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Dorotheas Liebe. Novell« von Fritz Gantzer. (l. Fortsetzung.) Warnitz war stehengeblieben und sah nun, wie ein junges Mädchen, das hinten im Schlitten saß, sich aus Decken und Tüchern herausschälte und von Frau Barbara herzlich willkommen geheißen wurde. „Ich war schon in Sorge um euch, Klaus," wandte sie sich nun an ihren Mann, der eben aus dem Schlitten stieg und Warnitz in der Tür stehen sah. Er rief ihm einen Gruß zu und sagte dann, sich zu seiner Frau wendend: „Es war auch böse genug, Barbara. Nicht wahr, Dorothea?" »Ich saß schön warm," entgegnete die Gefragte mit einer Hellen, wohlklingenden Stimme, „und habe von dem argen Wetter wenig gemerkt. Aber das arme Pferd tat mir leid, als es sich durch die hohen Wehen arbeiten mußte." „Sie scheint ein gutes Herz zu haben," dachte Warnitz und trat einen Schritt näher. Dorothea stand jetzt gerade in dem Lichtschein, der vom Gastzimmer her auf die Straße fiel. Warnitz konnte ihr Gesicht ganz deutlich erkennen und bemerkte unter der Stirn, auf der einzelne krause Ringel ihres aschblonden Haars lagen, zwei schöne Augen, die fragend zu ihm empor blickten. „Herrgott, sie hat die Augen meiner seligen Hanna, zuckte es ihm durch den Sinn. Ganz wunderlich wurde ihm zumute, daß er linkisch nach seiner Mütze faßte und mit einem hastig hervorgestoßenen Gruße daoon- schritt, Dorothea war unter seinem Anstarren erschrocken zusammengezuckt. „Wie eigentümlich mich der fremde Mann angesehen hat," dachte sie, „es schien fast, als kenne er mich." „Wer ist denn dieser Mann?" fragte sie, als sie Frau Barbara in das Haus folgte. „Fast fürchten könnte man sich vor seinem Blick." „Es ist der Förster Warnitz," erklärte Frau Hardt, als sie in das Gastzimmer getreten waren. „Ach, der ist zu bedauern! Aber ich erzähle dir später von ihm . . . Nun wärme dich auf und iß und trink. Ich bringe gleich alles herein. Und hernach mußt du uns von deiner Reise erzählen . . . Und du bist doch gern zu uns gekommen, mein liebes, armes Kind?" Da umschlang Dorothea Frau Barbara und sagte: „Ja, liebe Tante. Ich bin unendlich glücklich und froh, daß ich bei euch sein darf. Und ich bin so dankbar, daß ich wieder eine Heimat habe." — Später, nach beendeter Mahlzeit, als die drei Menschen in einem traulichen Winkel hinter dem braun glasierten, mächtigen Kachelofen saßen, in dem die rote Glut der Buchenscheite noch ab und zu verträumt auf knisterte, erzählte Dorothea. Von ihrer weiten Reise aus dem Hannöverschen bis herüber ins Schlesische, nach der großen Stadt, wo sie dann der Onkel in Empfang genommen und im Schlitten nach dem einsamen Wald krug gebracht hatte. Und von ihrer Heimat redete sie, von ihren verstorbenen Eltern und manchem anderen noch. Und Barbara und Klaus Hardt nickten manchmal zustimmend mit dem Kopfe oder taten eine Frage und fühlten sich froh und dabei doch wehmütig. Denn sie hatten nun wieder ein liebes Kind im Hause. Und die Rosel mar es doch nicht. Und draußen schnob der Wintersturm die Berg lehne hinab und heulte auf, wenn er mit seinem Brausekopf gegen die Ecken des Hauses stieß, und türmte Schneewehen . . . Wochenlang nach der Ankunft Dorotheas war der Waldkrug von der Außenwelt abgeschnitten. Das ein same Haus lag fast vergraben im Schnee und mutete an wie ein verwunschenes totes Gebäude in einem vergessenen Lande. Nur der aus dem Schornstein hervorkräuselnde Rauch verriet, daß Menschen in dieser Einsamkeit hausten. Der sonst auch während des Winters nie ganz ruhende Verkehr hatte vollständig aufgehört, da es un möglich war, sich einen Weg durch die Schneemassen zu bahnen. Nicht einmal Förster Warnitz, der nur eine Viertelstunde entfernt in seinem ebenso wie der Waldkrug einsam gelegenen Forsthause Wolfsmühle wohnte, stellte sich ein. So hatte Dorothea ungestört