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Tagesgeschichte. — Eine Interpellation im Reichstag wegen des Kaisertelegramms beim Vorstand der Zentrumspartei zu beantragen, haben nach der „Leipz. Volksztg." die bayerischen Mitglieder der Zentrumspartei angeblich be schlossen. — Das am I. November d. I. in Kraft tretende neue preußische Lotteriegesetz beginnt schon zu wirken, zunächst aber stärker außerhalb Preußens, als im preußi schen Staate selbst. In Neustrelitz, bisher der Glückshafen aller erlaubten und unerlaubten Lotterien, macht sich diefes Verbot ganz besonders bemerkbar. Sämtliche Lotteriegeschäfte, 50 bis 60 an Zahl, lösen sich auf und müssen sich einen neuen Broterwerb suchen, ebenso wird eine ziemliche Anzahl sunger Kaufleute brotlos werden. Sogar die Post in Neustrelitz kann, weil die Briefsendungen abgenommen haben, ihre Beamtenzahl um fast ein Dutzend verringern. — Auch in Berlin sehen die fremden Lotterie- Einnehmer trostlos in die Zukunft; sie lösen ebenfalls ihre Geschäfte auf und müssen sich einen neuen Erwerb suchen. — An mittlere und kleinere Garnisonen des Reichs- landes soll, wie dem „Hannov. Cour." aus Straßburg berichtet wird, in diesen Tagen eine kaiserliche Verfügung ergangen sein, die besagt, daß in Hinsicht auf die Vor kommnisse in Forbach in Zukunft in den kleinen Garni sonen die Besatzung mindestens alle fünf Jahre wechseln müsse, damit keine zu große Vertrautheit mit der Zivil bevölkerung entstünde. An erster Stelle sollen für diesen Wechsel die Garnisonen Mutzig, Zabcrn, Pfalzburg und Schlettstadt in Aussicht genommen sein. — Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung eine Vorlage über Neuprägung von Fünfzigpfennigstücken angenommen. Die Vorlage bedarf der Zustimmung des Reichstages nicht, da an dem Mischungsverhältnisse nichts geändert wird. Die neuen Fünfzigpsennigstücke tragen die Bezeichnung „1/2 Mark"; sie haben einen sehr stark ge riffelten Rand niit erhöhter Prägung, so daß eine Ver wechselung mit den Zehnpfennigstücken fast ausgeschlossen erscheint. — Der württembergische Landtag ist vom König von Württemberg auf den 18. Oktober einberufen worden. — Von einem geheimnisvollen Erenzvorfall wird der „Rhein.-Westf. Ztg." aus Metz berichtet: Ein in Sainte Marie am Chönes, einem Dorfe hart an der Grenze, wohnender Schmied ging auf französisches Gebiet auf die Jagd. Als er übermäßig lange ausblieb, begann man nach ihm zu suchen und fand ihn tot auf deutschem Ge biet. Die Kugel war in den Rücken ein- und am Nabel ausgetreten. Nach Befund der Sache meint man, daß der Mann von französischen Zollwächtern für einen Schmuggler gehalten und erschossen wurde. Als sie ihren Irrtum einsahen, scheinen sie, um einer Untersuchung aus dem Wege zu gehen, die Leiche auf deutsches Gebiet ge bracht zu haben. Die Akten des Falles werden der fran zösischen Behörde zur weiteren Untersuchung zugestellt werden. — Eine bemerkenswerte Kritik von Geschworene n- Wahrsprüchen hat gelegentlich der letzten Sitzung der Schwurgerichtsperiode in Bromberg der Vorsitzende abge geben. Bei der üblichen Abschiedsansprache an die Ge schworenen nahm der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Albinus, zunächst das Wort, indem er eine Zusammen stellung über den Verlauf der bisherigen Sitzungstage machte. Sodann ging er auf eine Kritik der von den Geschworenen abgegebenen Verdikte in einzelnen Fällen ein und bemängelte dieselben. Es seien seitens der Ge schworenen Sprüche erfolgt, die nach dem einstimmigen Urteil des Gerichtshofes als Fehlsprüche bezeichnet werden müßten. Nach Aufführung der einzelnen Fälle betonte der Vorsitzende, daß er amtlich und auch von anderer Stelle zu einer solchen Kritik berufen sei; dieses