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Beilage zu 176 des ä. r Sonntag, den 1. August 1869. Dresdner Nachrichten rom 31. Juli. — Seit dem Jahre 1865 besteht inNiederlötznitz bei Dresden unter dem Namen Magdalenenstift ein Nettungshans für entlassene weibliche Sträflinge oder sonst Gefallene des weiblichen Geschlechts. ES ist dies Rettungshaus ein Fllial der Diakonissenrnstalt zu Dresden und wurde der letztem sammt einigem dazu gehörigen Grundbesitz in ebengenanntem Jahre unter der Bedingung sch.nkungsweise übergeben, daß in dem selben das in andern evangelischen Mrgdalenenstiftcn Deutschlands, wie Kaiserswerth, Berlin, Hamburg, Breslau, Bernburg, Boppard a. Rh. u. s. w. getriebene Rettungswcrk an weiblichen Gefallenen ebenfalls eine Stätte finden möge und zwar unter Leitung des geist lichen Vorstehers der Diakonissenanstalt zu Dresden. Die genannte Stiftung war auf 6 Stellen eingerichtet; eine erfahrene Diakonissin wurde als Oberin (Haus mutter) eingesetzt und eine bestimmte Hausordnung aufgerichtct. Von vornherein wurde betont, daß nur solche Gefallene im Stifte Aufnahme finden und in demselben behalten werden können, welche nicht ge zwungen, sondern freiwillig kommen, und die wirk lich den ernsten Vorsatz haben, sich zu bessern und unter strenger Arbeit und christlicher Zucht sich zu nützlichen Gliedern der Gesellschaft, insbesondere zu brauchbaren Dienstboten erziehen zu lassen. Schon nach Verlauf des ersten Jahres waren alle Stellen besetzt, und die Gesuche um Aufnahme häuften sich immer mehr. Für die allerdings schwierige Arbeit fehlte der Segen von oben nicht, und schon in den ersten Jahren erzielte man fast überraschende Erfolge bei der Arbeit an den Gefallenen. Von den innerhalb der ersten 4 Jahre durch das Magdalenenstift gegangenen 30 Gefallenen sind mehr als die Hälfte als gerettet anzuschen, und sind die Geretteten entweder in ordentliche Dienste ge bracht worden oder zu ihren Verwandten zurückgekehrt. Da das Vertrauen zu der jungen Anstalt wuchs und immer mehr Unglückliche in dem stillen Asyl in der Niederlößnitz um Aufnahme baten, so beschloß mm, das kleine Stift zu erweitern. Am 22. Juli vor. Js. wurde der Grundstein zu einem Erweiterungsbau gelegt, und an demselben Trge in diesem Jahre (es lst der Tag, der im Kalender den Namen Marie Magdalene trägt) konnte das neue Gebäude, welch s auf 36 Stellen eingerichtet ist, seiner Bestimmung übergeben werden. Die feierliche Einw ihnug des neuen Magdalenenstiftcs fand durch den Geistlichen der Diakonissenanstalt, Pastor Fröhlich, statt. Zl der Feier halten sich aus Dressen und Umgegend viele Freunde der Sache cingefunden, und die Feier hatte, wie es schien, die Anwesenden mächtig ergriffen und sie von Neuem znr Liebe am Maqdalenenstifie nnd zur Mithilfe an dem darin ge triebenen Nettungswerke angeregt. U. A. bewies dies auch der reiche Ertrag der am Schluss: der Feier ge sammelten Collecte. Die innere Einrichtung d,s neuen Hauses wird fnilich noch manche A sgabe verursachen. Dazu muß noch ein größer, s Wirth chastsg bäude er richtet werden, um Localiläun und Gelegenheiten zu nützlicher und lohnender Beschäftigung für die Zög linge des Stiftes zu gewinnen. W nn auch die Ver waltung deS MigdAeinnflifteS hoffen darf, daß mit der Zeit ein Theil der Verwrltuugskosten durch die in dem Hause getriebene