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15. Januar 1898. Arbeitgeber und Socialreform. 90 Stahl und Eisen Arbeitgeber und Socialreform Nachweis der letzteren Eigenschaft kann nur auf einem Vergleiche mit dem Vorhandenen beruhen, und da ich diesen in dem ersten Berichte ver- mifste, so glaubte ich mich zu der Erwiderung berechtigt, ohne zunächst so weitgehende Schritte Als die diesmalige Reichstagstagung eröffnet und die Thronrede, mit welcher der Kaiser die Eröffnung vollzog, bekannt geworden war, wurde auf - der Seite derjenigen Politiker, welche keine Reichstagstagung vorübergehen sehen möchten, ohne dafs verschiedene der Arbeiterfürsorge ge widmete Gesetze verabschiedet werden, Klagen darüber erhoben, dafs in der Thronrede der Socialpolitik mit keinem Worte Erwähnung ge- than sei. Man behauptete, es sei dies das erste Mal unter der Regierung Kaiser Wilhelms II. Nun ist es schon an sich unrichtig, dafs die diesmalige Thronrede die erste gewesen sei, welche der Arbeiterfürsorge nicht gedacht; im Gegentheil, die Socialpolitik hat ausdrückliche Erwähnung nur in den wenigsten Thronreden Kaiser Wilhelms II. gefunden. Der Vorwurf, in der Socialpolitik lässig zu sein, ist aber nicht blofs gegen die Regierung erhoben; es ist vielmehr von bestimmten Stellen, welche die Harmonie zwischen Arbeitgeber und Arbeiter gern gestört sehen, behauptet worden, dafs die Regierung, wenn sie mit der Weiter führung der Socialpolitik aufhöre, hauptsächlich den Wünschen der Arbeitgeber nachkomme. Die letzteren werden also als die eigentliche Ursache für die angebliche Stagnation auf socialpolitischem Gebiete bezeichnet. Socialdemokratische Abgeord nete haben bereits im Reichstage allen diesen Klagen Ausdruck gegeben, und man kann sicher sein, dafs in der nächsten Zeit auf der ganzen Linie derjenigen Socialpolitiker, welche am grünen Tische die schönsten Ideen produciren, dieselbe Tonart weiter gespielt werden wird. Es wird deshalb angebracht sein, auf diesen Vorwurf näher einzugehen. Zunächst darf festgestellt werden, dafs in der diesmaligen Reichstagstagung aufserordentlich wenige Gesetze zur Berathung gelangen werden, welche das Gewerbe überhaupt direct angehen. Man wird zu dieser Kategorie von Vorlagen höchstens den Postdampfersubvenlions-Entwurf und die neue Concursordnung rechnen können. Bei dem ersteren handelt es sich um eine weitere Hebung des Verkehrs und demgemäfs um eine Vermehrung der Mittel für den Absatz des deutschen Gewerbes, bei der letzteren um eine Beseitigung der Mifsstände, welche sich trotz des juristisch Beschaffung des Besseren erregt wird, aber der \ im Auge zu haben, wie sie Hr. Hörbiger in An ¬ vorzüglichen Wortlautes der alten Concursordnung im Concurswesen bemerklich gemacht haben. Es ist keine Frage, dafs die Regierung dem Wunsche der Gewerbetreibenden, die Gesetz geb un g sm asch in e etwas mehr in ihrer l Thätigkeit zu hemmen, Rechnung getragen hat. Wir hatten selbst vor kurzem die Wünsche, | welche das deutsche Gewerbe in dieser Beziehung hegt, auseinandergesetzt und können der Regierung nur Dank wissen, dafs sie dieselben in dieser Weise berücksichtigt hat. Zwar, solche Gesetze, wie die Postdampfersubventionsvorlage und die neue Concursordnung, könnten dem Gewerbe auch in gröfserer Anzahl frommen; aber wenn die ganze Tendenz der Gesetzgebung darauf ge stimmt wird, das Gewerbe nun einmal eine Zeit lang sich in die von der bisherigen Gesetzgebung vorgezeichneten Bahnen einleben zu lassen, so wird das Gewerbe im allgemeinen dagegen nichts einzuwenden haben. Auf socialpolitischem Gebiete wird in dieser Session voraussichtlich nichts oder wenig geleistet werden, das ist ziemlich sicher. Man darf daraus aber weder der Regierung noch den deutschen Arbeitgebern einen Vorwurf machen. Man mufs nur einmal einen Rückblick auf die socialpolitischen Ideen thun, welche seil dem Jahre 1890 verwirklicht sind. Die 80er Jahre waren bekanntlich damit ausgefüllt, die Ziele, welche durch die Kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 gesteckt waren, zu erreichen; mit dem Jahre 1890 begann eine neue Aera der Socialpolitik. Die Beurtheilung der Absichten dieser Socialpolitik ist innerhalb des Gewerbes verschieden; jedoch wird man kaum fehl gehen, wenn man behauptet, dafs die Mehrheit der deutschen Gewerbetreibenden der Ansicht ist, der Bogen sei bei dieser Gelegen heit etwas zu straff gespannt worden. Auch hat man sicherlich im Eifer zu viel auf einmal unter nommen. Wir brauchen ja nur darauf zu ver weisen, dafs mit der Gewerbeordnungsnovelle, welche im Jahre 1890 an den Reichstag gelangte und als Gesetz das Datum des 1. Juni 1891 trägt, eine Unmenge von neuen Vorschriften für die Gewerbetreibenden ins Leben gerufen ist, und dafs auf Grund dieses Gesetzes doch noch heutigen | Tages für die verschiedensten Gewerbszweige neue regung bringt. Ich erkläre mich aber gern bereit, zur Durchführung derselben das Meinige beizutragen, wenn dieselbe von der Praxis als wünschenswerth bezeichnet werden wird. R. M. Daelen.