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Gedanke an sich schuld, sondern lediglich die Form, in welcher er zur Ausführung gebracht werden sollte. Ein zweiter Punkt, welcher dem gleichen Zweck dienen sollte, betrifft die Regelung der Lebensführung der jungen Arbeiter schaft aufserhalb des Betriebes. Auch hierin müfste Wandel geschaffen werden, ehe man darauf rechnen kann, dafs die jungen Arbeiter der Socialdemokratie entrissen werden. Das Sparen ist keine dem Menschen angeborene Eigenschaft. Es mufs ihm erst durch den Zwang der Ver hältnisse oder seiner Umgebung anerzogen werden. Wenn nun die jungen Arbeiter nicht nur nicht Ermahnungen zum Sparen von seilen der älteren erhalten, sondern vielmehr die socialdemokratische Lehre gepredigt bekommen, dafs Sparen vom Uebel ist, so ist es nur zu leicht erklärlich, wes halb die jungen Arbeiter mit ihrem erworbenen Lohn so selten hauszuhalten wissen. Haben sie aber das Ihrige verthan, so suchen sie die Schuld daran, wie das wiederum ganz menschlich ist, nicht in sich selbst, sondern in den Verhältnissen. Was daraus für Ideen entstehen müssen, liegt auf der Hand. Um dem entgegenzutreten, hatte die damalige Vorlage der verbündeten Regierungen vorgesehen, dafs die Arbeitgeber in der Arbeits ordnung, welche im übrigen von den Arbeitern begutachtet werden sollte, Bestimmungen aufnehmen konnten, welche den Verkehr der jungen Arbeiter aufserhalb der Fabriken regelten. Das war natür lich der damaligen Reichstagsmehrheit viel zu patriarchalisch. Es gab dem Arbeitgeber eine viel zu grofse Macht in die Hand, und mufste deshalb beseitigt werden. Dem Gedanken an sich konnte man natürlich die Berechtigung nicht absprechen; man mufste ihn deshalb im Gesetz unterbringen. Aber man that das wieder in einer Weise, auf welche das Motto: „Wasch’ mir den Pelz, mach’ ihn mir aber nicht nafs“, so recht stimmte. Man schrieb nämlich vor, dafs eine solche Vorschrift mit Zustimmung eines ständigen Arbeiterausschusses in die Arbeitsordnung auf genommen werden könnte. Damit glaubte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben. Einmal wollte man die Bildung von ständigen Arbeiterausschüssen befördern, und sodann die Arbeitgeber bei der Regelung des Verhaltens der jüngeren Arbeiter aufserhalb des Betriebes von der Zustimmung der Arbeiter abhängig machen. Die Folge dieses überschlauen Vorgehens ist ge wesen, dafs von dieser Bestimmung auch nicht einmal eine so geringe Wirkung erzielt ist, wie sie bezüglich der Lohnzahlung an Eltern und Vormünder festgestellt werden konnte. Bisher hat in der Oeffentlichkeit noch nichts darüber verlautet, dafs irgend eine bedeutendere Fabrik eine solche Bestimmung getroffen hätte. Damals glaubte man, die Arbeitgeber würden sich für die ständigen Arbeiterausschüsse begeistern. Trotz dem die Vertreter der Industrie mit gröfster Deut lichkeit betonten, dafs daran nicht zu denken sei, hoffte man auf eine Entwicklung in der ange deuteten Richtung. Jedoch man hat sich, wie das nicht anders zu erwarten war, getäuscht. Es sind heute nicht mehr Arbeiterausschüsse vorhanden als vor dem Erlafs der Gewerbeordnungs novelle, und schon deshalb war irgend ein Erfolg der Vorschrift über die Regelung des Verkehrs der jungen Arbeiter aufserhalb der Fabriken aus geschlossen. Wenn man auf diesem Gebiet irgend welche Wirkungen erzielen will, so müfste man ebenso wie bei der Lohnzahlung an Eltern und Vormünder obligatorisch und nicht facultativ vor gehen. Auch hier darf man nicht dem einzelnen Arbeitgeber das Odium* auferlegen, sondern die Gesetzgebung mufs es übernehmen und die Ge- sammtheit mufs für dasselbe eintreten. Erst dann können Erfolge für den socialen Frieden aus einer solchen Bestimmung hervorgehen. Die Gewerbeordnungsnovelle hat ferner einen Abschnitt neu geregelt, welcher den Arbeitern zugleich Vortheile und Pflichten gab, den Ab schnitt über den Fortbildungsunterricht. Es ist heute unter denjenigen Leuten, welche die Ver hältnisse überblicken können, keine Frage, dafs nur dann eine gewerbliche Entwicklung in dem nothwendigen Umfange möglich ist, wenn sich an den Volksschulunterricht eine weitere Aus bildung der jungen Leute anschliefst, sei es nun, dafs besondere Fachschulen oder dafs Fortbildungs schulen denselben pflegen. So wie die ver bündeten Regierungen die Neuregelung des Fort bildungsunterrichts vorgeschlagen hatten, war sie ganz zweckmäfsig. Jedoch im Reichstag erhob sich aus der orthodoxen Ecke ein Widerspruch gegen diese Regelung. Man wünschte, dafs der Sonntagsunterricht an Fortbildungsschulen fortfiele. Man sprach diesen Wunsch allerdings in dieser Form nicht aus. Denn dann hätte man auf seine Realisirung Verzicht leisten müssen, weil die ver bündeten Regierungen, wie nachträglich festgestellt wurde, niemals darauf eingegangen wären, einem solchen Ansinnen Folge zu leisten. Man formulirte eine Bestimmung, welche den Schein erweckte, als würde der Sonntagsunterricht an Fortbildungs schulen beibehalten, und doch den Forderungen der Kirche nachgegeben werden könne. Die verbündeten Regierungen glaubten, auf diese Formu- lirung eingehen zu können, weil sie der Ansicht * Mit Recht wies s. Z. die „Köln. Ztg.“ darauf hin, wie sehr man sich in Berlin bemühe, jegliches Odium auf den Arbeitgeber abzuwälzen, um den Schein zu erwecken, dafs von der Regierung nur der „Segen“ komme. Wie man freilich über diesen Segen vielfach in Arbeiterkreisen denkt, bewies die Mittheilung des selben Blattes, dafs ein verständiger Webermeister des linksrheinischen Bezirks den charakteristischen Ausspruch gethan habe: „Man schickt uns noch so viel »Segen« von Berlin, bis wir schliefslich nichts mehr zu essen haben!“ Die Red.