Arbeit aufgebracht werden kann, ss wird das Magdalenenstift doch für jeyt und die nächsten Jahre dringend der kräftigsten Unterstützung b:dürf.n, und sollen Alle, die Au,c nnd Herz osfen haben für die sittlichen Nothstände der G genwart und sie gern solchen Gefallenen, die ihre Fehltritte bereuen und zu einem georsneten Leben zuvükkehren wollen, zur Umkehr behilflich sein möchten, auf das Magda- lenenstift in der Niederlößnitz freundlich aufmerksam gemacht sein. Das königliche Ministerium des Innern hat, unter ausdrücklicher Anerkennung der veroienst- lichen W rksamkeit des Magdalenenstiftcs zu Nieder- lößnitz, dem lctztern zunächst aus 6 Monate in den drei Kreisdirectionsbezirken Dresden, Leipzig und Bautzen eine Hauscollectc gestattet. Möchte der zur Einsammlung dieser Collecte aasgesanste Srmmler, der vom Vorstande der Diakonissenanstalt besonders beglaubigt ist und den vom königl. Ministerium aus gestellten „VorweiS" bei sich führt, für das bis jetzt einzige Rettungshaus dieser Art in unicrm sächsischen Vaterlande überall offene Herzen und Hände finden! vermischtes. * Wie die „Spen. Ztg." meldet, ging die am 27. Juli in Berlin vonden Studirenden veransta ltetc Humbolvtfeier nicht ganz ohne Excesse vorüber. Bei dem Zuge der Studenten nach der Commershalle im Tnrngcbäude kam es leider in der Oranienstraße ohne Verschulden derselben zu einem argen Tumulte. Der lange Zug wurde durch einen Haufen von Müßiggängern begleitet, die schlechte Witze über die nicht r gclrecht sitzenden Reiter machten. In der Oranienstraße, vor dem Cafe Gehre, rief einer der unwillkommenen Begleiter: „Wir wollen mal sehen, ob er Schenk.lschlnß hrt", und faßte einen der Corpsführcr am Beine. Dieser zog sein Nappier und wehrte sich seiner Haut. Das war aber Oel ins F.uer gegossen. Die Bummler griffen jetzt nach Steinen, warfen nach den Studenten, so daß diese sich genöthigt sahen, von den Pferden zu springen und im Caf« Gehre Zuflucht zu suchen. Die Tumultuanten drangen nun in vteses ein, zertrümmer ten eine Thüre, verschiedene Fenstersch.ibm und be gehrten die Herausgabe der Studenten. Die auf dem Moritzplatze in großer Zahl ausgestellte Schutzmann- schaft entsendete sofort Patrouilftn. Mehrere der Ruhe störer wurden verhaftet und die geflüchteten Studenten von Schutzleuten in die Mitte genommen und nach der Turnhalle begleitet. Einw der Angegriffenen hatte durch einen Steinwurf eine starke Contusion der lin ken Backe erhalten. * In Bonn bat sich am 23. Juli in einer Ncth- gerbcr.t in der Brüvcrgasse »in schreckliches Unglück ereignet. Es sollte eine Senkgrube gereinigt werden, in welcher sich Stickluft angesannnelt halte, ohne daß die mit der Reinigung Voigheud.n dies ahnt n. In folge dessen fielen die beiden Eeßcn, die hiuabslicgcn, sofort besinnungslos in dir Senke, und zwei Andere, die helfen wollten, stürzten nach. Die Leichen wurden mit großen Anstrengungen herausgezogcn. Der An blick der ganzen Scene war entsetzlich. * Im Frühjahre starb in Neuß der Tischlermeister H. auf der Mühlcnstraße in dem schönen Alter von 33 Jahren. Z l seinen Lebzeiten hatte er einem dasigen Wirthe öfters gesagt: er habe ihn auch in seinem Te stamente bedacht, und nach seinem Tode möge er sich bei seiner Familie melden, um sein Vermächtniß in Empfang zu nehmen. Dieser Tage ist endlich, wie die Zeitungen