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1. August 1900. Besprechung des zweiten Vortrags. Stahl und Eisen. 781 würde, mit flüssigem Roheisen von beliebiger Beschaffenheit vortheilhaft im Martinbetriebe zu arbeiten. Diese Voraussetzungen haben sich in vollstem Mafse als richtig erwiesen. In Kladno macht man mit zwei Oefen von je 17 und 22 t Fassungsinhalt bei Verwendung von 80 bis 100 °/o flüssigen Roheisens 7 bis 8, nahezu 8 Chargen in 24 Stunden und zwar bei einer Roheisen zusammensetzung von 1,5 °/o Phosphor und 1 °/o Silicium. Das sind Erfolge, die meines Wissens bis jetzt nirgends erzielt werden konnten. Die allgemeine Meinung ging bisher vielfach dahin, dafs ein vortheilhaftes Arbeiten im Martinofen nicht möglich, beziehungsweise nicht wirthschaftlich sei. Meine früheren Mittheilungen habe ich ferner dahin zu ergänzen, dafs das Ausbringen im Durchschnitt den Einsatz um 11/2 bis 2% übersteigt, also 101,5 bis 102 °/o beträgt. Ueber den Kohlenverbrauch sind keine genauen Angaben zu machen, da die Martinöfen aus einer gemeinsamen Gasgeneratorenanlage gespeist werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, dafs der Kohlenverbrauch früher bei einer Erzeugung von etwa fünf Chargen in 24 Stunden bei vollständig kaltem Einsatz 26 bis 30 kg betrug, woraus sich der natürliche Schlufs ergiebt, dafs derselbe beim Verarbeiten von flüssigem Roheisen und der dadurch bedingten höheren Production ein bedeutend niedrigerer sein mufs. Die Erze, welche verarbeitet werden, sind Gellivara-Erze mit 0,5 % Phosphor. Ein Phos phorgehalt der Erze steht der Verwendung nicht im Wege, ja er wird dort von wesentlichem Vortheil sein, wo man mit phosphorreichem Roheisen arbeitet, indem man eine phosphorsäurehaltige Schlacke, eine Thomasschlacke, erzielt, wie schon früher nachgewiesen wurde. Um eine solche phosphorsäurehaltige Schlacke zu erhalten, wird man sogar bei Verwendung eines phosphorreichen Erzes ein Roheisen von niedererem Phosphorgehalt verwerthen können, als es beim Thomasprocefs erforderlich ist. Ferner wird die erzeugte Menge an sogenannter Thomasschlacke unter sonst gleichen Verhältnissen beim Bertrand-Thiel-Procefs eine wesentlich gröfsere sein, da bekanntlich beim Thomasprocefs eine Phosphorverflüchtigung während des Blasens stattfindet, die bei heifs- gehenden Chargen 30 bis 40 °/o beträgt, und ferner ein Verlust an Schlacke dadurch entsteht, dafs beim Verblasen eine Menge Kalktheilchen und beim Nachblasen eine Menge Schlackentheilchen durch den stark geprefsten Luftstrom aus der Birne geschleudert werden. Die Menge der Schlacke an sich bietet für den Betrieb im oberen Ofen nicht die geringsten Schwierigkeiten, und ist es für den Verlauf des Processes ganz einerlei, ob man es mit 1 t oder mit 4 bis 5 t Schlacke zu thun hat. Die Chargendauer beträgt durchschnittlich 2 Stunden 40 Minuten und ist die Zeit für beide Oefen ungefähr die gleiche. Die Qualität ist ausnahmslos eine tadellose. Ein Phosphor gehalt von 0,03 °/o wird in den seltensten Fällen erreicht und nie überschritten. Sie werden es nach diesen Mittheilungen, die ich Ihnen gemacht habe, für berechtigt halten, wenn ich behaupte, dafs das Arbeiten mit flüssigem Roheisen grofse Vortheile in sich birgt, und dafs dadurch der Martinprocefs sich dem Converterprocefs als Verfahren zur Massenerzeugung ebenbürtig zur Seite stellen kann. Ein grofser Vortheil liegt auch noch insbesondere darin, dafs der Martinbetrieb der unabhängigste Betrieb in dem Hüttenwesen ist, weil er es ermöglicht, mit jedem möglichen Roheisen zu arbeiten, wie cs nach der jeweiligen Marktlage am besten und billigsten herzustellen ist. Ich glaube, dafs gerade in letzterem Punkte einer der Hauptvortheile des Martinbetriebes liegt, indem er sich allen Verhältnissen anschmiegen kann, und es auf diese Weise den Werken, die durch ihre Rohmaterialien nicht in der Lage sind, den Converterprocefs als Massenerzeugungs verfahren vortheilhaft zu benutzen, ermöglicht, mit Werken, bei denen alle Vorbedingungen hierzu erfüllt sind, in erfolgreicheren Wettbewerb als bisher zu treten. Herr Director Kintzle-Aachen. Ich wollte in Bezug auf den von Herrn Geheimrath Wedding berührten zweiten Punkt sagen, dafs wohl heute allgemein die Praxis bezüglich der Anlage der Martinöfen dahin geht, dafs zwischen Generatoren und Kammern ein möglichst langer und möglichst weiter Gaskanal gelegt wird, so dafs zwischen beiden ein möglichst grofses Gasvolumen Platz findet. Diese Anordnung hat sich wohl allgemein als die bei weitem vortheilhafteste herausgestellt. Bezüglich des Vortrages des Herrn Lür mann möchte ich im allgemeinen zu bemerken nicht unterlassen, dafs ich wohl annehmen darf, dafs derselbe seinen Ursprung und seinen Grund herleitet nicht aus den inneren Verhältnissen der Eisenindustrie und des Eisenverbrauches in Deutschland selbst, dafs derselbe vielmehr hervorgerufen ist durch einen Vorstofs, der vor etwa Jahresfrist im Ausland unternommen worden ist, um das unaufhaltsame Vordringen des Thomasmaterials erneut zu bekämpfen. Innerhalb der deutschen Grenzen ist die Frage „Thomas“ oder „Martin“ für die Haupt verbrauchsartikel keine Frage mehr. Auch wäre es durchaus verkehrt, den Vortrag dahin aufzufassen, als seien in den letzten Jahren erst so gewaltige Fortschritte in der Herstellung des Thomasmaterials gemacht worden, dafs erst jetzt die Gleichberechtigung am Platze wäre. Wenn auch selbstverständlich jeder Procefs, Martin sowohl wie Thomas, tagtäglich Fortschritte macht und machen mufs, so ist ein gewisser Hauptabschlufs der Fortschritte für letzteren nicht erst jetzt erfolgt, sondern bereits vor einer ganzen Reihe von Jahren.