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15. Februar 1901. Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. Stahl und Eisen. 193 Nach diesen Ausführungen ergriff Hr. Geheimrath Spaeter-Coblenz das Wort zur Frage der Mosel- kanalisirung, um nachzuweisen, dafs dieses Project schon sehr lange Zeit zurückliegt und dafs den Verein nicht der Vorwurf des Vordrängens trifft, wenn er nunmehr fordert, eine klare Antwort in dieser Frage zu erhalten. Redner zeichnete die Etappen, die das Project seit 18 Jahren zurückgelegt hat, und legte die Vortheile der Moselkanalisirung auseinander. Zum Schlufs betrat Hr. Generalsecretär Bueck- Berlin das Rednerpult. Er sagte etwa Folgendes: Die östlichen Provinzen, die in keiner Weise auf dem Höhepunkte stehen, den der Westen seit langem besitzt, wehren sich gegen die Vorlage, die gerade geeignet ist, sie mit dem Westen zu verbinden. Redner schildert aus seiner eigenen Erfahrung die Ueber- production, an der der Osten infolge der mangelnden Verkehrsstrafsen leidet. Um so erstaunlicher ist der Widerstand, der mit längst erwiesenen Scheingründen schon seit so langer Zeit sich gegen die Kanalvorlage richtet. Er hält ihn mehr für den Erfolg einer starken Organisation, die mit dem Aufgeben des Widerstandes ihren Zusammenbruch befürchtet, als für das Ergebnifs einer wirklichen Zwangslage. Deutschland . ist heute ein Staat, der Millionen von Industriearbeitern be schäftigt, der aber auch im Concurrenzkampfe zur Er- mäfsigung bei Productionskosten gezwungen ist. Und dies kann insbesondere auf dem Wege der Verbilligung der Transportmittel und der daraus folgenden Ergeb nisse geschehen. (Lebhafter Beifall!) Der Vorsitzende dankte dem Hrn. Abg.Dr.Beumer für seine lichtvollen Darlegungen und brachte den Beschlufsantrag zur Abstimmung, der einstimmig an genommen wurde. Centralverband deutscher Industrieller. Delegirt en-Versammlung am 5. und 6. Februar 1901 in Berlin. Herr Abgeordneter Popelins - Sulzbach eröffnet die Versammlung mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den Schützer der nationalen Arbeit, den Kaiser, und gedenkt dann der jüngst im Reichstage gegen den Centralverband gerichteten Angriffe. Sie Alle, so sagt er, welche die Verhandlungen des Cen tralverbandes kennen, wissen, dafs derselbe stets nur bestrebt war, die ihm anvertrauten Interessen zu ver treten, sei es in socialpolitischen und handelspoliti schen Fragen mit der Regierung, sei es in Fragen der Socialpolitik, wo die Reichsregierung das Haus recht der Industrie nach unserer Anschauung nicht genügend wahrte, gegen die Regierung. Die Ver handlungen und Beschlüsse des Centralverbandes waren stets getragen von dem Bewufstsein seiner Verant wortlichkeit für das Wohl der Arbeiter, aber auch getragen von dem Geiste des patriotischen Gefühls, welches die deutsche Industrie auszeichnet. Aber gerade das patriotische Gefühl, das die deutsche Industrie auch bei ihren Arbeitern zu erhalten und zu wecken bestrebt ist, ist es, was uns die Socialdemokraten be sonders zu Feinden macht; ihre Feindschaft betrachte ich als das beste Zeugnifs für die Richtigkeit unserer Bestrebungen und wir können deshalb mit ruhigem Gewissen ihre Hetze über uns ergehen lassen. Was mich dagegen mit grofsem Schmerze berührt, ist, dafs ein hervorragender Vertreter der Reichsregierung unsere Bestrebungen so verkennen konnte, dafs er mit einer gewissen Ostentation sich vom Centralverband abwandte, mit dem er in so vielen Fragen gleicher Anschauung war. Diese Haltung ist mir ein psychologisches Räthsel. Ich habe die Ehre, mit Herrn Grafen y, Posadowsky beinahe 40 Jahre bekannt zu sein; ich schätze seine Arbeitskraft, seine Einsicht in die praktischen Bedürfnisse des Lebens, seinen Charakter und seine Ritterlichkeit sehr hoch; es ist