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Durchschreiten der kritischen Temperatur annimmt, erscheint mir als ein genügender Erklärungs grund für die gröfsere Verschiebbarkeit seiner Theilchen und für das Aufhören innerer Span nungen. Wenn die elektrolytische Auflösung bei langsam erkalteten kohlereichen Stählen noch zu brauch baren Ergebnissen führte, so versagte sie völlig bei den gehärteten Proben. Bekanntlich hinter lassen gründlich gehärtete Stahlstückchen in kalter verdünnter Schwefelsäure gar keinen Rück stand. Arnold und Read erhielten aber aus den gehärteten Stäben immerhin noch 0,5 bis 0,7 % Rückstand, und, was die Hauptsache ist, fanden in demselben durchschnittlich die Hälfte des Ge- sammtkohlenstoffs vor. Mithin bestand dieser Rückstand hauptsächlich aus hydratischem Kohlen stoff. Dafs daneben auch FezC vorhanden, schliefsen sie aus dem Eisengehalt und berechnen nach der Formel auch die Menge auf etwa 1/5 des Rückstandes. Dies ist indessen ein zweifelhafter Nothbehelf, solange der Beweis nicht angetreten ist, dafs der hydratische Kohlenstoff an sich kein Eisen enthält. In dem Aufsatze ist nicht einmal angegeben, ob man mit dem Mikroskop in dem dunkel braunen Pulver auch metallisch glänzende Carbid- körner gesehen hat. Aufser den angeführten Kohlenstoffstählen untersuchten Arnold und Read auch einen manganreicheren Tiegelstahl mit 0,55 C, 1,73 Mn, 0,28 Si. Zwei normale Stäbe gaben als Rück stand ein braunschwarzes Pulver mit 63 % des Gesammtkohlenstoffs; zwei ausgeglühte Stäbe gaben ebenfalls ein Pulver mit 87 % des Ge sammtkohlenstoffs. Die Rückstände enthielten 8,38 C und 9,96 C bei normalen Stäben, 8,22 C und 7,81 C bei den ausgeglühten, also erheblich mehr als der Formel FezC entspricht; für uns ein Beweis, dafs das Carbid mit Hydratkohle verunreinigt war. Der auf die wasserfreie Sub stanz berechnete Mangangehalt betrug 5,0 % bezw. 10,7 %. Hiermit wäre der sachliche Inhalt der Ab handlung erschöpft. Wenn auch die mitgetheilten Thatsachen als Bestätigung älterer Beobachtungen und als Bausteine der Wissenschaft werthvoll sind, so kann die angewendete Auflösungsmethode in ihrer jetzigen Gestalt nicht empfohlen werden. Sie genügt namentlich nicht bei gehärtetem Stahl. Nun spielt aber gerade bei den schwierigsten Verwendungen des Stahls, wie beispielsweise zu Werkzeugen und Kriegsmaterial, die künstliche Härtung die Hauptrolle. Hierbei verlheilt sich der Kohlenstoff je nach der Behandlung in jedem beliebigen Verhältnifs zwischen Grundmasse und Carbid. Es kann bei der chemischen Prüfung dieses Verhältnisses keine Methode in Frage kommen, welche nicht Reincarbid ausscheidet. Vorläufig dürfte noch die Behandlung der gut zerkleinerten Stahlproben mit kalter verdünnter Schwefelsäure am einfachsten und sichersten zum Ziele führen. Neben dem Versuchs- und Beobachtungs- material finden wir noch einige theoretische und kritische Bemerkungen. Die Verfasser bemängeln, während sie hinsichtlich des Carbids mit den älteren Ergebnissen von mir und Ledebur über einstimmen, die Auffassung, dafs der Rest des Kohlenstoffs, welcher in der Grundmasse bleibt und sich beim Auflösen verflüchtigt, Härtekohle sei. Sie schreiben: „Da die Menge des verflüchtigten Kohlenstoffs bei normalem und gut ausgeglühtem Stahle die nämliche ist, kann dieser Verlust nicht, wie Ledebur annimmt, von der Gegenwart von Härte kohle herrühren. Die Verfasser können nach den Resultaten ihrer Experimente nur zu dem Schlüsse kommen, dafs ein bereits zerfallenes Subcarbid des Eisens existirt — that a readily decomposed sub-carbide of iron exists — dessen Eisen sich löst, während der Kohlenstoff als Kohlenwasserstoff entweicht.“ Ich bekenne, dafs ich diese und eine ähnlich lautende Stelle am Schlufs der Abhandlung trotz redlichen Bemühens nicht recht verstehe. Was mich anbetrifft, so fasse ich die Grundmasse nicht als ein Subcarbid auf, da ihre Zusammensetzung je nach der Härte des Stahls beliebig schwankt. Ich denke mir vielmehr den Kohlenstoff in der selben Weise im Eisen der Grundmasse aufgelöst und gleichmäfsig vertheilt, wie etwa ein Gramm Gold nach seiner Amalgamation mit tausend Grammen Quecksilber. Auf gelehrte Betrachtungen über die moleculare Natur der Lösungen braucht dabei gar nicht eingegangen zu werden. Solange in der Grundmasse Subcarbide nicht direct nach gewiesen sind, bleiben sie hypothesischer Natur, und die Hypothese ist überflüssig, solange das Verhalten des Stahls ohne dieselbe erklärt werden kann. Die Theorie des Stahls kommt aber mit den beiden experimentell festgestellten näheren Bestandtheilen vollkommen aus : der Grundmasse und dem in der kritischen Temperatur sich aus scheidenden Carbid FezC. Dies ist in meiner Abhandlung („Stahl und Eisen“ 1888, Nr. 5) eingehend entwickelt. Weiter auf die Theorie einzugehen, liegt nicht in der Aufgabe dieses Referats. Aber das eine sei noch ausdrücklich betont, dafs vorstehende Feststellungen sich nur auf reinen Kohlenstoffstahl beziehen. In den sogenannten Specialslählen, z. B. in dem Mangan stahl Hadfields, können die Gesetze der Carbid ausscheidung wesentlich andere sein.