melden, den Vermuthungen, worin das Ver- mächtniß eigentlich bestehen möchte, ein Ende gemacht worven. In dem Jahre der Noth und großen Theue- rung 1817 hatte der Verstorbene bei dem Vater des W rth's mehrere Brödchen, das Stück einen Stüber, gekauft. Eines derselben hatte er aufbewahrt als Er innerung an deren Kleinheit, und jetzt, nach seinem Tode, hat er's dem Sohne des Bäckers als Andenken vermacht. * Von vielen Seiten laufen Klagen ein über den Schaden, welchen die allzu große Hitze anrichtet. Ganz besonders kommen solche Klagen auch aus Südfrankreich. In Marseille zeigte dieser Tage das IMgradige Ther mometer 40 Grad im Schatten und 56 in der Sonne, in Bordeaux 36, in Pörigueux 39, in Nantes 35 Grad im Schatten. In französischen Blättern finden wir Berichte über die Verheerungen, welche die Hitze unter den Austern und Aalen in süvfranzösischcn Gewässern angerichtet hat. Die Sterblichkeit unter den genannten Mollusken ist so groß, daß der Schaden, den die Austernzüchter erleiden, auf nicht weniger als 2 Mil lionen Francs veranschlagt wird. Der Staat erleidet an seinen Austcrnbänken ebenfalls einen Schaden von 300,000 Frcs. Die Aale, die sich in jenen Gegenden während der Ebbe in den Schlamm einwühlen und so die Rückkehr des Hochwassers abwartcn, sind ebenfalls in Unzahl der Hitze erlegen, und mit dem Eintritt der Fluth wurden die Acser in solchen Mengen an die Küste geschwemmt, daß die dortige Bevölkerung, in woblbegrüudeter Furcht vor den Folgen der pestilenzia- lischcn Ausdünstungen, die Fischteichen sammelte, um nicht weniger als 40 starke Karrcnladuugcn derselben landeinwärts zu führen und zu verscharren. Die ältesten Seeleute erinnern sich keines ähnlichen Vor kommnisses. Statistik und Valkswirthschast. K. Dresden, 3U. Juli. Die gestrige Plenarsitzung der Handels- nnd Gcwerdckamincr batte nur einen ein zigen Gegenstand auf ihrer Tagesordnung auszuwcisen, aber sicher einen so hochwichtigen, daß die lebhafte Debatte und die mehr als vierstündigen Verhandlungen vollständig erklärlich waren. ES war dies die Vorlage Les konigl. Flnanzuuuste- riumS über die Revision der directcn Stenern. Be kanntlich beries im Herbst Ibv8 die komgl. StaalSregic ung eine Eommisswn zur Begutachtung dcrsclb u Frage. Nach gründ lichster Bern!hnuq und sorgfältigster Eroberung der einschla- aenden VelhältNisse erstattete die genannte Comm ssion in einer Druckschrift von 217 Quarts,itcn ihr Gatachieu, das von dein Fjnanzmimsteniim den HandelS- und Gewerbekamm rn b Hufs elwaiger Gegenbemerkungen vorgelegt worden ist. In umfas sender Weise hat die Dresdner Handels- nnd Gewerbekammer von dieser Aufforderung Gebrauch gemacht, da die mit der Vorberalhung beauftragte Deputation <und zwar di« Herren Hultzsch. Referent, JuliuS Herrmann, Kirbach, O. Lehmann, sämmtlich auS Dresden. Burkhardt aus Meißen und Schnei der aus Glashütte) 28 Anträge cinbrachte, die theilweile mit dem oben genannten Gutachten übereinstimmten, in der Haupt- srage jedoch und zwar in der Beibehaltung der Grundsteuer sich davon trennten. Gerade dieser Punkt ries auch bei den Berathungen der Kammer die lebhafteste Debatte hervor und lag im Antrag t) der Commission: „An die Stelle der gegenwärtigen Grundsteuer sowie der Gewerbe, der Personal- und der Rentensteuer tritt die di» recte Einkommensteuer", der Schwerpunkt