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Beilage zu M 104 des DktÜölltk DoimerStaq, den 7 Mai 1868. Lan-tagsverhan-lungen Zweite Kammer. Abendsitzung vom 5. Mai. Beginn der Sitzung Abends 6 Uhr in Gegenwart des Staatsministers v. Nostitz-Wallwitz sowie des Rcgicrungscommissars Geh. Naths Körner. Vor Uebergang zur Tagesordnung beschließt die Kammer auf Antrag der vierten Deputation (Referent: Abg. v. Schönberg) eine Petition der Hebamme Uhle mann als nicht zur Kompetenz der Ständcvcrsammlung gehörend auf Grund § 115 »ub » der Landtagsordnung auf sich beruhen zu lassen. — Weiter beschließt dieselbe auf Vorschlag der zweiten Deputation (Referent: Abg. vr. Hertel) eine Petition der Gemeinde Naundorf bei Königstein, die Verbindlichkeit zur Unterhaltung eines Straßentractcs betreffend, da dieselbe sich lediglich auf die Verbindlichkeit der Gemeinde beziehe und mit dem Bud get in keinem Zusammenhänge stehe, an die dritte De putation zurückzugcbcn. Nachdem hierauf die Abstim mung über den ersten Gegenstand der Tagesordnung (die Tagewächter betreffend) wiederholt worden und der betreffende Dcputationsantrag wiederum einstimmige Annahme gefunden hatte, ging mau znm zweiten Gegen stände der Tagesordnung über, nämlich zum Berichte der vierten Deputation über die Petition des Hand- werkervcreins zu Chemnitz um Abänderung des Vereinsgcsetzeszu Gunsten der Gewerbe vereine. (Referent: Abg. Barth.) Das hier in Frage kommende Petitum geht dahin: „an die königliche Staatsregierung und die Ständekammern ein Gesuch zu richten, daß das Vereinsgesetz vom 22. Novem ber 1850 beseitigt oder doch zu Gunsten der Gewerbevereiue abaecindert werde." In derMotivirung wird besonders betont, daß für die Gcwerbevercine des Landes eine Ccntralisation dersel ben ein dringendes Bcdürfniß sei. Es werde nur ein reges Leben bei diesen Vereinen zu pulsiren vermögen, wenn denselben auf der einen Seite eine Ccntralstclle zur Seite stehe, deren Pflicht cs sein müsse, den Ver einen mit Rath und That an die Hand zu gehen, und wenn andererseits den Gcwerbevereincn auch die Be rechtigung zustehe, mit einander in schrift lichen Verkehr treten zu können. Nach dem sächsischen Vereinsgcsetze sei den Gcwerbevereincn aber ein schriftlicher Verkehr unter sich nicht gestattet. Die Regierung hat folgende Erklärung abgegeben: „daß nach den zeithcrigen Thätigkeitsäußernngen derGcwerbe- vereine es unmöglich sei, dieselben als solche Vereine anzu- schen, die sich nicht mit öffentlichen Angelegenheit n beschäf tigen, nnd daß es daher auch nicht thunlich sei, dieselben von den Vorschriften in 8 24 des Bereinsgesetzes auszunehmen; sollten dagegen die Kammern der Meinung Ausdruck geben, daß die Corresponden; von Vereinen nicht nothwcndig unter die Vorschriften von 8 24 falle, so werde die Staatsrcgierung die Aufhebung der bezüglichen Vorschriften in 8 6 der zum gedachten Gesetze gehörigen Ausführungsverordnung in Er wägung nehmen." Die Deputation ist zu der Ansicht gelangt, daß Vereine, welche sich nur mit Angelegenheiten des Han dels und der Gewerbe beschäftigen, nicht unter die in § 2 und 8 24 des Bereinsgesetzes gedachten Vereine zu rechnen seien. Man halte cs daher für nothwcndig, sie von den Schranken, welche 8 1 der Ausführungs verordnung zum Vcrcinsgcsctzc um sie gezogen, wieder zu befreien und denselben das Recht einzuräumcn, mit und unter einander in schriftlichen Verkehr zn treten. Hierin würde man einen sehr wesentlichen Vorthcil zu erblicken haben, und man sei gcnöthigt, den Ausdruck der Petenten, daß nur dadurch ciu reges Leben bei diesen Vereinen zu pulsiren vermag, anzucrkcnncn. Man sei daher zu dem Beschlusse gelangt, der Kammer dcn Antrag an die königliche Staatsrcgierung zur Annahme zu empfehlen: t) daß, weil die Corresponden; von Vereinen nicht nothwcndig unter die Vorschriften von 8 24 des Bereinsgesetzes fällt, 8 6 der Ausführungsverordnung zu diesem Gesetze dieser Auf fassung entsprechend geändert werde, 2) demnächst aber auch 8 1 der schon gedachten Ausführungs verordnung dahin abzuändern, daß die Worte: „Handel und Gewerbe" daraus in Wegfall kommen. Das Verlangen auf