Volltext Seite (XML)
Beilage zn 213 des DsiuStag, den 14. September l^v Der sächsische Gemeindetag. 3 — Ueber die Sonnabend, den 11. September hier in Drcsd.n in Mcinlwld'S Etablissement (Moritzstraßr) abgthalun« ordentliche Jabr. »Versammlung de- di« Be ratkung nnd Förderung vcr Jrrlcressn dcr vaterländischen, städtischen, wie ländlichen Hemeineen bezweckenden säch sischen Städte tagt, über dessen Eröffnung durch seinen Borsiyendrn Hofrath Ackermann (Dresden) von un- berritS Mittheilung gemacht word n ift, erstatten wir, nach gewonnener Urbersicht üb»r da- Endresultat, fol- senden, die in der 6 smnsigen, von Morgen- 10 Uhr bi- Nachmittags 4 Uhr andauernden Sitzung gepflo genen Verhandlungen ia »uv* wiedergebenden Bericht. Nach der Tagrsordnnug handelte rS sich vorzugsweise um Ditcussion beziehentlich Beschlußfassung über einen im Auftrag de* zul tzt in Zwickau slaltgefundeuen Ge- meindetagS rom Vorstände auSgrarbeitet»n Entwurf einer Gemeinbrversassung und war man bet dessen provisori scher Feststellung ron drei G-sichtspunkUn ausgeaan- gen. Der Entwurf behandelte nämlich ») die Ver tretung der Gemeinden und deren Befugnisse und Ob» Uegenlxiten, b) die Wabl, Organisation und Eompe- tenz vpn Bezirk-av-schüssen und die Bildung der zwei ten Instanz, und e) die Finanzverwaltung und Finanz- controle. Der unter ») erwähnte Gegenstand, unstreitig der Cardinalpunkt des ganzen Entwurf-, durch dessen endgiltige Feststellung die beiden andern Punkte mehr oder weniger tangirt werden, nahm die ganze verfüg bare Zeit fast ausschließlich in Anspruch. Die eigent liche Verhandlung, welcher der Herr Staatsminister v. Nostitz-Wallwitz bis zu Ende belwohnlc, begann mit dem Rcferat des Stadtraihs Bönisch (Chemnitz). Der selbe legte die seinem Vorträge zu Grunde gelegenen Hauptgrundsätze dar und bemerkte, daß es nach frü- dern Beschlüssen über Abschaffung des Dualismus der Gemeindevertretung in Stadtrath und Stadtverordnete, Beseitigung der lebenslänglichen Anstellung der Ge- meindebcamten, Uebcrgang der Polizei an die Ge meinden und Umwandelung des Städtetags in einen Gemeindetag, nunmehr Sache des Vorstands gewesen sei, diese Grundsätze auf die Gcmeindcvnfassung selbst näher anzurr enden und auszusühr cn. Es seien daher dir zu treffenden Bestimmungen so allgemein zu hal ten, daß sie auf alle Gemeinden des Landes passen, und habe man sich dcSbalb vor specicllen Vorschriften möglichst zu hüten gehabt. Die Generaldebatte »rSssvete Bürgermeister Peucker (Mee rane), weicher »ach Aushebung der Zw.ilheilung in der Ge meiudcverfassung die Verwaltung der Gemeindeangtlegeoheiten einem Gemeinderaid unter Vorsitz des Bürgermeisters oder Ge meindevorstehers überiragen wlfsen wvttie, der ebenso, wie die besoldeten Bcigeordnele», stimmberechtigtes MitUi.d deS Ge meinderaths sein solle. Den Äemeinderalh wünsche er je nach dem Umfange der einzelnen Verwalmugszweige ia eine dnrch Ortsgesetze zu bestimmende Anzahl von Deputationen gr^lie der«, welche im Rahmen deS seftgesteUten Hausdaliplan«, toast aach den Beschlüssen d>S gesammnn Gemeinderaths die Ver waltaag der Gemeindcangelezenbeitta besorgen- Der mit der Leitung und Aufsicht des Geschäftsganges »ll betrauende Bür- «pnilrifier oder G meindevorsteder nebst Stellvertreter, sowie sonstige besoldete Beigeordnete und Vorstände der Deputationen sollen den Gemeioderath bilden und als solcher di« oberste Ver antwortlichkeit trage», di« Stadlgemeiode verirrten uad die Beamt n anstellen und entlassen kSanen. Nach zahlreicher Unterst'»^«, eines in diesem Sinne ,e- ftelltea An,rag- wandte