der Verhandlungen. Vom Herrn Präsidenten Rülke (Mitglied der von dem Finanzministerium ernannten RevlsionScommission) wurde folgender Gegenantrag eingebrachi: l) Unter der Voraussetzung einer vollständig neuen Bonitirung und Abschätzung hat die Grundsteuer sortzubestehen: 2) die Gebäudes1euer ist auch beim ländlichen Grundbesiue einzuführen; 3) alle außerhalb des landwirthschaftlichen Gewerbes liegenden Berussarten sind der Einkommensteuer zu unterwerfen: 4) an die Stelle der gegenwärtigen Gewerbe- und Personal steuer und der Rentensteuer tritt die Einkommensteuer. Die Kammer entschied sich, nachdem die Herren Hultzsch. Kirbach, Herrmann, Reichard und Schneider sür die Emkom- mensteuer, die Hwren Präsident Rülke, Schütz, Beck, Gottschald. Scheller für Beibehaltung der Grundsteuer gesprochen hatten, durch Annahme des obigen ersten Antrags der Commission mit 18 gegen lü Stimmen (das Signal für >aS in der Packhof- straßc ausgebrochene Feuer veranlaßte die Entfernung einiger Mitglieder, die sür ihre dortigen Niederlagen zu befürchten hat ten) sür allgemeine Einführung der Einkommensteuer. Die übrigen Anträge riefen nur vereinzelt lebhaftere Debatten her vor, und wurden dieselben meist einstimmig angenommen. An die Plenarsitzung schloß sich unter dem Präsidium des Herrn Kirbach eine kurze Sitzung der Gcwerbekammer an, in der an Stelle deS verschiedenen Herrn Kopprasch in Köln bei Meißen, als Mitglied der Kammer Herr Gyps- waarensabrikanl Cbristophani in Dresden mit l » gegen 2 Stimmen gewählt ward. Eisenbahnen. Die „I. C" schreibt: Der Bau der Venlo Hamburger Eisenbahn hat aus der Strecke von Münster nach Gelsenkirchen guten Fortgang. Das definitive FahraleiS ist bis über Albachten hinaus aelegt und rückt in der Richtung aus Appelhülsen vor. Der Bau der provisori schen Stationsgebäude ist ebenfalls in Anariff genommen. Des gleichen sind im Kreise Coesseld in der Richtung über Haltern und Dülmen die Arbeiten mit regem Eiser betrieben; auf den künftigen Bahnhöfen sind die Hochbauten in Angriff genom men und der Oberbau ist aus der Bahnstrecke bereits theilweise hergestcllt. ES ist somit Aussicht vorhanden, daß die Bahn von Münster in der Richtung bis nach Haltern noch im be vorstehenden Herbste eröffnet werden kann. — Auch aus der Strecke von Münster nach Osnabrück ist an dem Bau der Eisenbahn sehr viel geschehen- Der Erddamm ist von dem so genannten SchifffahrlSdamm auf Mauritz bis zur EmS fertig und jetzt in der Gemeinde Westbevern in Arbeit Die Brücke über die Werfe ist überwölbt und die über die EmS liu Benz begriffen. Deutsch-amerikanische Dampfer. Das Postdamps- schiff des nordd. Lloyd „Berlin", am lä. Juli von Baltimore abgegangcn, ist am 27. d. It Uhr Vormittags wohlbehalten unweit Cowes eingetroffeu; dasselbe bringt außer der Post !>7 Passagiere und volle Ladung. — Das Hamburger PostSamps- sch st „Westphalia" ging am 28. Juli von Hamburg v a Havre nach N w Bmk ab; außer einer starken Bries und Puketvost batte dasselbe 133 Pasjagi.re in der Kajüte nnd 37e Passagiere im Zwischendecke, sow e 430 Tonnen Ladung. DeSgl. bai die „Baltimore" am 28. Juli die vnrte diesjährige R ist nach Balummc via S-utbampton augelreten; dieselbe nahm außer der Post l83 Passagiere und 3oü Tonnen Ladung au Bord. r i 1 l 1 i k 1 1 st e 1 r I d v 3 E 3 i> h L b d ü tz v ü v st d« v r d