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15. September 1900. Das österreichische Eisencarteil. Stahl und Eisen. 963 umfassender Weise Gebrauch gemacht, so wird ohne Zweifel die ganze Unfallversicherung noch mehr decentralisirt, als sie es bereits ist. Die Berufsgenossenschaften werden in dieser Hinsicht zu entscheiden haben. Jedenfalls kann von versicherungstechnischem Standpunkte aus diese Neuerung gerade nicht als zweckmäfsig an erkannt werden. Dagegen ist es mit Freude zu begrüfsen, dafs ein lang gehegter Wunsch der weitesten Kreise der Bevölkerung betreffs der Verwendung des Vermögens der Berufsgenossen schaften nun in Erfüllung gegangen ist. Die Lösung der Arbeiterwohnungsfrage ist eine sehr wichtige socialpolitische Aufgabe. Die ver antwortlichen Stellen im Reiche und in den Staaten, in den Gemeinden und den privaten Betrieben sind sich dessen auch vollständig be- wufst. Wenn man berücksichtigt, was auf diesem Gebiete schon seitens der verschiedenen Ver waltungen, von Genossenschaften, von privaten Unternehmern u. s. w. gethan wird, so wird man sich sagen müssen, dafs die Lösung der Aufgabe schon an vielen Stellen in Angriff genommen ist. Indessen kann die Zahl dieser Stellen gar nicht grofs genug sein, und wenn die Berufsgenossen schaften ihr eingereiht werden, so wird dies nur mit Freuden begrüfst werden können. Wie bekannt, haben die Versicherungsanstalten von Beginn ihrer Thätigkeit an bereits die Vollmacht gehabt, einen Theil ihres Vermögens zu Arbeiter wohnungszwecken zur Verfügung zu stellen. Dieser Theil ist durch das neue Invaliden versicherungsgesetz erhöht worden. Die Berufs genossenschaften waren bisher nicht in der Lage, in gleicher Weise vorzugehen. Sie werden es nunmehr können. Zwar werden auch nach der Erhöhung der Reservefonds die Kapitalien, welche die Berufsgenossenschaften für diesen Zweck zur Verfügung haben, bei weitem nicht so grofs sein, wie die der Versicherungsanstalten. Letztere haben jetzt schon ein Vermögen von über 700 Mil lionen, während die Reservefonds der Berufs genossenschaften sich etwa auf 150 Millionen Mark belaufen werden. Aber es ist zu erhoffen, dafs die Berufsgenossenschaften in der Behandlung der ganzen Frage sich nicht von den bureau- kratischen Gesichtspunkten werden leiten lassen, von welchen die Versicherungsanstalten hier und da noch allzusehr ausgehen, und es darf demnach gehofft werden, dafs, wenn die Berufsgenossen schaften einmal die Lösung dieser Aufgabe in Angriff genommen haben, ihr Beispiel auch die Ver sicherungsanstalten bewegen wird, mehr als bisher für die Angelegenheit zu thun. Wird die Arbeiter wohnungsfrage soweit als möglich gelöst, so ist sicherlich für den socialen Frieden viel gethan. Die N euerungen, welche die Unfallversicherungs novelle gebracht hat, werden, wie sie den Arbeitern gröfsere Bezüge bringen werden, so den Arbeit gebern neue Lasten aufbürden. Darüber kann ein Zweifel nicht sein. Obschon eine ganze Anzahl von neuen Bestimmungen sich hätte vermeiden lassen und manche sogar als unzweckmäfsig be trachtet werden müssen, so wird inan doch in berufsgenossenschaftlichen Kreisen mit Energie an die Lösung der neugestellten Aufgabe herangehen. R. Krause. Das österreichische Eisencartell. Den Ausgangspunkt für die Carteilbestrebungen der österreichischen Eisenindustrie, so schreibt G. J. Wischniowsky in der „Finanziellen und Assecuranz-Revue", bildete der Zusammenschlufs der österreichischen Schienenwalzwerke. Den Anstofs zur Bildung des Carteils der Schienenwalz werke bot die gleiche Ursache, welche jeder Cartell- bildung zu Grunde liegt, das ist die Ueber- production. Diese machte sich nach dem wirth- schaftlichen Rückschlag des Jahres 1873 um so intensiver geltend, als ihr ein continuirlich ab nehmender Bedarf gegenüberstand. Die natur- gemäfse Folge war ein vehementer Preissturz, indem jeder Producent nur darnach trachtete, un bekümmert um die Preise, seinem Werke Be schäftigung zu verschaffen. Nach jahrelangem Kampfe kamen die Producenten zur Erkenntnifs, dafs sie sich auch durch die, sogar die Selbstkosten unterschreitenden billigen Preise keine Mehrarbeit schaffen könnten, und dies weckte den Gedanken eines Zusammenschlusses der Schienenwalzwerke zu dem Zwecke, die wenige vorhandene Arbeit unter den Betheiligten aufzutheilen und den Aus fall an Arbeit durch bessere Verkaufspreise halb wegs zu paralysiren. Es brauchte jedoch geraume Zeit, bis der von allen Betheiligten als ein Bedürfnifs empfundene und ausgesprochene Gedanke eine feste Form an nahm , da allenthalben Zurückhaltung herrschte, eine solche jedem Betheiligten gewisse Ein schränkungen auferlegende Vereinigung einzu gehen, da man damals mit dem Wesen der Cartelle noch gar nicht vertraut war. Schliefslich über wog die Noth alle Bedenken und es wurde am 15. December 1878 das erste Cartell der öster reichischen Eisenindustrie, nämlich das Cartell der Schienenwalzwerke, abgeschlossen, dem damals angehörten: Das Witkowitzer Eisenwerk, die Erz herzog Albrechtschen Eisenwerke, das Teplitzer Eisenwerk, das Ternitzer Walzwerk, die Prager Eisen-Industrie-Gesellschaft und die Hüttenberg- Eisenwerksgesellschaft , sowie schliefslich die