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Max Reger (1873—1916) wäre im März 70 Jahre alt geworden. Das musikalische Deutschland nutzt die Gelegenheit des Gedenkens, um zu überprüfen, wieweit das sehr um fangreiche, mit Ausnahpie der Gattung Oper, sich auf alle Gebiete erstreckende und im wesentlichen sehr schwerblütige Schaffen in der Am rkennung vorwärts gekommen ist. Die Reichsmusikkammer ordnet sogar amtlich für deü Hausmusiktag im November d. J. die Beschäftigung mit Reger an. Immer wieder begegnel man Reger-Freunden, die meinen, daß dessen komplizierte Schreibweise der unserer Zeit inzig entsprechende musikalische Aus druck wäre, und ebenso entschiedenen.Nichtfreundeu seiner Musik. Wenn die Meinungen um einen schaffenden Künstler sich noch dauernd im Pür und Wider bewegen, ist er zumindest noch immer eine interessante Erscheinung, anregend, spannend, Aufgaben stellend. Gelöste Rätsel haben keinen Reiz mehr. Einigkeit der Par «eien herrschte stets in der Bewunderung von Regers, die landläufigen Begriffe überschreitendem technischen Können, insbesondere seiner Kontrapunktik, das heißt der Kunst, j;der der zugleich erklingenden Stimmen selbständigen Charakter, Persönlichkeit zu verleih« n. Auch insofern ist das Urteil heute schon sicher, daß Reger in der kunstvollen Variierung von Themen anderer Komponisten, das Beste in seinem Gesamtschaffen leistete. (Variationen von Themen Hillers, Bachs, Tele- manns, Mozarts, Beethovens.) Wer aber sagte, daß Regers schöpferische Kraft also weniger im ErfipdepL« und. N eu schaffen als vielmehr im Jmschaffen, kunstvollen Verkleiden läge, würde dem Meister doch nicht ganz gerecht; denn Regersche Variationswerke entwickeln sich in ihren! Verlaufe stets zu ganz freien, eigenen, großen Fantasien, die sich vom ur sprünglichen Thema ziemlich entfernen und imirer getaucht sind in die eigentümliche klang liche Färbung, der besonderen Reger-Harmonik Diese gründet sich — wie hier nur kurz an gedeutet werden kann — auf einer Bevorzugung, chromatischer Schritte (Halbtonschritte) in allen Stimmen, nicht, wie noch in Wagners „Tr . tan“, dem „Hohenliede auf die Chromat ik, nur in der Ob^rstimn^e. * Die heute erklingenden „Beethoven-Variationen und Fuge“, Werk 86, sind im Original für zwei Klaviere, vierhändig, komponiert. Die hier öfters eintretende orchestrale Fülle regte den Komponisten an, das Werk für Orchester einzurichten. Vier Variationen ließ er dabei weg. Das sanfte, Wehmut und Heiterkeit mischende Thema stammt aus Beethovens Baga tellen, Werk 119. Es wird achtmal abgewandelt und zum Schluß die Anregung zu einer geist vollen (con spirito) Fuge mit graziös launigen Zwischenspielen. Zu neuzeitlicher Hausmusik vereinte Reger Stücke für Violine und Klavier unter der Werkzahl 103. Die Abteilung a darin ist auch als A-Moll-Suite bekannt geworden. Ihre sechs kleinen Vortragsstücke: Präludium, Gavotte, Aria, Burleske, Menuett, Gigue werden heute in einer Instrumentierung geboten, die bei „Aria“ von Reger selbst, in den übrigen von Adalbert Baranski stammt. Regers Schaffen hat manchen geistigen Zusammenhang mit dem von Brahms. So steht das heute erklingende Brahms-Werk nicht fehl im Programm. JohaDnesBrahms (1833 bis 1897) ließ seiner herbstolzcn, tragischen 1. Sinfonie c-moll die ganz gegensätzliche, fast als ein Idyll zu bezeichnende zweite Sinfonie D-Dur folgen. Ihr Grundcharakter ist romantisch anmutig, friedlich, märchenpoetisch. Eine weiche Hornmelodie gibt gleich am Anfang diese Stimmung an. Zur Ergänzung des Bildes fehlt zwar auch gelegentlich der ernste Gegensatz nicht, so die feierlichen Posaunenklänge im ersten Satz oder die trüber gestimmte Einrah mung des zweiten Satzes. Aber der Ernst ist nur vorübergehend. Froh, beschwingt, jubelnd klingt es durch das Werk. Die Verarbeitung der Themen, ihre Ausbeutung geschieht mit kontrapunktialer Meisterschaft. Besonders sei noch auf die interessanten Umbildungen des naiv-graziösen Themas vom 3. Satz hingewiesen, welches einmal sogar zum Ausdruck der Lebenslust ungarischer Zigeuner wird. Dr. Kurt Kreiser