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Vellage Mr Weißeritz JeMg. Donnerstag, den 30. März 1905. Nr. 36. 71. Jahrgang Sächsisches. — Immer stärker wächst das tschechische und politische Element im Königreich Sachsen an. In mancher böhmi schen Grenzstadt und in mancher Straße der Landeshaupt stadt Dresden haben sich geradezu tschechische Kolonien ge bildet, innerhalb deren tschechische Vereine sich gründeten, die oft genug zum Dank für die deutsche Gastfreundschaft eine fanatisch-deutschfeindliche Stellung einnehmen. Der „Vogtländische Anzeiger" in Plauen beschwört die deutschen Arbeitgeber, dem sremosprachlichen den deutschen Arbeiter, speziell dem Tschechen den Bayer und den Deutschböhmen vorzuziehen. Die Landwirtschaft ist freilich wegen der Leutcnot in einer Zwangslage, aber sie müsse sich wenig stens die keineswegs unerfüllbare Forderung stellen: „Keine Polen ins Land!" Für Mittel- und Ostdeutsch land könne und müsse in absehbarer Zeit der deutsch freundliche Ruthene aus Galizien den deutschfeindlichen Polen verdrängen. In ihrer Heimat sei cs gerade der Pole, der den Ruthenen schwer bedrücke und deshalb auch seine Auswanderung mit List zu hindern suche. Aber dankbar erkenne der Ruthene den besseren Lohn und vor allem die bessere Behandlung an, die er auf deutschen statt polnischen Gütern findet; aller Haß und Neid gegen deutsches Wesen sei ihm fremd. — Dankenswertes Entgegenkommen zeigt die preu ßische Bahnverwaltung den Reisenden mit Hunden. Schon seit längerer Zeit sind die Wagenabteile in Zügen für solche Reisende reserviert und mit der Aufschrift: „Für Reisende mit Hunden" bezeichnet gewesen. Jetzt haben die Schilder auf der Rückseite, d. h. auf der dem Wagen- Jnnern zugekehrten Seite, noch den besonderen Zusatz: „Reisende ohne Hunde, die in diesem Abteil Platz ge nommen haben, sind verpflichtet, in ein anderes Abteil umzufteigen, sobald ihr Platz zur Unterbringung von Reisenden mit Hunden in Anspruch genommen wird." Auf diese neue Verfügung sollen Reisende, die nicht frei willig umsteigen, von den Bahnbediensteten aufmerksam gemacht werden. In Sachsen finden die in Begleitung von Hunden Reisenden nicht solch ein Entgegenkommen. Sie sind auf den guten Willen der Zugbeamten ange wiesen, oder müssen ihre Hunde in die im Packwagen be findlichen Hunde-Löcher sperren lassen — für den Besitzer eines wertvollen Hundes, überhaupt für jeden Hunde- sreund eine Unmöglichkeit, da er nie wissen kann, ob nicht ein mit ansteckender Krankheit behaftetes Tier kurz vorher in dem Loche gesteckt hat. Schon aus Gründen des Tierschutzes müßte hier auch bei uns in Sachsen Ab hilfe geschafft werden! — Nunmehr ist, wie der „P. A." erfährt, der Bau der bereits trassierten elektrischen Bahn Turn-Graupen- Mar Lasch ein nach Sachsen gesichert, da ein Wiener Bankhaus zwei Drittel der mit 600 000 Kronen veran schlagten Baukosten zur Deckung übernommen hat, sodaß die interessierten Gemeinden Turn, Graupen und Maria schein nur einen Beitrag von 160000 bis 200000 Kr. aufzubringen haben. Außerdem mußte die Stadtgemeinde Graupen den zum Bau der Zahnradbahn erforderlichen Gemeindegrund unentgeltlich überlassen. Die Rentablität der beiden im Anschluß stehenden Bahnen, welche Teplitz, Turn und Mariaschein mit Dresden in die kürzeste Ver bindung brächten und den Touristenverkehr und der Ver billigung des Kohlentransportes nach Sachsen wesentlich dienen würden, wird nicht im mindesten bezweifelt. Für den Ausbau der Zahnradbahn interessiert sich die Aktien gesellschaft „Elektra" in Dresden, welche bereits bei der sächsischen Regierung Schritte wegen Erledigung prinzipieller Rechtsfragen eingeleitet hat. — Von Ostern ab ist in Radeburg eine Neuge staltung des Fortbildungsschulunterrichts geplant. Um dem Prinzip des Fachunterrichts Rechnung zu tragen, das be reits in der bestehenden Musikerklasse zur Anwendung kommt, soll künftig auch eine Nahrungsmittelgewerbe- und eine Baugewerbeklasse gebildet werden. Eine vierte Klasse wird die Vertreter der Berufe vereinen, die sich einer be stimmten gewerblichen Gruppe nicht unterordnen lassen. Tharandt. Auf dem hiesigen Bahnhofe fuhr am ver gangenen Sonntag die sogenannte Schiebemaschine beim Ansetzen an den vormittags I t Uhr 5 Minuten von Dresden nach Reichenbach—Hof—München verkehrenden Schnellzug so stark an, daß der letzte Wagen mit der vorderen Achse entgleiste. Hierdurch war das eine Dresden—Reichenbacher Hauptgleis für kurze Zeit gesperrt; außerdem stellten sich einige nur leichtere Verletzungen an Reisenden heraus. Riesa. Ein folgenschwerer Streik droht unter den Steuer- und Bootsleuten der Elbkähne auszubrechen, da ihre an die Schiffseigner gerichtete Forderung um Auf besserung der bisherigen Löhne abschlägig beschieden worden ist. Sollte es aus diesem Grunde zum Ausstande kommen, so dürften sich die Bemannungen von etwa 1000 Kähnen — der Hälfte der Elbfahrzeuge überhaupt — an dem Streike beteiligen. — Die Anzahl der auf dem Truppen übungsplätze Zeithain befindlichen Baracken wird in diesem Jahre durch Neubau von Kaoalleriebaracken nebst den zugehörigen Stallungen vermehrt werden. Eisenberg-Moritzburg. Ein überaus anziehendes Bild bietet jetzt schon der Futter platz, zu dem nicht nur zahlreiche Wildschweine mit ihren Frischlingen, sondern auch prächtige Rot- und Damhirsche in Rudeln von 15 bis 20 Stück ziehen. Leipzig. „Schleppt die Leichen fort, sie riechen schon!" so deklamiert Kuno im „Geschundenen Raubritter" der Witwe Magnus; ähnlich dürfte auch mancher Sonntags- besucher der Kochkunstausstellung gedacht haben, da zahlreiche Objekte bereits „zum Himmel schrien". Dies Verderben dürste wohl auch das Hauptmotiv fürs Fallen lassen der Absicht sein, die Ausstellung noch bis Montag zu verlängern. Leipzig. Die Lithographen und Steindrucker sind in eine Tarifbewegung eingetreten, da die in den letzten zwei Jahren unternommenen Versuche, einen Tarif zu schaffen, zu keinem Abschluß geführt haben. Eine stark besuchte Versammlung beschloß, den Arbeitgebern am 27. März folgende Forderungen zu unterbreiten: Der Marimal- arbeitstag ist für Lithographen 8, für Steindrucker 9 Stunden. Vermeidung von Überzeit-, Sonn- und Feier tagsarbeit, in Notfällen mit Zuschlägen. Aushilfsarbeit darf die Dauer von 14 Tagen nicht überschreiten, sonst ist 14 tägige Kündigungszeit zu vereinbaren, Regelung des Lehrlingswesens nach einer bestimmten Skala u. a. m