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258 Stahl und Eisen. Bericht an die am 27. Februar 1901 abgehaltene Hauptversammlung u. s. w. 15. März 1901. Ausnutzungsfähigkeit verstärkten Hülfsquellen, eine Reihe unserer Industriezweige lahm zu legen, sondern wegen der unberechenbaren Geschäfts weise seiner Fabricanten sowie der denselben eng liirten Börse, von deren Gebahren unsere Geldmärkte so stark beeinflufst werden. Neben den politischen Ereignissen in Südafrika und China drückte, im Zusammenhang damit, wie bereits einleitend angedeutet, der Geldmarkt auf die allgemeine Lage, welche sich indessen trotz der grofsen Anforderungen seitens der Industrie günstiger gestaltete, als man erwartete. Das immer stärker werdende, in seiner Inten sität unberechtigte Mifstrauen in die Lage trug weiterhin zur Verwicklung der gesammten Ver hältnisse bei. Der bisherige grenzenlose Optimis mus fand sein Gegenstück in einer, jeder ruhigen Betrachtung der Sachlage entbehrenden Schwarz seherei. Die Consumenten glaubten, sich äufserste Zurückhaltung in ihrem Bedarfe auferlegen zu müssen; andererseits drückte diese Wendung in der Anschauung der Verhältnisse die Unter- nehmerthätigkeit, die schon in der Versteifung der Geldverhältnisse ihre Schranke hatte, stark herab und brachte in der Einschränkung des Erzeugungsbedarfes eine weitere bedeutende Be schneidung des Gesammtbedarfes der Volkswirth- schaft mit sich. Der „unaufhaltsame Nieder gang“, der dem glänzend aufstrebenden deutschen Wirthschaftsleben schon seit Jahren von Pessi misten und solchen, die auf der Suche nach einem Beweis socialdemokratischer Theoreme waren, prophezeit wurde, ist eben zum Theil, soweit er vorhanden, ein Angstproduct. Der Gegensatz, in den die jetzt eingetretene inländische Bedarfsstockung zu der früheren Bedarfsüberstürzung sich stellte, wo Jeder in der Angst, später unversorgt zu bleiben oder höhere Preise zahlen zu müssen, seinen momen tanen Bedarf mehrfach deckte, mufste natürlich die Veränderung der Lage besonders schlimm erscheinen lassen. Zugleich wurde durch diese eben geschilderte Bedarfsüberstürzung der In dustrie ein fictiver Bedarf vorgespiegelt, dessen Deckungsnothwendigkeit eine allseitige um fassende Betriebserweiterung und viele Neu anlagen hervorrief, eine Erscheinung, die schliefs- lich als erste Ursache der beim Eintritt des Umschwungs hier und dort erfolgenden Betriebs einschränkungen, Arbeiterentlassungen und Feier tagsschichten zu bezeichnen ist. In diesen, unseres Erachtens so begründeten Wirkungen ist jedoch keineswegs das Criterium eines Rückschlages ge geben. Man kann vielmehr im wesentlichen nur von der nothwendigen Zurückschraubung einer hauptsächlich durch speculative Ausschreitungen übertriebenen Entwicklung auf ein gesundes Mafs sprechen. Die eben gekennzeichnete Bedarfsstockung mufste den Unterschied in der wirthschaftlichen Lage von vorher und jetzt um so mehr in ein besonders grelles Licht rücken, das Jeden über den wahren, durchaus günstigeren Zustand irritirte, als der Bedarf, ebenso w’ie er auf der Höhe der Conjunctur künstlich insUnermefsliche übertrieben worden war, jetzt durch die im gleichen Uebermafs sich geltend machende Zurückhaltung unter das thatsächlich erforderliche Quantum hinunterging. In ähnlicher Weise hat die zügellose Ueber- • treibung der Speculation, die bei der Escomptirung j der Conjunctur in der Bemessung der Werthe ! von Industriepapieren ins Uferlose ging, dazu beigetragen, der jetzigen Ruhepause wirthschaft- licher Entwicklung die Signatur eines scharfen Rückganges aufzuprägen. Es kann nicht über sehen werden, dafs die Wirkung dieses letzteren | Umstandes besonders durch das Börsengesetz ! vorbereitet und gefördert wurde. Die Situation wurde noch dadurch verschärft, dafs infolge der unnatürlichen Bedarfsverringerung die wirtschaftlich nothwendige Weite der I Spannung zwischen den Preisen der Rohstoffe | bezw. Halbfabricate und andererseits der Fertig erzeugnisse nicht durchzusetzen war, ein Symptom, das im Laufe des vergangenen Jahres immer allgemeinere Bedeutung gewann. Die plötzlich zum Durchbruch gekommene Verflauung auf dem amerikanischen Eisenmarkte bildete den unmittel baren Anstois zur Entfaltung dieser den günstigen Stand unserer Wirthschaftsverhältnisse bedrohen den Kräfte, die bei gleichzeitig stark sinkendem Vertrauen in die Lage mehr und mehr zur Ab schwächung der Conjunctur führte. Die Berechtigung der ruhigeren Auffassung, die das Vorhandensein einer ruinösen Krise ab lehnt und die gegenwärtige Lage mehr als eine wirthschaftliche Ruhepause charakterisirt, wird auch durch die jüngst bekannt gewordenen Ver anschlagungen des Staatshaushalts-Etats für 1901 durchaus bestätigt. Die Einnahmen aus dem Eisen bahngüterverkehr, der einen grofsen Theil des Ge- sammtgüterverkehrs darstellt und der handgreif lichste Ausdruck der wirthschaftlichen Lage ist, zeigen bei einer in Hinsicht auf den eingetre tenen Umschwung sehr vorsichtigen Schätzung eine Steigerung von 58 Millionen gegen das Vorjahr, während die Steigerung von 1899 auf 1900, also noch innerhalb der Periode unab sehbarer Hochconjunctur und demgemäfs fieber haftester Thätigkeit auf allen Productionsgebieten, nur auf 53 Millionen Mark bewerthet wurde. In gleicher Weise ist auch die glänzende Ge- sammtfinanzlage des Preufsischen Staates zu interpretiren, bei deren Darlegung in seiner letzten Etatsrede der Finanzminister sich eben falls dahin aussprach, dafs die wirthschaftliche Lage eine durchaus gesunde und kernfeste sei, die keineswegs irgend welche Anzeichen für die unmittelbare Nähe einer umfassenden wirth schaftlichen Krisis mit erschütternden Wirkungen