Muße, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben. Anfänglich hatte sie gefürchtet, daß sie die Einsamkeit nicht würde ertragen können, da sie aus einer größeren Stadt Hannovers kam, wo ihr Vater ein kleiner Beamter gewesen war. Aber merkwürdig schnell gewöhnte sie sich an den Wechsel. Schon nach Tagen deuchte es sie, als wenn sie von jeher in dieser toten Einsamkeit gelebt, als wenn sie es nie anders gekannt. Viel trug zu der schnellen Eingewöhnung bei, daß sie sich von so vieler sorgsamen, treuen Liebe umgeben sah. Und ein er kleckliches Teil machte auch der gute Wille aus, daß sie sich wohl und heimisch fühlte. Sie saß nie müßig. Hatte sie Frau Barbara bei der Besorgung des Haushaltes hilfreiche Hand geboten, so beschäftigte sie sich gern mit der Anfertigung kunst voller Stickereien, für welche sie eine große Geschicklich keit besaß, oder las vor. Klaus Hardt hatte einst eine kleine Bücherei geerbt, die mancherlei Schätze bot, von denen ihr Besitzer bisher selbst wenig gewußt. So flossen die Wochen dahin. Als der Februar zum Regiment kam, tat er seinem Vorgänger an Härte und Strenge nichts nach. Er brachte schon an seinem ersten Tage einen warmen Südwind und ließ ihn wackere Arbeit tun. Nun gab es arges Wasser, und der Bach, der durch den Wald nach dem großen Flusse zu floß, ver mochte die Fülle in seinem Bett nicht zu faßen, trat über die Ufer und raste und tobte mit Geräusch und Tosen zu Tal. Aber es gab dann nach der Schnee schmelze auch bald wieder Weg und Steg. Und der erste, der an einem Nachmittage im Wald krug vorsprach, war Förster Warnitz. Er fand Dorothea allein in oer Gaststube, wo sie in der Nähe eines der Fenster über ihre Stickerei ge beugt saß, und nahm nach seinem Gruße mit einiger Befangenheit ihr schräg gegenüber an einem Tische Platz. Als Dorothea sich schon erheben wollte, um nach seinen Wünschen zu fragen, erschien Frau Barbara. „Grüß Gott, Herr Förster!" rief sie heiter. „Sie sind unser erster Gast nach langen Wochen." „Ich wohne ja auch am nächsten und komme mehr als guter Nachbar." „Was uns freut. Und wie geht's daheim?" „Seit einer Woche besser. Die beiden Buben waren fast den ganzen Januar hindurch krank," ent gegnete Warnitz seufzend. „Bös krank?" erkundigte sich Frau Barbara teil- nehznend. „Scharlach, Frau Hardt. Es ging auf Tod und Leben. Einen Arzt bekam ich infolge der verschneiten Wege natürlich nicht heran. Da hab' ich auf eigene Faust doktern müssen und es, Gott sei Dank, glücklich geschafft." Die Waldkrugwirtin bedauerte mit warmen Worten und redete auch von ihrer Freude über die Genesung der Kinder. Während sie dann in den nebenan liegenden Schenkraum ging, um das gewünschte Glas Bier zu holen, wanderten die Blicke des Mannes ver stohlen zu Dorothea. Sie hatte Warnitz, dessen Schicksal sie schon kannte, während seines Sprechens vorhin mit bedauernden Augen angeschaut. Nun saß sie wieder über ihre Arbeit gebeugt. Wie damals, beim ersten Sehen in der ungewissen Beleuchtung, erinnerten ihn die Augen des jungen Mädchens an die seiner verstorbenen Frau. Ja, es schien ihm, als wenn es dieselben Augen wären. Dorothea hatte auch dasselbe aschblonde Haar, wie es seine Hanna gehabt. Und genau so, wie bei ihr einst, ringelten sich einzelne Löckchen in Dorotheas Stirn. Warnitz seufzte so tief, daß Dorothea von ihrer Arbeit aufsah und zu ihm hinüberblickte. Wie sorgenvoll der Mann dreinsah! Und wie bleich und übernächtig er ausschaute! Haar und Bart waren ungepflegt und seiner Kleidung merkte man es an, daß sich niemand darum kümmerte, sie in Ordnung zu halten. Und ihm selbst mangelte es dazu natürlich an Zeit und Geschick. An der grünen Joppe fehlte ein Knopf, und auf der linken Brustseite war ein Riß nur notdürftig und mit scheinbar ungeübten Händen, gewiß seinen Händen, zusammengezogen. Vielleicht hatte es auch die alte Meischen, von der Dorothea