ausgeschlossen, dafs seine Haltung durch die Angriffe der Social demokratie hervorgerufen wurde, ich nehme jedoch an, dafs ein unlauterer Wettbewerb ihm unsere Bestre bungen in einem ganz falschen Lichte beleuchtet hat und er dadurch zu irrigen Anschauungen über den Centralverband gekommen ist. Wir werden uns durch diese Haltung in unseren Beschlüssen nicht beirren lassen; dieselben werden nach wie vor zur Wahrung und Förderung nationaler Arbeit gefafst werden; Niemand zuliebe aber auch Niemand zuleide, und bitte ich Sie, m. H., dieser Devise entsprechend, die Dis- cussion rein sachlich, ohne jede persönliche Spitze führen zu wollen. (Lebh. Beifall.) Nach den Ergänzungswahlen zum Aus schuf s kam man zum zweiten Punkte der Tages ordnung: Die Stellung des Centralverbandes zu den Getreidezöllen. Herr Generalsecretär Bueck giebt zuerst in eingehender Darstellung einen Ueber- blick über die Thätigkeit des Centralverbandes in Bezug auf den Entwurf einer neuen Anordnung des deutschen Zolltarifs und die Gestaltung des künftigen Zolltarifs selbst, die sich in den Hauptpunkten mit den Darstellungen deckt, die das Directorium in seinem Rundschreiben vom 5. October 1900 gegeben hatte. Auf die Frage der Gestaltung der Getreidezölle bei der Erneuerung der Handelsverträge übergehend, kenn zeichnet Redner zunächst die Ziele und Absichten der Freihandelsbewegung dahin, dafs die Anhänger dieser Richtung nicht etwa die Aufhebung aller Zölle erstreben oder auch nur für möglich erachten, sondern dafs sie ihre Aufgabe vornehmlich darin erblicken, sich gegen bestimmte Zölle, namentlich die Industriezölle, zu wenden und Diejenigen als gemeingefährliche Hoch schutzzöllner anzugreifen, die auf dem Boden des gegenwärtig geltenden Schutzes der nationalen Arbeit stehen und für deren Beibehaltung eintreten. Im Gegen satz zu dieser Bewegung, die sich anscheinend auch, der „Handelsvertragsverein“ und andere Vereine ähn licher Tendenz zur Richtschnur dienen lassen, nehme der „Centralverband deutscher Industrieller“ eine feste Stellung zu der Frage der Getreidezölle ein. Mit ihm verlange die gesammte Industrie den Abschlufs lang fristiger Handelsverträge als Unterlage für das Ge deihen unseres Wirthschaftslebens. Wenn der Deutsche Handelstag sich gegen jede Erhöhung der Lebens mittelzölle über den Betrag des jetzt geltenden Ver tragstarifs erklärt habe und sein Beschlufs als Beweis dafür angeführt werde, in wie weitem Umfange Industrie und Handel die Erhöhung der Getreidezölle als eine schwere Schädigung unserer nationalen Wirthschaft betrachteten, so sei dieser Auffassung entschieden ent gegenzutreten. Vielmehr stelle sich der Handelstag mit jenem Beschlüsse in den schärfsten Gegensatz zu dem überwiegendsten und bedeutendsten Theil der Industrie, die einen durchaus abweichenden Standpunkt zu den landwirtschaftlichen Zöllen einnehme. Zur Begründung dieses Standpunktes giebt der Redner einen Ueberblick der verschiedenen Stadien, welche die Getreidezölle im letzten Jahrhundert durchlaufen haben. Er kommt dabei zu dem Ergebnifs, dafs die Herabsetzung des Zolles von 5 auf 3,50 M im Handelsvertrag mit Oesterreich, wodurch ein Zollkrieg mit Rufsland verursacht wurde, äufserst verhängnifs- voll gewesen sei, da sie uns keinen Vortheil in unserm Verhältnifs zu den übrigen Vertragsstaaten brachte, dagegen eine seit 10 bis 15 Jahren bestehende Agrar krisis noch weiter verschärfte. Krisen in der Landwirth- schaft seien im Laufe des vorigen Jahrhunderts mehrfach eingetreten, die jedoch als örtliche Erscheinungen einen vorübergehenden Charakter trugen und nicht hinderten, dafs bis in die siebzigerJahre die Landwirtschaft sich einer steigend günstigen Conjunctur, verbunden mit hohen Getreidepreisen, erfreute. Die in den sieb ziger Jahren begonnene Krisis, die ihren Höhepunkt