Beseitigung dcs Vcreinsgcschcs bezeichnet die Deputation schließlich als ganz unan nehmbar. Abg. Fahnauer spricht der Deputation seinen Dank dafür aus, daß sie mit ihrem Anträge weiter gegangen sei, als die Negierung. Er bedaurc um so mehr, daß die Regierung nicht nachacbcnder gewesen, als es ihr obliege, in freiheitlicher Beziehung so viel als möglich zu gewähren, da dies die einzige Bedingung sei, unter welcher die Fortexistenz der kleinen Staaten möglich erscheine. Thue die Negierung dies nicht, so müßte man sich dann an dcn Reichstag wenden, und die Folge davon werde sein, daß der Vollzug der Annexion, die er überhaupt nur noch für eine Frage der Zeit halte, dadurch beschleunigt werden werde. Staatsminister v. Nostitz-Wallwitz: Er müsse es dem Abg. Fahnauer ganz allein überlassen, wie er die Ansicht, die er über die Zukunft unscrs Vaterlan des ausgesprochen habe, zu begründen und zu verant worten gemeint sei. Er habe sich lediglich an den vor liegenden Gegenstand zu halten und bemerke in Bezug auf denselben zunächst, daß die Negierung gar nicht in die Lage gekommen sei, sich darüber zu erklären, ob sie jedem Anträge auf Abänderung dcs Bereinsgesetzes entgegen sein würde. Es habe sich gegenwärtig ledig lich um zwei Fragen gehandelt, nämlich 1) ob die Ge- wcrbevcrcine vom Vereinsgcsetze auszunchmcn seien, und 2) ob das Vercinsgcsctz gänzlich abzuschaffcu sei. In letzterer Beziehung weise er darauf hin, daß nur zwei constitutivncll - monarchische Staaten in Europa, England und Belgien, ohne Vcrcinsgesetz seien. Er lasse dahingestellt sein, ob die Vorgänge während der letzten Monate in den genannten Staaten geeignet seien, uns dazu zu bewegen, denselben auf diesem Wege zu folgen. Was die Ausnahme der Gewerbevereiue an lange, so habe die Negierung in der Deputation sich bereit erklärt, dafern die Kammern sich dahin aus- sprächcn, daß die Corresponden; von Vereinen nicht nothwcndig unter die Vorschriften von 8 24 dcs Vcr- einsacsctzcs fielen, die Aufhebung der betreffenden Vor schrift in § 6 der Ausführungsverordnung zum Ver- emsgcsctze in Erwägung zu ziehen. Die Beschwerde der Gewerbcvcrcinc wicge übrigens nicht so schwer, als es v ellcicht auf den ersten Anblick scheine, denn cs habe bisher jedem Vereinsmitglicde odcr Vercinsvor- stande vollständig frcigestanden, persönlich, d. h. mit Weglassung seines Titels als Vorstand oder Mit glied eines Gewerbeverciirs, mit dem Vorstande odcr Mitglicde cincs beliebigen andern Gcwcrbevcrcins zu corrcspondircn und auf diese Weise dcn angcstrcbtcn Zweck zu erreichen. Weil nun aber die betreffende Bestimmung auf diese Weise leicht umgangen werden könne, lege die Negierung keinen Werth auf deren Aufrechterhaltung, und sei die Negierung, wenn die Kammer sich damit einverstanden erkläre, bereit, diese Be- stimmig der Ausführungsverordnung abzuändcrn. Was den weitern Antrag der Deputation anlange, daß „Handel und Gewerbe" nicht mehr als öffentliche Angelegenheiten angesehen werden sollten, so gebe er zu, daß derselbe au sich nicht als völlig unausführbar erscheine, gcbe aber doch der Erwägung der Kammer anheim, ob man mit der Annahme dieses Antrags dcn Gewcrbcvcrcinen einen Dienst erweisen würde. Denn die nothwcndige Folge davon würde sein, daß sich dann die Gewerbevereiue nur soweit mit Handel und Ge werbe würden beschäftigen dürfen, als man sagen könne, dieselben seicn nicht öffentliche Angelegenheiten. Alle allgemeinen Fragen der Volkswirthschaft und Gesetz gebung dürften dann nicht mehr in dcn Kreis ihrer Thätigkcit gezogen werden. Dies würde aber nicht im Einklang stehen mit dcn Zwecken, die sich die Gc- wcrbcvcrcine selbst gestellt hätten, indem dieselben sich ganz wesentlich mit der Lcrathung und Beschlußfassung über öffentliche Angelegenheiten zu beschäftigen pflegten. Man würde also durch die Annahme dcs zweiten De putationsantrags zu einer Einschränkung der bisheri gen Thätigkcit der Gewcrbcvereine gelangen müssen. Abg. Sachßc: Die Kammer sei vom Abg. Fah- naner gewohnt, daß derselbe die von ihm gewählten Mittel mit den verfolgten Zwecken in Einklang zu bringen nicht vermöge, daß derselbe mit Kanonen nach