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Steuer, der Erbschaftssteuer, erzielt werden. Etliche dieser Steuerpläne sind jedoch auf lebhaften Widerspruch gestoßen und das Finanzprogramm der Regierung dürste noch manche Abänderung erfahren. Schwere Sorgen bereiten uns noch fortgesetzt unsere Kolonien. Wenn in Südwestafrika auch seit Anfang 1905 der Widerstand der Hereros in der Hauptsache als ge brochen gelten konnte, so machten jedoch die Hottentotten banden unter der Führung des alten Hendrik Witboi unserer wackeren Schutztruppe noch viel zu schassen. Ein Umschwung zu unseren Gunsten trat aber auch hier ein, als in einem Gefecht vom 29. Oktober der alte Häupt ling eine Verwundung erhielt, die seinen Tod zur Folge hatte. Wenige Wochen darauf, am 27. November, konnte die Unterwerfung von Hendriks Sohn, Samuel Isaak Witboi, und seinen Anhängern gemeldet werden. Bon größeren Häuptlingen steht jetzt nur noch Morenga im Felde. Den entscheidenden Erfolg gegen die Witbois er zielte der jetzt nach Deutschland zurückgekehrte General leutnant v. Trotha noch kurz bevor er aus Südwestafrika abberufen wurde, wo er während anderthalb Jahre seines schweren Amtes mit zäher Tapferkeit gewaltet hat. In Südwestafrika übernahm der neue Zioilgouverneur v. Lindequist, bisher Generalkonsul in Kapstadt, am 14. November die Verwaltung. Auch in unserem ostasrikani- schen Schutzgebiet haben seit dem Sommer die Einge borenen sich gegen die deutsche Herrschaft erhoben, doch ist zu hoffen, daß der Gouverneur, Graf Götzen, den Auf stand ohne zu große Opfer bewältigen werde. Ein Teil der Schuld an den Mißerfolgen in unseren Kolonien fällt zweifellos auch den mannigfachen Fehlern der Kolonial verwaltung zu, in deren Organisation jetzt eine Änderung vor sich gehen wird. Es soll ein eigenes Kolorialamt mit einem Staatssekretär an der Spitze errichtet werden, für das der frühere Regent von Koburg-Gotha, Erbprinz Ernst von Hohenlohe-Langenburg, ausersehen ist; er hat bereits am 27. November stellvertretend die Geschäfte des bis herigen Kolonialdirektors Stübel übernommen. Im größten Bundesstaat Preußen wurde der lang wierige Kanalkrieg dadurch beendet, daß der Landtag im Februar 1905 auf Grund der wasserwirtschaftlichen Bor» läge der Regierung den halbierten Mittellandkanal (vom Rhein bis Hannover) bewilligte. Zu heftigen Kämpfen führte auch die parlamentarische Aktion, die sich an den großen Bergarbeiterstreik im Ruhrbezirk knüpfte, swelcher am 14. Januar ausbrach, und an dem schließlich ein Heer von fast 200 000 Arbeitern beteiligt war. Die von der Regierung eingebrachte Novelle zum Berggesetz wurde im Juni vom Landtag angenommen, aber die Gärung unter den Bergarbeitern ist auch heute noch keineswegs beseitigt. Sehr lebhaft gestaltete sich auch der Kampf, der zwischen den Universitäten und technischen Hochschulen und dem Kultusministerium um die Wahrung der akademischen Freiheit geführt wurde, und der mit dem Rückzug der Regierung endete. Zurzeit wendet sich das politische Interesse in Preußen in erster Reihe dem Volksschulunter- haltungsgesetzentwurf zu, den das Abgeordnetenhaus vor dem Beginn der Parlamentsferien einer Kommission über wiesen hat. Im Königreich Sachsen gingen im Oktober die Wahlen zur zweiten Kammer unter der Parole der Auflösung des seit 30 Jahren bestehenden konservatio-nationalliberalen Kartells vor sich, führten jedoch nur eine unbedeutende Verschiebung nach links herbei. Die in den letzten Wochen von den Sozialdemokraten nach österreichischem Muster veranstalteten Wahlrechtsdemonstrationen führten zu teil weise blutigen Zusammenstößen mit der Polizei und zu scharfen Maßnahmen der Regierung. In Bayern brachte bei den Wahlen im Juli das Bündnis zwischen den Klerikalen und den Sozialdemo kraten den ersteren die überwiegende Mehrheit in der Abgeordnetenkammer; am 30. November kam das die all gemeinen, direkten Wahlen einführende Gesetz zur An nahme. Die in Baden im Oktober zum ersten Mal nach dem gleichen System vorgenommenen Wahlen führten in folge des Zusammenschlusses der Linken zu einer Nieder lage der Klerikalen. Im Fürstentum Schwarzburg- Rudolstadt ergaben die Wahlen vom 6. September eine knappe sozialdemokratische Mehrheit im Landtage, der dann, 2. VMgc W Weißeritz Irlümz Nr. 1 Donnerstag, den 4. Januar 1906 erheblicher Schwierigkeiter zum Abschluß. Am 1. Febr. in dem jetzt zur Neige arm an bedeutsamen und ehenden Jahre wahrlich nicht inschneidenden Ereignissen. Das Deutschland i Die innere Politik dv i Jahre 1995. Deutschen Reiches war auch war der Reichskanzler Gtaf (jetzt Fürst) Bülow in der Lage, die zwischen dem Deutschen Reiche und den sieben Staaten: Rußland, Österreich-Ungarn, Italien, Belgien, der Schweiz, Rumänien und Serbien abgeschlossenen Ver träge im Reichstage eimvbringen. Am 22. Februar er folgte in dritter Lesung ckidgültig die Annahme der neuen Handelsverträge, die des Vertrages mit Rußland mit 228 gegen 89 Stimmen, des Vertrages mit Österreich-Ungarn mit 226 gegen 79 Stimmen, der übrigen Verträge im ganzen. Die Verträge sollen am 1. März 1906 in Kraft treten und bis zum 31. Dezember 1917 gelten. große Werk der Handelsr rträge ist nach heftigen parla mentarischen Stürmen en ich in diesem Jahre zustande gekommen. Die Verhand mgen, namentlich mit Rußland und Österreich-Ungarn, g langten erst nach Überwindung Des weiteren wurde vom Reichstag eine Militärvvr- lage angenommen, welche die Friedens-Präsenzstärke des deutschen Heeres auf 5 Jahre, von, 1. April 1905 bis zum 31. März 1910, festlegt, und zwar soll die Friedens präsenz als Jahresdurchschnittstärke allmählich derart er höht werden, daß sie im Lause des Rechnungsjahres 1909 die Zahl von 505 839 Gemeinen, Gefreiten und Ober- gefreiten erreicht und in dieser Höhe bis zum 31. März 1910 bestehen bleibt. Von besonderer Wichtigkeit ist die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit für die Infanterie, die bisher nur provisorisch war. Immer dringender wird die Finanzreform für das Reich, dessen Mehrbedürfnisse die Regierung zurzeit auf 230 Millionen Mark berechnet. Zur Deckung dieser Summe hat der Reichsschatzsekretär v. Stengel dem am 28. November eröffneten Reichstage einen recht umfang reichen Steuerstrauß überreicht; die nötigen Mehreinnahmen sollen aus weiteren Steuern auf Bier und Tabak, aus Fahrkarten, Quittungen, Frachturkunden und Automobile, wie durch Erhebung einer für das Reich neuen direkten 72. Jahrgang.