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Die Reform der Unfallversicherung. i. Wie bekannt, hatten die gesetzgebenden Factoren des Reiches, Bundesrath und Reichstag, zwei von den grofsen Arbeiterversicherungs gesetzen schon früher einer Revision unterworfen. Es waren dies die Gesetze über die Kranken versicherung sowie über die Alters-und Invaliditäts versicherung. Die erste Novelle zum Kranken versicherungsgesetze trat am 1. Januar 1893 in Kraft, die neue Invalidenversicherung am 1. Januar 1900. Es war allerdings schon vor einigen Jahren der Versuch gemacht worden, die Unfallversiche rung einer Reform zu unterziehen, der Versuch scheiterte indessen am Reichstage, der die Vorlage der verbündeten Regierungen nach ganz extremen Bestimmungen umgestalten wollte und dadurch die letzteren zwang, von einer gänzlichen Durch- berathung der betr. Novelle im Reichstage Ab stand zu nehmen. Die verbündeten Regierungen gaben jedoch den Versuch, die Unfallversicherung an der Hand der seit dem Jahre 1885 gemachten Erfahrungen zu verbessern, nicht auf. Sie brachten in der letzten Reichstagstagung neben einem allgemeinen Gesetze, dem sogenannten Mantelgesetz, Novellen zu den verschiedenen Unfallversicherungsgesetzen ein und erlebten den Erfolg, dafs sämmtliche dieser Gesetze, allerdings mit einigen Aenderungen, vom Reichstag an genommen wurden. Der Bundesrath acceptirte seinerseits diese Aenderungen, und so ist denn die umfassende Unfallversicherungs novelle Gesetz geworden. Seinem gröfsten Theile nach wird das neue Gesetz schon am 1. October des laufenden Jahres in Kraft treten. Von da an werden haupt sächlich seitens der Berufsgenossenschaften die Bestimmungen zur Anwendung gelangen müssen, welche die Unterstützungen an die Arbeiter, die innere Verwaltung und die Unfallverhütung be treffen. Aber von diesen Vorschriften wollen wir später handeln. Zwei Gruppen von Be stimmungen werden erst in Kraft treten, wenn der Bundesrath Verordnungen über die betreffenden Termine erlassen haben wird. Es sind dies die Bestimmungen über die neuen Schiedsgerichte und über die neuen in die Versicherung einbezogenen Berufszweige, bezw. Theile von solchen. Das Einfachste ist sicherlich, wenn sich die neuversicherten Betriebe den schon be stehenden Berufsgenossenschaften anschliefsen, und es darf wohl als ganz sicher gelten, dafs in den Kreisen der neu in die Versicherung einbezogenen Betriebsunternehmer diese An schauung vorherrschend sein wird. Die betreffen den Betriebsunternehmer werden, wie dies ja auch anfangs der 80er Jahre geschehen ist, über ihre Ansicht gehört werden. Wahrscheinlich wird diese Vernehmung in gleicher Weise er folgen, wie bei der Begründung der Berufs genossenschaften, d. h. das Reichsversicherungs amt wird die Sache in die Hand nehmen und die vorbereitenden Schritte thun, bis im Bundes rath die Entscheidung fallen wird. Es steht schliefslich nicht im Belieben der neuversicherten Betriebsunternehmer, sich eine Versicherungsforni zu wählen, sie können nur der zuständigen behördlichen Stelle ihre Vorschläge in dieser Richtung machen. DieEntscheidungdarüber, ob eine neue Berufsgenossensehaft gebildet werden soll, wie dieselbe sich zusammensetzen soll, ob die betreffenden Gruppen schon bestehenden Ge nossenschaften zugetheilt werden sollen u. s. w., steht lediglich dem Bundesrathe zu. Der letztere wird aber sicherlich auf Wünsche der Betriebsunternehmer Rücksicht nehmen, wie dies auch früher der Fall gewesen ist. Es kann um so mehr dazu gerathen werden, dafs die neu versicherten Betriebe sich den schon bestehenden Berufsgenossenschaften anschliefsen, als durch das neue Gesetz Fürsorge dahin getroffen ist, dafs die neuen Betriebe nicht etwa durch Heran ziehung zur Deckung der Kosten der alten mehr, als gerechtfertigt, belastet werden. Während der ersten 40 Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes wird nur ein Theil der in diesen Be trieben verdienten anrechnungsfähigen Gehälter und Löhne der Beitragsberechnung zu Grunde i gelegt werden, und zwar bemifst sich dieser Theil in den ersten 5 Jahren auf 2/5, vom 6. bis 10. Jahre auf 8/5, vom 11. bis 20. auf 8/4, vom 21. bis 30. auf 9/10, vom 31. bis 40. auf 19/20. Auf Heller und Pfennig wird eine solche Be rechnung ja jedenfalls nicht stimmen, im all gemeinen aber wird angenommen werden dürfen, dafs mit diesen Vorschriften das Interesse der neu in die Unfallversicherung einbezogenen Be triebe gewahrt werden wird. Ebenso wie über die in die Versicherung neu einzubeziehenden Gewerbszweige wird auch der Bundesrath wegen der neuen Schieds gerichte eine Verordnung über den Zeitpunkt des Beginns ihrer Thätigkeit erlassen. Bekannt lich waren bisher bei der Unfallversicherung besondere Schiedsgerichte thätig, d. h. sie waren gebildet aus den bei den Berufsgenossenschaften vereinigten Arbeitgebern, den versicherten Ar beitern und einem Beamten als Vorsitzenden. Sie haben sich auch durchaus bewährt. Wenn trotzdem seitens der verbündeten Regierungen die schiedsgerichtliche Organisation umgestaltet wurde, so wurde dafür, wie seinerzeit beim Vor schlag der Errichtung örtlicher Rentenstellen, der