Volltext Seite (XML)
DM-e Ml Weißelitz-Münz M. 19. Donnerstag, den 16. Februar 1905 71. Jahrgang. Cin künstlerischer Stadtvanplan. In der Sitzung des Ausschusses zur Pflege heimatlicher Kunst und Bauweise in Sachsen und Thüringen am 2I. Januar berichtete der Vorsitzende Oberbaurat Schmidt über einen weitere Kreise interessierenden Vorgang in der Stadt Dippoldiswalde. Die Studt Dippoldiswalde, der das Schicksal vieler geschichtlich und landschaftlich bemerkenswerter Städte be- vorstand, nämlich auf dem Wege eines nach den Grund sätzen des Geometers gefertigten Vaufluchtenplanes alles das zu verlieren, was in baulicher Beziehung ihr be sonderen Reiz verleiht, hatte sich in letzter Stunde an den Ausschuß gewandt mit der Bitte um fachmännische Unter stützung bei der Aufstellung eines zweckentsprechenden Be bauungsplanes. Dieser Bitte hat der Ausschuß bereit- willigst entsprochen: die Herren Architekten Professor Tscharmann und E. Kühn stellten gemeinsam einen Bau- sluchten- und Bebauungsplan auf, der noch vor Schluß des Jahres I904, von einem kurzen Bericht des Architekten Herrn Kurt Diestel begleitet, der Stadt Dippoldiswalde überreicht werden konnte. Da aus diesem Bericht selbst das wesentliche des ganzen Vorganges ersichtlich ist, sein Inhalt auch geeignet sein dürfte, die Tätigkeit des Ausschusses in das richtige Licht zu setzen und andere Orte in ähnlicher Lage auf diese Hilfsquelle hinzuweisen, so geben wir diesen Bericht im Wortlaut wieder. Wie aus dem Plane ersichtlich, ist von der ursprüng lichen Annahme einer Vaufluchtenfeststellung für die innere Stadt abgegangen worden, da der Durchgangsverkehr teils oberhalb, teils unterhalb der Stadt vorbeiführt und somit einen Einfluß auf die Straßenverhältnisse der inneren Stadt nicht zu äußern vermag. Eine Verbreiterung ist nur sür die dem Markte zunächst gelegene Hälfte der Wassergasse beibehalten worden. Die Durchführung eines weitergreifenden Straßenoerbreiterungs-Planes, ins besondere unter dem Gesichtswinkel der „Begradigung", würde einen durch keine besonderen Verkehrs- und Wohnungsbedürsnisse bedingten Eingriff in überlieferte ört liche Zustände bedeuten und entgegen 8 18 (I) des All gemeinen Vaugesetzes lediglich eine Verunstaltung der be stehenden Straßen und Plätze hcrbeiführen. Dies wäre um so mehr zu bedauern, als die Stadt Dippoldiswalde in baulicher Hinsicht unter den uns überkommenen alten Städten Sachsens eine Sonderstellung einnimmt, welche bei Aufstellung von Bauordnungen und Bebauungsplänen auch eine Sonderbehandlung zu rechtfertigen scheint. Arm an nennenswerten Werken der Baukunst, wie sie den Wert etwa der Städte Meißen, Pirna, Zittau und anderer bestimmen, überragt sie diese trotz ihrer geringen Ausdehnung durch die Einheitlichkeit ihrer baulichen Grund- timmung und die Planmäßigkeit ihrer Eesamtanlage. Die Zweckmäßigkeit der Straßenführung, die räumlichen Abmessungen der Plätze und die Maßverhältnisse der sie begrenzenden, fast schmucklosen Häuser stellen eine wohl überlegte stadtbaukünstlerische Leistung dar, welche mit großem Geschick gesteigert wird durch gelegentlich niit feinem Takt getroffene Ausnutzung der wenigen architektonisch hervortretenden Bauwerke zur Schmückung von Straßen fernblicken und kleinen Plätzen. Besonders bemerkenswert erscheint das Verschieben der Straßeneinmündungen gegen einander mit ihren wirtschaft lichen und verkehrstechnischen Vorzügen. Jedem der vier Eckhäuser wird ein freier Ausblick gewährt, dem Straßen verkehr aber eine Übersichtlichkeit gegeben, wie sie bei regelmäßiger Straßenkreuzung nicht zu erreichen wäre. (Vergl. hierzu als beachtenswertes Beispiel die Kreuzung der Galerie- und Frauenstraße in Dresden ) Von, baugeschichtlichcn Standpunkte ist die Stadt Dippoldiswalde insofern bemerkenswert, als sie anscheinend völlig unberührt geblieben ist von dem sür manch eine Stadt verhängnisvollen Einflüsse der die letzten dreißig Jahre beherrschenden Stilwechsel. Fast wie ein Lehrbei spiel für die auf Einfachheit und Sachlichkeit hinzielenden Bestrebungen des modernen Bauwesens erscheint uns heute die Stadt Dippoldiswalde als ein vorbildliches Ganzes, das dem Schutze einer einsichtigen Bürgerschaft wie der hohen Staatsbehörden wärmstens empfohlen werden kann. Handelt es sich doch uni Werte, deren Nutznießung heute noch jedem einzelnen zu Gebote steht, ohne daß er sich dessen bewußt werde, die vielleicht langsam, aber gewiß unwiederbringlich verloren gehen würden, sobald dieses Ganze mit seiner Harmonie von Straßen und Plätzen einem Straßenerweiterungsplane überantwortet werden sollte, dessen Wirkung bereits oben gekennzeichnet wurde, dessen längst überholte, schon von der nächsten Generation nicht mehr verstandene Anschauungen dann auf weitere zwei bis drei Jahrhunderte hinaus verschleppt würden. — Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das König liche Ministerium des Innern, dessen erfolgreiches Eintreten nach der Richtung des Heimatschutzes und der Denkmal pflege bereits durch zahlreiche Ministerialerlasse belegt worden, von seiner Forderung nach Festlegung eines zur Zeit kaum zu begründenden Fluchtlinienplanes für die innere Stadt abstehen werde, sobald der Stadtrat den Wunsch nach Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes äußern, unter Umständen damit begründen wolle, daß etwa nötige Fluchtlinienabänderungen von Fall zu Fall geregelt werden können. Daß im übrigen in einer Zeit, welche den wirtschaftlichen Wert der auf Schutz heimat licher Kunst und Bauweise hinzielenden Bestrebungen vollauf zu würdigen vermag, kein Mangel an geeigneten, sachkundigen Persönlichkeiten sein werde, welche in solchen Fällen ihre Kräfte in den Dienst der Stadt Dippoldis walde stellen möchten, bedarf kaum des Hinweises. Für die in frage kommende Bebauung ferner des zwischen der alten Stadt und der Weißeritz liegenden Ge ländes sei bemerkt, daß angesichts der nur langsam zu nehmenden Bautätigkeit die Schaffung eines auf weit über hundert Jahre ausreichenden Bebauungsplanes leicht durch eine genaue geometrische Geländeaufnahme, sowie eine den örtlichen Verhältnissen und den neuzeitlichen bau fachlichen Anschauungen angepaßte Ortsbauordnung hätte ersetzt werden können. Es muß jedoch zugegeben werden, daß den Nachteilen eines Bebauungsplanes, dessen Zu standekommen erfahrungsgemäß zuvörderst ganz andere und bedenklichere Kräfte auszulösen pflegt, als sie der ge sunden baulichen Entwicklung einer Stadt dienlich sind, die Vorzüge einer klaren Übersicht über die Bcschleusungsver- hältnisse mindestens gleich zu achten sind.