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unglaubliche Verwirrung durch mifsverständliche Auffassungen seitens mancher Behörden entstan den, welche für alle Arbeiter die Einführung von Lohnzahlungsbüchern nöthig gehalten hatten. Die in Betracht kommenden §§ der Gewerbe ordnung lauten jedoch folgendermafsen: § 114a, Abs. 1: „Für bestimmte Gewerbe kann der Bundesrath Lohnbücher oder Arbeits zettel vorschreiben. In diese sind von dem Arbeitgeber oder von dem Bevollmächtigten ein- zutragen: 1. Art und Umfang der übertragenen Arbeit, bei Accordarbeit die Stückzahl, 2. die Lohnsätze, 3. die Bedingungen für die Lieferung von Werkzeugen und Stoffen zu den über tragenen Arbeiten.“ § 134, Abs. 3: „In Fabriken, für welche besondere Bestimmungen auf Grund des § 114a, Abs. 1, nicht erlassen sind, ist auf Kosten des Arbeitgebers für jeden minderjährigen Arbeiter ein Lohnzahlungsbuch einzurichten. In das Lohn zahlungsbuch ist bei jeder Lohnzahlung der Betrag des verdienten Lohnes einzutragen; es ist bei der Lohnzahlung dem Minderjährigen oder seinem gesetzlichen Vertreter auszuhändigen und von dem Empfänger vor der nächsten Lohn zahlung zurückzureichen. Auf das Lohnzahlungs buch finden die Bestimmungen der §§ 110, Satz 1, 111 Absatz 2 bis 4 Anwendung.“ Das Lohnzahlungsbuch ist also nach § 134 obligatorisch, aber nur für minderjährige Arbeiter solcher Gewerbe, auf welche der § 114a nicht Anwendung findet. Infolge der vielfach unrichtigen Auslegung der Behörden hat der Minister für Handel und i Gewerbe an die Regierungsbehörden folgenden Erlafs gerichtet: „Auf das Lohnzahlungsbuch finden nach Vor schrift des Gesetzes die Bestimmungen des § 110, Satz 1 und des § 111, Abs. 2 bis 4 Anwendung. Die Einrichtung der Lohnzahlungsbücher ist in das Belieben des Arbeitgebers gestellt; nur müssen die Bücher den Namen des Arbeiters, Ort, Jahr und Tag seiner Geburt, Namen und letzten Wohnort seines gesetzlichen Vertreters und die Unterschrift des Arbeiters enthalten. Eine Mitwirkung der Behörden bei der Aus stellung der Lohnzahlungsbücher ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Bücher werden weder unter dem Siegel und der Unterschrift der Orts polizeibehörden ausgestellt, noch haben die letz teren dementsprechend ein Verzeichnis über die Lohnzahlungsbücher zu führen. Demgemäfs ist auch in der Ausführungsanweisung vom 24. August 1900 keine Bestimmung getroffen.“ Die obenerwähnten § 110 Satz 1 und § 111 Abs. 2 bis 4 lauten: § 110 Satz 1: „Das Arbeitsbuch (§ 108) mufs den Namen des Arbeiters, Ort, Jahr und Tag seiner Geburt, Namen und letzten Wohnort seines Vaters oder Vormundes und die Unter schrift des Arbeiters enthalten.“ § 111 Abs. 2 bis 4: „Die Eintragungen in das Arbeitsbuch sind mit Tinte zu bewirken und von dem Arbeitgeber oder von dem dazu bevoll mächtigten Betriebsleiter zu unterzeichnen.“ „Die Eintragungen dürfen nicht mit einem Merkmal versehen sein, welches den Inhaber des Arbeitsbuches günstig oder nachtheilig zu kenn zeichnen bezweckt.“ „Die Eintragung eines Urtheils über die Führung oder die Leistungen des Arbeiters und sonstige durch dieses Gesetz nicht vorgesehene Eintragungen oder Vermerke in oder an dem Arbeitsbuche sind unzulässig.“ Dieser Erlafs des Handelsministers wurde von manchen industriellen Kreisen mehrfach so aufgefafst, als ob die Einführung dieser Lohnzahlungsbücher für die bezeichnete Kate gorie minderjähriger Arbeiter nicht obligatorisch, sondern in das Belieben der Arbeitgeber gestellt sei; aber diese Auffassung beruht, den oben angeführten §§ zufolge, auf einem Irrthum. In Bezug auf § 134 Abs. 3 ist seiner Zeit im Reichstag von den Regierungsvertretern aus geführt worden, es könne zwar zugegeben werden, dafs in den Lohnzahlungsbüchern ein gewisses erzieherisches Moment liege; allein es erscheine trotzdem sehr fraglich, ob der mit dem Antrag verfolgte Zweck sich durch die vorgeschlagene Bestimmung in dem Umfange erreichen lassen würde, wie dies angenommen werde. Aufserdein werde die gewünschte Mafsregel für Betriebe mit vielen minderjährigen Arbeitern eine immerhin nicht unerhebliche Belastung des Arbeitgebers mit sich bringen; angesichts ihres zweifelhaften Erfolgs sowie des Umstands, dafs ein grofser Theil der Minderjährigen nicht bei ihren Eltern wohnen, wäre daher zu erwägen, ob es sich empfehle, diese Anforderung an die Arbeitgeber zu stellen. — Diese Bedenken hat jedoch die Mehrheit des Reichstags einer Berücksichtigung nicht werth erachtet. Dafs aber die im Reichs tag seitens der Regierung geäufserten Be merkungen über die Belastung des Arbeit gebers volle Berechtigung gehabt haben, geht daraus hervor, dafs in der Presse, und von Mitgliedern der Gruppe der Geschäftsführung gegenüber, der Wunsch geäufsert wurde, dafs nicht blofs der Arbeitgeber oder der dazu be vollmächtigte Betriebsleiter, sondern auch der Lohnzahlungsbeamte zur Ertheilung der Unter schrift in das Lohnzahlungsbuch berechtigt sein möchten. Denn es entsteht durch die Unter zeichnung für die jetzt gesetzlich dazu Be rechtigten in manchen Fällen eine aufserordentlich weitläufige Arbeit, üeberdies befinden sich auf grofsen Werken der Arbeitgeber oder der bevoll mächtigte Betriebsleiter gar nicht in der Lage,