sich der Vic,Präsiden« l>e Schaft r«th (Dn«deo) ,«»r Vorlage, in welch« erden verwihtra ober ste» «rnnbtatz d«r A»w»o«ir d«r Gemeinden in Fra,,» inne rer Organisai oq eiaznschalten beantragte Stadt». Walter (Dres>,nf erklärte die Beibehaltnng de« allerdings resormbedüif «igen Dualismus für gröbere Städte sür andedtngi aäthig, ver- sprach sich auch für klorner« Gemeiaden von dem NnUaersmns nichts Bates, stellte die Wiederkehr der früher« Bürgermtister wirthschaft bei Verfolgung solcher Bestrebungen ia Aussicht, aab aber za, daß der Vorschlag für Mittelstädt« seia GawS baden könne. Bürgeraitister Streit (Zwickau) empsabl denMiaoritäts- vorschlaq des VoiftandeS, »ach welchem brr tAemeindevorsteber uad V»i^»rd«ete Mitglied«^»- Gemeiaderaihs seia uad Er sterer, bez. sei« Stellveitreter den Boisitz in dem'elbeu führen solle, wogegen die Majorität den Gemeind«»oist,htr und Bei- deoronete nicht al- Mitglieder des Gemeinderaths, wohl ober ihre Verpflichtung anerkannte, an de« Sitzungen und Bera- thnngen desselben Theil zu uedmrn. De» Echajsrath'schr» An trag, in seiner Tendenz vortrefflich, hielt er durch fühere Be schlüsse erledigt und den Peuckn'ichen Antrag durch da- Min,- rrtätSvotnm bereits getroffen, während er sich der Ansicht Wal- ler's nicht conformirea konnte. D»m Stadt». Adv. Gruner (Dresden) schienen die aus gestellten Giundsätze für kleinere Gcrueiodeu nicht paffend und überall anwendbar, we>l nach der Vorlage dem Gemeivdevor- steher zu viel Gewalt eiogeräumt würde, und plaidiri« er, aach Auswe,- der aagenügendt» Unterstütz»»« eine» von ihn, ge stellte« Antrags jedoch vergeblich, für Selbstüberlaffung der Leit»», der Gemnudeaagelegeabti'tn aa di- Angedärigen der artiger Gewtindeu. Mehr Anklang fand der weitere Aalrag, dem zufolge ia kleinern Gemeinten die gelammten stimmberechtigten Einwohner direct über die Gemeindeangelegenbriteu beschl'eßeo sollen. Stadtv-Vorsteher Kretzschmar H. (Großenba o) sürchtete von der Annahme, resp. Ausführung der Peucker'fchen Anträge die Wiederkehr glücklich beseitigter Uetelstände, wie man sie vor Einführung der Collegien der Stadtverordneten gekannt hätte. Den Antrag Gruner'S hielt er für zu spcciell uns der Vorlage zuwidcrlauseud. Bürgermeister Wern-r (Kallenberg) verlher- diqic die Vorlage, woraus nach einer Bemerkung Peucker'S. daß sein Antrag Vorsichtsmaßregeln gegen die sogenannte Bür- germeisterwirthschast cnthalte, Stadtv ve. Wigard (Tr,sden) seine Grundsätze erläuterte, indem er für die Vorlage «ivtre- tend, daS wichtige Princip der Einheit der Gemeindevertretung an die Spitze stellte und hervorbob, daß eS sich bei einer Ge- meivdeversafiungsrcorgavisation vorzugsweise darum handle, eine aus Wahlen der Gemeinde hervorgeheade Gemeindever tretung herzustellen, die in kürzer« Perioden zu erneuern sei. Gemeiudtvorstaud Jungnickel (Limbach b. Chemnitz) bestätgte für seine Perlon das lebhafte Inter»fi« der Landgemeinden, welche nur aus Unkenntniß über den Tag der Versammlung weniger zahlreich verrieten seien, an der Be»handlung und w es nach, daß die von Peucker gewünschten Einrichtungin sich b'- reitS praktisch iu L>m ach zum Vortheil der Geme nden bewährt hätten, dagegen konnte er sich mit dem Grundsätze, den Ge- meindevorsteder nur auf Zeil zu wählen, deshalb nicht befreun den weil er befürchtete, daß dadurch der Gemeindevorsteher io das Parteigetriebe h.neingezogcn w rdeu könne. Nach »iner Gegenbemerkung dcs Präsidenten Hof raths Ackermann, daß feiten derPrcsse in anerkennen der Weise ans die Zeit des Zusammentritts des Ge- mcindetags hingewiese» worden