Sperlingen zu schießen Pflege. Derselbe habe aber durch seine obige Acnßerung das Ohr der aufrichtigen Patrioten in einer Weise beleidigt, daß er sich gcnö thigt sühlc, demselben cntgcgcnzutrcten. Ob eine der artige Acußcrung der Würde der Kammer entspreche, lasse er dahin gestellt; jedenfalls habe aber das Mit glied einer anständigen Gesellschaft die Pflicht, Nichts zu sagen, was das Ohr der betreffenden anständigen Gesellschaft beleidigen müsse. (Lebhaftes Bravo in der Kammer.) Präsident Haberkorn legt die Gründe dar, aus denen er von einem Ordnungsrufe gegen dcn Abg. Fahnauer abgesehen habe. Er sei der Ansicht, daß sich durch dessen Acußcrung Niemand verletzt fühlen könne. Abg. Fahnauer rechtfertigt seine Acußcrung. Er könne die Rüge dcs Abg. Sachßc nicht hinnehmen, er halte Alles, was er gesagt habe, aufrecht. Tue Zett werde lehren, daß er Recht habe. Hierbei macht Red ner dem Abg. Sachße einen Vorwurf darüber, daß sich derselbe hier und nicht zum Zollparlamcntc in Berlin befinde, und findet derselbe hierin einen Mangel an Patriotismus. Abg. Sachße erklärt, daß er lediglich hier geblie ben sei, um die ihm obliegenden Berichterstattungen zu erledigen, und weil er der Ansicht gewesen, daß seine Mitwirkung hier dem Vaterlande nützlicher sei, als seine Anwesenheit in Berlin. Abg. v. Criegcrn bestätigt als Vorstand der 1. Deputation, daß er die ganz besondere Bitte an den Abg. Sachßc gerichtet habe, so lange als möglich hier zu bleiben, weil demselben höchst wichtige Arbeiten in der Deputation obgclegen hätten. Nach dem Schlußworte dcs Referenten nimmt die Kammer bei der Abstimmung dcn 1. Deputations- antraz einstimmig, den 2. hingegen mit 29 gegen 28 Stimmen an. Bei der namentlichen Schlußabstimmunz stimmen 49 Abgeordnete mit Ja, 15 mit Nein. Hierauf ging die Kammer zur verfassungsmäßigen Wahl der Mitglieder für den Staatsgerichtshof über. Als ordentliche Mitglieder desselben wurde« sofort im 1. Scrutinium Advocal Schäffer in Dres den mit 57, Rittergutsbesitzer v. Abendroth »en. auf Kössern mit 56 und Appellationsgcrichtspräsidcnt v. Mango ldt in Zwickau mit 56 von 57 cingcgangencn Stimmen gewählt. Als außerordentliche Mitglie der wurden gewählt mit je 57 Stimmen: Adv. vr. Kohlschüttcr in Dresden und Professor vr. Oster loh in Lcipng. (Schluß der Sitzung Uhr.) Statistik und volkswirthschast. Entwurf riner Gewerbeordnung für den Norddeutsche« Bund. (Schluß aus Nr. IVI.) Litel XI. Grtsstatuten. 8 >57. Ortsstatutcn werden, nach Anhörung bctheiliglcr Gcwerbtrcibcndcn odcr Jnnunacn, auf Grund eines Gemeinde- beschlusscS abgcsaßt. Sie bedürfen der Genehmigung der höher« Verwaltungsbehörde. Die Centralbehörde ist befugt, Ortsstatuten, welche mit Len Gesetzen in Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen. Titel X. Strafbestimmungen. 8 158. Die Entziehung der Besugniß znm sclbständigcn Betriebe eines Gewerbes als Strafe rann nur vom Richter ausgesprochen werden. Sie kann stattfindcn sür immer oder auf eine bestimmte Zeit; diese darf nicht unter drei Monate« und nicht über fünf Jahre betragen. Soweit sie eine Folge von Zuwiderhandlungen gegen die Steuergesetze ist, verbleibt es bei den bestehenden Vorschriften. 8 150. Gegen jeden Gcwerbtrcibenden, der wegen einer vermittelst Mißbrauchs seines Gewerbes begangenen Zuwider handlung gegen die Strafgesetze zu Freiheitsstrafe vernrtheilt wird, kann zugleich auf den Verlust der Bcfugniß zum selbst ständigen Betriebe dieses Gewerbes sür immer oder auf Zeit erkannt werden. 8 ISO. Gegen jeden Gewerkt eibcnden, welcher wegen Ver letzung der den Betrieb seines Gewerbes betreffenden Vorschrif ten wiederholt rechtskräftig vernrtheilt ist, kann ans den Verlust, der Bcfugniß zum selbstständigen Betriebe seines Gewerbes ftlr immer odcr auf Zeit erkannt werden. 8 101. Die Bcfugniß zum Betriebe dcr in dcn 88 28, 30 32, 33 und 34 bezeichneten, sowie aller derjenigen Gewerbe «mb Geschäfte, zu deren Betreibung der Gcwcrblreibendc von der Obrigkeit besonders verpflichtet worden ist, erlischt, wenn dem Gewerbtrcibcnden die Ausübung der bürgerlichen Ehren rechte nach den Landesgesetzen sür immer oder auf Zeit ent-