ebenfalls schon wußte, getan. Ihre Blicke begegneten sich. Und nun sagte Warnitz: „Ja, es ist ein Elend mit mir, Fräulein Dorothea. Ein echtes, regelrechtes Elend. Die Un ordnung frißt einen fast auf, wenn die Frau ge storben ist." „Ich hörte schon von Ihrem Unglück," erwiderte Dorothea mit einem mitleidigen Blick, „und Sie tun mir sehr leid." Ein warmes Licht kam in die Augen des Mannes und verschönte sein vergrämtes Gesicht. „Es tut wohl, wenn man Mitleid findet, Fräulein Dorothea, und ich danke Ihnen. Aber helfen tut's einem auch nicht aus aller Not." Frau Barbara, die eben in die Wirtsstube zurück trat, hörte die letzten Worte und kam zu einem plötz lichen Entschluß. „Sie haben vorhin von der guten Nachbarschaft gesprochen, Herr Förster," sagte sie, als sie das gefüllte Glas vor ihrem Gast auf den Tisch gestellt hatte, „und mir fällt eben etwas ein, da Sie vom Helfen reden. Ist es Ihnen recht, wenn wir uns Ihnen einmal als gute Nachbarn bezeigen?" „Wie meinen Sie das?" fragte Warnitz aufblickend. „Ich dachte daran, daß es nach der langen Krank heit Ihrer Kinder gut sein würde, wenn einmal auf ein paar Stunden ein anderes Augenpaar als das der Meischen nach Ordnung sehen möcht'. Wenn Sie wollen, komme ich morgen vormittag zu Ihnen hin über." „Ich darf das ja gar nicht annehmen," entgegnete Warnitz verlegen und wurde an den Schläfen ein bißchen rot. „I was!" meinte Frau Barbara, die Hände resolut in die Hüften setzend. „Zieren Sie sich nur nicht! Ich mache das ganz gern und hätte schon längst einmal daran denken sollen, Ihnen ein bißchen unter die Arme zu greifen." In die Augen des bekümmerten Mannes war ein immer helleres Licht gekommen, während die Frau sprach, und seine Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Aufatmen. Wie ein „Gott sei Lob und Dank!" schien dieses Seufzen zu klingen. Dann sagte er, halb beschämt, halb erfreut lächelnd: „Wenn Sie sich die Mühe machen wollen, Frau Hardt, würde ich Ihnen sehr, sehr dankbar sein. Aber Sie werden eine arge Wirtschaft finden, mehr als „polnisch"." „Nun, geleckt und geputzt kann's nicht aussehen, wenn die Frau schon über ein Jahr fehlt, nicht wahr, Dorothea?" Die Gefragte verneinte, leise den schönen Kops schüttelnd. „Noch dazu, wenn kleine Kinder krank ge wesen sind," fügte sie ihrer kurzen Entgegnung nach einer Pause hinzu. „Ja, die Kinder!" seufzte Warnitz. Und es klang wieder wie damals vor Wochen. So, als empfände der Sprecher das Dasein dieser Menschlein als die drückendste Last seines Lebens. Und als sehne er sich darnach, von ihr freizukommen. Heute mehr denn je. Frau Barbara wies ihn nicht zurecht wie damals, als sie ihm allein gegenübergesessen. Aber sie sah ihn mißbilligend an und verließ bald darauf das Zimmer, da ihr Mann vom Hofe aus nach ihr rief. Als sie eine Viertelstunde später zurückkehrte, war Warnitz schon gegangen. Und Dorothea sah, in Ge danken versunken, durch das Fenster auf die schmutzige, mit schwarzgrauen Schneeresten bedeckte Landstraße uni» seufzte. „Nun, Warnitz ist ja schon wieder fort," meinte sie, auf das nur halbgeleerte Glas weisend, neben dem einige Nickelmünzen lagen. „Ach, der arme, arme Mann," sagte Dorothea, au» ihrem träumerischen Starren auffahrend. „Er tut mir so sehr leid." „Freilich kann er einem jammern. Aber seine Schuld ist's eigentlich ganz allein. Er könnte längst wieder eine Frau haben. Doch er hängt immer noch seiner seligen Hanna nach und kann sich zu einer zweiten Heirat nicht entschließen." „Es mag ja auch nicht so leicht sein, ein neues Ge sicht im Hause zu haben, wenn man noch so fest am alten hängt." „Allerdings nicht, Dorothea. Das weiß man schon. Aber er versündigt sich mit seiner Weichherzigkeit an seinen Kindern, die wie die jungen Füchse aufwachsen, und an sich selbst. Man kennt ja den Mann gar nicht wieder, so zu sammengeklappt sieht er