ver schiedensten Gewerbszweigen ertönten, genau ver folgt hat, wird wissen, dafs mit diesen social politischen Neuerungen eine Unzahl von Scherereien und Beschwerlichkeiten für die Gewerbetreibenden verbunden war. Kein Berufszweig war sicher, dafs ihm nicht in allernächster Zeit ein Theil der Erwerbsmöglichkeit genommen würde, und es ist keine Frage, dafs die wirthschaftliche Depression, welche anfangs der 90 er Jahre zu beobachten war, zu einem Theile mit auf die dadurch hervor gerufene Verringerung der Unternehmungslust zurückzuführen ist. Mit der Gewerbeordnungs novelle vom Jahre 1891 aber war die Socialpolitik nicht abgeschlossen. Wir erinnern daran, dafs die am 1. Januar 1893 in Kraft getretene Kranken versicherungsnovelle den Arbeitgebern eine grofse Menge neuer Opfer zumuthete. Die Arbeitgeber haben sich das damals mehr oder weniger ruhig gefallen lassen. Als jedoch kaum nach dem Inkraft treten des neuen Krankenversicherungsgesetzes die Bemühungen der Regierung darauf gerichtet waren, die Unfallversicherung sowie die Invaliditäts- und Altersversicherung in der Weise auszugestalten, dafs den Arbeitgebern wieder neue Opfer zu Gunsten der Arbeiter zugemuthet wurden, da war es doch nicht weiter verwunderlich, dafs sich die Gewerbetreibenden die Entwürfe genauer ansahen, welche von der neuen Socialpolitik erzeugt wurden. Als diese neue Richtung auch die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Handelsgewerbe und Handwerk in Aussicht nahm und einen darauf bezüglichen Entwurf im Reichsanzeiger veröffent lichte, welcher erkennen liefs, dafs dem Handwerke und Handelsgewerbe schwere Opfer zugemuthet wurden, ohne dafs eine genügende Unfallgefahr in beiden Berufsgruppen festgestellt war, da erhob sich eine Opposition unter den Gewerbetreibenden, die eigentlich der Anfang des Widerstands gegen eine zu ausgedehnte und zu über eilte Socialpolitik war. Man sagte sich, dafs, wenn die Socialpolitik der Regierung, ohne sich die nölhigen Grundlagen für einen Opfer erhei schenden Gesetzentwurf zu verschaffen, Berufs ständen, die wahrlich nicht in der besten wirth- schaftlichen Lage sind, Lasten auferlegen wollte, diese Politik nicht richtig sein könnte; und die damalige Stimmung hat denn auch so viel bewirkt, dafs die Ideen, welche man für,die Reform der Unfall-, sowie Invaliditäts- und Altersversicherung hatte, nicht gleich im ersten Anlauf realisirt wurden. Dazu kam, dafs auf Grund von Vorschlägen der Commission für Arbeiterstatistik einzelne Gewerbszweige in einer Weise, belästigt wurden, die auch gar nicht im Interesse der Arbeiter selbst liegen konnte. Man verdrängte die jugend lichen Arbeiter aus den verschiedensten Berufs zweigen, man verhetzte Arbeitgeber und Arbeiter dadurch, dafs man die letzteren zu Denunciationen anhielt. Man störte gerade den Kleinbetrieben die Erwerbsmöglichkeit, kurz man machte sich so unbeliebt und hatte dabei so wenig positiven Erfolg für die Arbeiter selbst, dafs, wenn jetzt die Gewerbetreibenden Deulschlands bei der Re gierung das Verlangen gestellt haben, in der Socialpolitik eine Ruhepause eintreten zu lassen, das nicht etwa auf irgend eine Voreingenommenheit der Gewerbetreibenden zurückzaführen ist, son dern auf die Art und Weise der neueren Socialpolitik selbst. Solche grofse Neue rungen, die ja nicht blofs in die socialen, sondern auch sehr tief in die wirthschaftlichen Verhältnisse eingreifen, lassen sich nicht im Handumdrehen einführen, sie können auch nicht alle auf einmal oder in zu kurzer Zeit verwirklicht werden. Schon als in den 80er Jahren die Botschaft vom 17. No vember 1881 durchgeführt war, wäre die gröfste Veranlassung gewesen, zunächst einige Zeit abzu warten, bis sich die neue Versicherungsorganisation eingelebt und Arbeitgeber und Arbeiter sich mit den neuen Verhältnissen abgefunden hätten. Statt dessen verlegte man die socialpolitische Thätigkeit auf das Gebiet des Arbeiterschutzes und schuf auch hier Ansätze zu recht vielen neuen Ein richtungen. Wenn man die Erfolge der Gewerbe ordnungsnovelle vom 1. Juni 1891 aber einzeln überblickt, so werden sich selbst Freunde eines ausgedehnten Arbeiterschutzes sagen müssen, dafs die Ueberhastung der Durchführung des Werkes aufserordentlich schädlich gewesen ist. Man sehe sich beispielsweise danach um, was denn nun durch die Schaffung der Arbeiterausschüsse, durch die Bestimmung über die Auszahlung des Lohnes minderjähriger Arbeiter an deren Eltern und Vormünder, durch die Vorschriften über die Ueberwachung der minderjährigen Arbeiter auch aufserhalb des Betriebes u. s. w., wirklich geworden ist. Diese Ideen sind vollständig verkümmert: Qui trop embrasse, mal treint. Gerade deshalb aber sollte man sich auf der Seite der Anhänger der neuen Socialpolitik darangewöhnen, nicht stets neue Ideen auf dem Papiere verwirk licht haben zu wollen. Dadurch, dafs die Ideen Gesetz geworden sind, gehen sie noch nicht immer in Fleisch und Blut des Volkes über. Eine Socialpolitik aber, die blofs auf dem Papiere steht, hat einem Volke noch nie etwas genützt. Diese Richtung wird auch gut thun, nicht, wie dies thatsächlich geschehen