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Beitrüge zur Lösungstheorie von Eisen und Stahl.* Von Baron Jüptner v. Jonstorff. Bei den vorhergehenden Studien** wurden nur jene Sätze der physikalischen Chemie benutzt, welche sich auf den Zusammenhang zwischen osmotischem Druck und Ausscheidungstemperatur aus (flüssigen oder festen) Lösungen beziehen, und wir sind hierbei in manchen Fällen zur Aufstellung von Hypothesen gelangt, die noch einer weiteren Bestätigung bezw. Berichtigung bedürfen.*** Im Folgenden soll es versucht werden, die Gesetze der chemischen Mechanik auf den Fall der Eisen-Kohlenstoff-Legirungen anzuwenden. Es geschieht dies gerade so wie in den früheren Studien, weniger zu dem Zweck, bestimmte, un- umstöfsliche Werthe zu erhalten (was ja bei dem Mangel an manchen wichtigen Daten heute noch unmöglich ist), sondern mehr um zu zeigen, welche Aufschlüsse derartige Untersuchungen zu geben versprechen, und so zur Aufsuchung jener Grundlagen anzuregen, welche für eine strenge Anwendung der Theorie noch fehlen. In den festen Eisenlegirungen — vielleicht aber auch schon hin und wieder in den flüssigen — haben wir es durchaus mit heterogenen Systemen, d. h. mit solchen zu thun, welche bei ungleicher chemischer oder physikalischer Constitution durch bestimmte Trennungsflächen voneinander geschieden sind. Befindet sich ein System unter gewissen Bedingungen andauernd in einem bestimmten Zustande, so mufs es sich im Gleichgewicht befinden. Nun unterscheidet man bekanntlich zwischen vollständigem und un vollständigem Gleichgewicht. Ersteres tritt dann ein, wenn mindestens n verschiedene Molecül- [ gattungen zusammentreten, um ein aus n — 1 ver- ! schiedenen Phasen bestehendes System zu bilden. | Das vollständige heterogene Gleichgewicht ist auch I dadurch charakterisirt, dafs zu jeder bestimmten Temperatur nur ein einziger Gleichgewichtsdruck gehört. Bei condensirten Systemen (van ’t Hoff), d. h. solchen, bei welchen keine gasförmige Phase zugegen ist (und mit solchen haben wir es hier ausschliefslich zu thun), tritt nur der Unterschied auf, dafs die durch die Umwandlung erzeugte Volumenänderung relativ sehr klein und daher der Einflufs des Druckes auf die Umwandlungstempe * Vortrag vor dem „Iron and Steel Institute*. ** Vergl. „Stahl und Eisen“ 1899 Nr. 1 S. 23. *** So bezieht sich die bei der letzten Frühjahrs- j Versammlung erwähnte Austenit-Curve AU auf 0 % Austenit, d. h. auf die Zusammensetzungen des Marten- I sits unter den fraglichen Bedingungen, und nicht auf den Austenit u. s. w. ratur ein sehr geringfügiger ist. Hierbei mufs das bei höherer Temperatur beständige System sich unter Wärmeabsorption bilden und umgekehrt. Ein derartiges vollständiges heterogenes Gleichgewicht tritt nun bei den Eisen-Kohlen stoff-Legirungen auf: 1. Beim Schmelzen und Erstarren der flüssigen eutektischen Legirung. Die Er starrung vollzieht sich thatsächlich unter Wärme entwicklung, die Schmelzung also unter Wärme absorption. 2. Bei der Umwandlung von Martensit in Perlit, welche sich gleichfalls unter Frei werden von Wärme vollzieht (kritischer Punkt As). 3. Bei der Abscheidung von Ferrit aus Martensit bei Ag in kohlenstoffarmen Stahlsorten. Alle diese Umwandlungen erfolgen unter Wärme entwicklung, wenn sie im Sinne fortschreitender Abkühlung vor sich gehen. Greifen wir die Umwandlung des Martensits in Perlit heraus, so zeigt sich auch, dem oben Gesagten entsprechend, das specifische Gewicht des Martensits kleiner als das des Perlits. So fand Hausmann das specifische Gewicht von Solinger Gufsstahl: ungehärtet — sw gehärtet = Sh Sw Sh unschweifsbarer Gufsstahl 7,8439 7,7672 1,0098 schweifsbarer „ 7,8577 7,8010 1,0072 d. h. das Volumen des gehärteten Stahls — also im vorliegenden Falle, wo Martensit dominirt, auch das Volumen des Martensits ist bei gewöhnlicher Temperatur um etwa 0,8 % gröfser als jenes des ausgeglühten Stahls (Perlit). Für das unvollständige Gleichgewicht ist der Gleichgewichts-Goefficient bei ein und der selben Temperatur constant, d. h. von dem Massen verhältnisse der reagirenden Stoffe unabhängig. Seine Aenderung mit der Temperatur wird durch die van ’t Hoffsche Gleichung d In K _ q dT - R T 3 bestimmt, in welcher K den Gleichgewichts-Coffi- cienten, q die bei der absoluten Temperatur T ge messene Wärmetönung der Reaction und R die Gasconstante bedeutet. Erwärmt man nun eil. chemisches System bei constantem Volumen, so findet eine Verschiebung des Gleichgewichtszustandes nach derjenigen Seite hin statt, nach welcher die Reaction unter Wärme absorption verläuft. Wenden wir diesen Satz auf die Abscheidung von Ferrit aus Martensit, d. i. auf die kritischen Temperaturcurven A und Ai, 2 (nicht aber auf Ag,