sei und eine direkte Benachrichtignng zu kostspielig gewesen sein würde, trat die Versammlung in die Spectaldebatte ein, welche in einzelnen Punkten einen nicht minder lebhaften Meinnngsaustausch veranlaßte, als er bei dcr G neral- discussion stattgefunden hatte. Der Eingang der Vor lage, welche nach den gefaßten Beschlüssen unten mit- gethcilt wird, fand mit dem sich an denselben anschlie ßenden Anträge Schaffraths, in der von Stadtr. Lch- mällu «Dressen) und Prof. Biedermann (Leipzig) gewünschten modificirten Fassung Annahme. An der Debatte über die vermerkten Paukte 2, 3 und 4, die drei ersten Sätze der ursplänglichen Vorlage, belhei- l'gten sich Bürgermeister Streit (Zwckau), Stadtrath Mink'vltz (Dre-dcn) im Sin»e der Minorität, Stadtv. Aev.^Schmidt (Leipzig) vertrat da- Majoriätsvotum mit Frvutstelluttg gegen die Pcuckcr'jchm Anträge, für den Mäjoritätsvorschlag geltend machend, daß durch deren Annahme die Nachtheile de- Dualismus beseitigt, dessen Vortheile aber erhalten würden. Stadtv. ve. Wlgard (Dresden) beantragte eine den Intentionen Peucker'- entsprechende Abänderung der Vorlage, Prof. 0r. Seydel (Gohlis) die Annahme folgenden Satz - formeller Natur vor Punkt 3: .Für localstatutarisch« Festsetzung«» empfiehlt der Gemeinde- lag den Gemeinden folgende Grundsätze." Beide Anträge wurden zwar unterstützt, aber bei der nach einigen Bemerkungen der Stadtv. Gruner (Dresden), Schmidt (Leipzig), Böhme (Annaberg) und der Bürgermeister Httzschold (Adorf), Peucker und Streit erfolgten Abstimmung, mit den Anträgen Gru- ner's und Peucker'S abg-lehnt und die Vorlage mit dem Minoritätsvotum zu 8 4 angenommen, so daß der vorerwähnte Majorität?Vorschlag verworfen war. Nach einviertelsiündiger Pause erfolgte die Schluß- berathnng, 8 5 wurde mit einem Zusatzan1rage des Profcssors Biedermann angenommen, der darin das Princip anSsprcchen wollte, daß künftig die Gemcinde- verwaltung die unterste Instanz der Siaat?Verwaltung sein soll. Stadtverordnetenvorst. l)r. Meischner (Penig) begehrte zu § 8 wiewohl vergeblich die Beibehaltung der Snllveitrctung der G»mcinderathsmitgliedcr (ähn lich den Ersatzmännern im husigen Sladtverordnclen- cvllegium), eine Einrichtung, wclcbe er erfahrungs- mäßig für sehr nützlich erachiete. Bürgermeister Hitz- schvlv sprach sich für einen Zwischensatz zu 88 8 und 9 aus, worin die Stimmberechtigung scsigest.Ut werden sollt«, ein Wunsch, dcr nach dem Voi sitzenden durch frühere Beschlüsse bereits crsüllt ist. Pcucker und Bür germeister Martini (Glauchau) sprachen noch für, Schmidt, Kretzschmar ll., Bönisch, Prof. Biedermann und Bromme gegen eine Stellvertretung. Bei K 9 entspann sich eine lebhafte Discussion über die Zeit dauer der Wahl der Bürgermeister, bet welcher Bür germeister H tzschold und Stadtv. Henkler (Dresden) für LcbcnNänglichkcit der Anstellung auftraten, und Stadtv. Gruner statt der Worte „auf je 6 Jahre" die Worte nur „auf Zeit" zu setzen beantragte, welche Fassung angenommen wurde. Die Frage dcr hierbei zu Sprache kommenden juristischen Befähigung des Bürgermeisters wurde von H'tzschold, Schmidt, Stadtv. Gruner (Frankenberg), Bürgermeister Erchenbrechcr (Leisnig) und Ltadtverordnetenvorst. Anschütz (Leipzig) in verschi dencr Richtung ventilirt, dabei aber festge- stcllt, daß künftig die juristische Quallfication für eine Wahl zum Bürgermeisteramt nicht mehr conckitio »iov qua non sei. Bei der Abstimmung ergab sich die Stimmenmehrheit für den Vorschlag dcr Vorstandsmit glieder Streit und Bönisch und den Zusatzantrag Gruner's und wurde damit- dcr Mäjoritätsvorschlag