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aufweise. Der voraussichtliche Ueberschufs des Jahres 1900 beträgt 85 Millionen Mark gegen über einem Mehrbeträge von 87 Millionen im Etatsjahre 1899. Die Einnahmeschätzungen des neuen Etats, für die das bei den Eisenbahnein nahmen Gesagte natürlicherweise gleichfalls gilt, übersteigen die des Vorjahres um 176 Millionen. Es liegt mithin kein Grund vor, die Zukunft des deutschen Wirthschaftslebens grau in grau zu malen. Vielmehr deutet Vieles darauf hin, dafs die Tendenz der wirthschaftlichen Entwick lung bald wieder eine steigende sein kann. Die Grundlagen unserer Industrie sind auch | heute noch, zumal nach Beseitigung der hohen wirthschaftlichen Spannung, durchaus gesunde. Es ist ferner ein thatsächlicher Bedarf vorhanden, der in absehbarer Zeit Deckung suchen wird, wenn sich erst einmal eine günstigere Auffassung der Lage, wie sie nüchterne Erwägungen recht- 1 fertigen, durchgesetzt hat. Die Ernte des Jahres 1900 ist wesentlich besser ausgefallen, als nach den früheren Schätzungen angenommen war. Die dadurch für das Frühjahr bedingte Stärkung der landwirthschaftlichen Kaufkraft dürfte die indu strielle Thätigkeit stark anregen. Auch der flüssige Geldstand läfst die ganze Situation hoffnungsreicher erscheinen. Die stete Wechsel wirkung, in der Wirthschaftsleben und politische Lage miteinander stehen, erfordert jedoch als Voraussetzung einer gänzlichen Gesundung des ersteren, dafs die Wirren in Südafrika und China ihre baldige Lösung finden. In besonders hohem Mafse gilt dies von China, dessen wirthschaft- liche Bedeutung ihm in dieser Beziehung einen beachtenswerthen Einflufs zuweist. Bei Beurthei- lung der Zukunft ist daher zunächst darauf Ge- wicht zu legen, dafs China der friedlichen Arbeit in nicht allzu ferner Zeit wiedergegeben werde. Der Präliminarfriede mit China ist nun endgültig unterzeichnet, so dafs, die baldige gänzliche Pacificirung des Landes vorausgesetzt, ein Wieder erstarken des Handels mit Ostasien mit derZeit wohl zu erwarten steht. Die so in Aussicht zu stellende weitere wirthschaftliche Verflechtung Deutschlands i mit China wird in Rückwirkung auf die deutsche | Gewerbethätigkeit und allgemein in Entfaltung mannigfacher bisher gebundener wirthschaftlicher Kräfte zu ihrem Theile neben dem Effecte anderer bereits erörterter Factoren dazu beitragen, dafs den I gegenwärtigen Stillstand eine neue Blüthe der In- I dustrie ablöst, deren Grundlage die Wiederbelebung | des Marktes durch eine starke Nachfrage bildet. ' In gleicher Richtung dürfte die Durch- 1 bringung der Kanalvorlage, die dem Land- I tage während seiner gegenwärtigen Session in erweiterter Form wiederum unterbreitet wurde, wirksam werden. Wenn auch noch lange Jahre vergehen würden, ehe mit der Fertigstellung des geplanten Wasserstrafsensystems die dadurch be dingte allseitige wirthschaftliche Befruchtung I voll zur Geltung käme, so wäre doch schon mit der Inangriffnahme der Kanalbauten einer ganzen Reihe von Industrien — u. a. kommt hier be sonders auch das Eisengewerbe in Betracht — eine bedeutsame Verstärkung ihres Beschäftigungs grades gesichert. Die Berechtigung der Erwartung, dafs die con- statirte Bedarfsverringerung durch eine stärkere Nachfrage bald ausgegliclmn sein dürfte, wird weiterhin auch durch die im Staatsbauetat vor gesehenen einmaligen und aufserordentlichen Aus gaben für Bauausführungen aller Art, die ein bedeutendes Mehr gegen das Vorjahr darstellen, erwiesen. Diese Aufwendungen, an die sich die gleichfalls gesteigerten laufenden Bau ausgaben anschliefsen, werden befruchtend auf die verschiedenen Industriezweige einwirken. Für eine Wendung zum Bessern in der Lage der wirthschaftlichen Verhältnisse haben ferner die festgefügten industriellen Cartelle und Ver bände eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Dieselben werden, wenn sie der Zeitströmung in j rationeller Weise Rechnung tragen, in dieser ! Richtung heilsamen Einflufs üben können. Hierbei | darf nicht übersehen werden, dafs das Verhalten weitester Consumentenkreise, das man fast ein I Wettrennen um die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ! nennen konnte und das am besten durch die Ent- ' Wicklung der Kohlenfrage als Kohlennoth illustrirt wird, vielfach ein wirthschaftlich unüberlegtes war. Die von den Syndicaten eingeleiteten Schritte und thatsächlich an die Verbraucher gewährten Concessionen lassen hoffen, dafs gerade sie sich geeignet erweisen werden, einer allge meinen wirthschaftlichen Deroute vorzubeugen. Die viel erörterten Kohlendebatten im Reichs tage wie im Landtage boten natürlich wiederum einen erwünschten Tummelplatz für Vorwürfe gegen die Thätigkeit der Syndicate, zumal des Kohlen- syndicats, die sich zu Angriffen gegen das Carteil wesen im allgemeinen verdichteten. Der treibende, Factor aller dieser Vorstöfse, der Wunsch, die an geblich zur Vergewaltigung der Consumenten aus genutzte wirthschaftliche Macht der Cartelle zu brechen, fand schliefslich seinen prägnanten Aus druck in dem im Reichstage eingebrachten An träge Heyl, der die verbündeten Regierungen ersucht, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen eine sachgeinäfse Reichsaufsicht für solche Cartelle und Syndicate eingeführt wird, deren Geschäftsgebahren einen nachweislich monopolistischen Charakter angenommen hat. Also auch hier — wie auf so vielen anderen Gebieten, das Rufen nach dem Polizeistock. Demgegenüber sind wir mit dem „Central verband deutscher Industrieller“, der diese Frage einer aufserordentlich gründlichen Erörterung in seiner jüngsten Delegirtenversammlung unterzog, der Meinung, dafs die Wirkung der gewerblichen Cartelle, welche sich die Aufgabe gestellt haben,