aus. Die Meischen wird ein chönes Futter für ihn zusammenkochen. Ich danke! Und immer läuft er lodderig und zerrissen rum. Ein mal muß er der ganzen elenden Geschichte ja doch ein Ende machen." „Er hat mir vorhin erzählt, er bekäme keine Frau," verteidigte ihn Dorothea. „Er meint, es wolle ihn niemand mit seinen beiden Kindern." „Ach, dummes Zeug! Immer wieder die beiden armen Würmer! Können sie denn etwas dafür, daß sie auf der Welt sind? Das wird mich nun bald ärgern, daß er von seinen Kindern immer als wie von Hemm schuhen spricht, die ihm angelegt sind. Ein gutes Weiberherz nimmt die beiden kleinen Kerls als liebes Anhängsel gern mit in den Kauf. Und Warnitz ist doch ein schmucker Mann in den besten Jahren. Knapp fünfunddreißig. Wenn der sich ein bißchen rausputzt, nimmt er es mit jedem Zwanziger auf. Das mußt du doch auch schon gesehen haben, daß er kein Un- rbnxr ist?" „Er ist ein schöner Mann, Tante Barbara," ent gegnete Dorothea und sah an der Fragerin vorüber. „Na also I Zehn kriegt der. Aber freilich, wenn man nicht will!" Dorothea erwiderte nichts. Ihrer Meinung nack- verkannte die Tante den Mann. Und während des Nachmittags dachte sie häufig an Warnitz. Gegen Abend, als das Gespräch wieder auf ihn kam, meinte Frau Barbara, Dorothea könne am nächsten Vormittag nach dem Forsthause mitgehen. Zwei schafften mehr als eine, und es würde an allen Ecken hapern. Außerdem würde sie dann gleich sehen, daß Warnitz nichts Gescheiteres tun könne, als sich so schnell wie möglich wieder zu verheiraten. Dorothea zögerte ein Weilchen mit der Antwort, erklärte sich aber dann zum Mitgchen bereit. (Fortsetzung folgt.) Sparkasse zu Dippoldiswalde. Lepeditlons-Stunden: Sonntags: nur am letzten Sonntag im Monat von V-2 bis V-4 Uhr, an allen Wochentagen von 8'/- bi« 12 Uhr und 2 bis V-5 llh», Sonnabends ununterbrochen oer y bi» 2 Uhr. Borschnßveretn zu Dippoldiswalde. (Kassierer: Kfm. R. H. Lincke.) Täglich (mit Ausnahme des Sonntag und Mittwoch) oo» vormittags 9 bis 12 Uhr und nachmittags von Z bi» 5 Uhr.) Altertumsmuseum. Geöffnet: Sonntags von 11—12 Uhr im hiesigen Rathaus«, 2 Treppen. Zur gefälligen Beachtung! MU" Nach einer Entscheidung des Reichsgerichts braucht für Fehler in einer Anzeige, welche infolge unleserlich oder undeutlich geschriebenen Manuskripts entstanden sind, kein Ersatz geleistet zu werden. Das Reichsgericht ging hierbei von der Ansicht aus, daß Anzeigen, welche man einer Zeitung zusendet, deutlich geschrieben sein müssen. Die Erpedition der „Weißeritz-Zeitung." Mostkarten mit Musdruck von allerhand Mitteilungen in jeder gewünschten Art, auch in Kopierdruck, sertigt in sauberster Ausführung Buchdruckerei Carl Iehne, Dippoldiswalde. Letzte Nachrichten. Sybillenort, 25. November. Der König von Sachsen ist heule früh b>/2 Uhr zu mehrtägigem Jagdaufenthalte hier eingetroffen. Korlingen (Lothringen). Der Streik auf der Grube Merlenbach dauert unverändert weiter. Bon 3330 Arbei tern find heule früh nur 520 angefahren. Wien. Bon einer Kompetenz-Erweiterung des Erz herzogs-Thronfolgers am 2. Dezember ist an maßgeben den Stellen nichts bekannt. Rom. Professor Lombroso erklärte es kategorisch für unwahr, daß er eine Studie über Kaiser Wilhelm zu schreiben beabsichtige. — Infolge der Vorgänge an der Wiener Universität ist es auch an den Hochschulen von Turin, Florenz und Bologna zu Kundgebungen gekommen. Tanger. Muley Hafid ist geitern in Casablanca ohne Zwischenfall zum Sultan proklamiert worden. Tunis. In Keftiv stürzte ein Haus ein und begrub die französisch-armenische Schule unter den Trümmern. 20 eingeborene Kinder wurden mit verschüttet. Bisher sind 3 Leichen und 3 Schwerverletzte geborgen. Caracas. Vizepräsident Gomez hat die Präsident schaft übernommen. Präsident Castro reist nach Europa, um sich einer Operation durch einen Berliner Spezialisten zu unterziehen.