abgelehnt, daß Gemeindevorsteher und Beigeordnete vom Gemeinderathe auf je 6 Jahre gewählt werden, die besoldeten Stellen auch auf längere Dauer, nach Be finden auch auf Lebenszeit besetzt werden können und Bestimmungen hi rüber den Ortsgesetzen znfallen. Alle spigenden und zviichculiegenden Paragraph n wurden ohne Eutakgensteilnug wesentlicher Bedenken nach der Vorlage genehmigt, nur das Wort „Gemetndeverdand" wurde für die Fassung „Bezirksgemeinden" nach dem Anträge des A! v. Schmidt (Leipzig) eingetauscht, da gegen der tz 12 der ursprünglichen Vorlage infolge vielfach erhobener Bedenken vom Vorstand zurückge zogen. Im Wesentlichen sollte diesem Paragraphen zu folge dcr Gcmcindevorstand Beschlüsse des Gemeinde- raths, welche deir Landes- und Ortsgcsitzen zuwidcr- laufen, nicht aussührcn dürfen. Die Verhandlungen über diesen Theil der Vorlage waren hierdurch beendigt und folgende Beschlüsse gefaßt worden: Der sächsisch« Gemeindetag spricht sich dafür auS, daß di« als B«dürfmß zu bezeichnende Reform der sächsischen Gemeind« gesetzgebung auf di« in Nachstehendem bezeichneten Giundsätze »«stütz« werde: t) J«der Gemeinde steht berüglich ihrer ionrrn Organisa tion die durch Feststellung von OrtSstatuteo aaszuübende Au «onomie zu. 2) I« l«der Gemeinde besteht zur Besorgung der Gemeinde angeleaenheien durch Beschlußfassung und Ueberwachung vor eine Gemeindevertretung (Gcmeinderaih). b) Die Verwaltung der Gemeirrkeaugelegenheiten nach den Beschlüssen des Gemeinderaths liegt dem Gemeindevorstande (Gemeindevorsteher, Bürgermeister, nölhigenfallS neben ihm Be geordnelen) ob. -) Der Gcmeivdevnrsteber und die Beigeordneten find als solche Mitglieder des GemeinderatHS; der Gemeindevorsteher, bez. sein St llverireter sühren in der Regel den Vorsitz iu demselben. 5) Der Geme ndevorstand bildet die obrigkeitliche Gemeinde- behvrde, und es gehe» auf denselben alle jetzt den Stadlräthe«, re p. den Gemeindeobrigkeiten nack> 8 7 der Land^emerndeord- nung zustehendeo Befugnisse in vollem Umfange über. 6) Die Mitgliedschaft im G.meinderathe ist ein Ehrenamt, für welches keine Besoldung oder Vergütung irgend einer Art zulässig ist. 7) Dem Gemeindevorsteher und den Beigeordneten könne» Besoldungen gewährt werden; dieselben dürfen aber nur in festem Gehalte und nach Befinden in Amtswohnung b stehe». >- ) Die Wahl der Gemeinderathsmitglieder erfolgt unmit telbar durch die Gesammtheit der Stimmberechtigten mittelst Siimmieitels obne NamenSonterschrift; wählbar ift jedes stimmberechtigt« Gemeindemilglied; Stellvertreter werden nicht gewählt. v) Der Gemeindevorsteher und die Beigeordneten werde» von der Gesammtheit der ft mmberechtigten Gemeindemitglieder unmittelbar auf Zeit gewählt. Iv) Ueber die Anzahl der Mitglieder des GemeinderatHS und über die Anzahl der dem Gemeindevorsteher zur Seile zu stellenden Beigeordneten Hal ebenfalls das OrlSgesey Bestim mnng zn liessen. t>) Zur Annahme ter Wahl in den Gemeinderath ist io der Regel jedes Mitglied der Gemeinde verpfl chlet. l2) Die Sitzungen deS Gemeinderaths find in der Regel öffentlich; seine Geschäftsordnung giebl sich der G-mcinderath lS) Die Wahl der Gemeindebeamten stebt dem Gemeind« rathe zu; «s kann aber die Besetzung eiofiloer Stellen und einzelner Arten von Stellen dem Gemeindevorstande üb.rlafleu werden ; die dienstliche Aussicht über alle Gcmeindebeamteu steht dem Gemeindevorstande zu. >4) Kleinere Gemeinden müssen sich zur gemeinsamen Ver waltung der ihre Kräfte übersteigenden Gcmeindeangeleaenhrite» (t- B. Sicherheitspolizei) oder der nur io größern Bereinig-