Recht nehme er für sich in Anspruch, zumal die Geschworenen durch ihre Sprüche im gewissen Sinne Kritik an dem Ge richt übten. In der Kritik seinerseits liege aber kein Vor wurf gegen die Geschworenen, sondern er träfe die In stitution der Schwurgerichte. Es werde wohl nicht mehr lange dauern, so schloß der Vorsitzende, daß an Stelle der Schwurgerichte, gegen die er persönlich kein Vorurteil habe, sondern die er vielmehr für eine dem Volke sympathische Institution halte, die vergrößerten Schöffengerichte treten würden, in denen Juristen bei der Beantwortung der Schuldfragen mitwirken würden. Das sei schon vor 26 Jahren geplant gewesen. Hoffentlich würde er es noch in Bromberg erleben, solche Gerichte zu erhalten, und er werde es sich dann in jedem Falle zur Ehre rechnen, in diesen vergrößerten Schöffengerichten den Vorsitz führen zu können! Paris. Prinzessin Luise vonKoburg hat folgende vier Sachverständige.zur Beobachtung ihres Geisteszu standes bestimmt: den Akademiker Magnan, den Univer- sitätsprofessor Josfroy, den Direktor des Irrenhauses von Villejuif Toulouse und den Hauptarzt der Pariser Polizei- präsektur Garnier. Spanien. Nach einer der Regierung zugegangensn Depesche haben die Delegierten von Honduras und Nica ragua den König von Spanien zum Schiedsrichter in dem Grenzstreit zwischen den beiden Republiken er nannt. Rußland und Japan bemühen sich angeblich um die Aufnahme einer bedeutenden Kriegsanleihe in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Geld können beide Kriegführende ja immer gut gebrauchen. Rußland. Der zweite Militärbezirk Finnland wurde, wie die „Zeit" berichtet, unmittelbar dem ersten Militärbezirk Petersburg angegliedert. Damit erscheint auch die militärische Autonomie Finnlands vollständig aufgehoben. Der Militärbezirk Finnland hat an Truppen: I Leibgarde-Schützenbataillon, 2 Schützenbrigaden, I Dra goner-Regiment, l Kosaken-Division, 2 Artillerie-Regimenter und technische Truppen. Sämtliche Truppen wurden bisher als „finnische" bezeichnet. Neuyork, 0. Okt. Die Vereinigung alter deutscher Studenten gab heute in der Arionhalle den deutschen und den englischen Gelehrten, die von dem in St. Louis abgehaltenen Kongresse kamen, einen Festkonimers. vr. Beck hieß die Gäste willkommen. Er verlas einen Brief des Präsidenten Roosevelt, der sein Bedauern aussprach, daß er, selber alter Student, nicht persönlich teilnehmen könne, und allen seine Grüße übermittelte. Redner schloß mit einem Hoch auf Amerika und auf alle Nationen, die zu seiner Entwickelung beitrugen. Professor vr. Harnack- Berlin widmete seinen Trinkspruch seinem alten Freunde, dem früheren Botschafter White. Ferner sprachen Pro- sessor Lamprecht-Leipzig, der den Gedanken ausdrückte, die amerikanische Kultur werde einstmals diejenige Europas überflügeln; Professor Sombart-Breslau, der den amerika nischen Idealismus rühmte. Tokio. Der Mikado hat einen Aufruf an sein Volk gerichtet, worin er zur Geduld und Standhaftigkeit in der schweren Zeit des Krieges ermahnt. Er sagt: Seit Be ginn des Krieges haben das Heer und die Flotte Tapfer keit und Todesverachtung erwiesen, sowie die Beamten ihre Pflicht in vollstem Maße erfüllt. Das Volk hat der Regierung die tatkräftigste Unterstützung zu teil werden lassen. Wenn die Sache der Japaner auch bisher erfolg reich gewesen ist, so bedarf sie doch zu ihrer vollständigen Durchführung der weiteren Unterstützung in Geduld und Ausdauer. Es gilt nach der schließlichen Erfüllung des gefaßten Vorsatzes mit allen Mitteln zu streben. Tokio. Das japanische Kanonenboot „Heizen" ist, wie jetzt bekannt wird, am 18. September in der Tauben bucht auf eine Mine gestoßen und gesunken. Von der Besatzung wurden nur vier Mann gerettet.