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der Entwurf andererseits bestrebt, auch hier die behördliche Einmischung- auf das unbedingt erforderliche M af s zu be schränken. Wenn auch in denjenigen Fällen, in denen es sich um eine gerechte Vertheilung der Lasten der Unfallversicherung und um den Schutz der Minorität der Berufsgenossen gegen eine den Rück sichten der Billigkeit widersprechende Majori- sirung derselben in der Genossenschaft handelt, die Genehmigung der Beschlüsse der letzteren durch eine zu errichtende Reichsbehörde — das Reichsversicherungsamt — vorgesehen worden ist, so wird doch darin ein Eingriff in die genossen schaftliche Selbstverwaltung umsoweniger erblickt werden können, als die Zusammensetzung dieser Behörde, welche neben den ständigen Mit gliedern aus Mitgliedern des Bundesraths, sowie aus Vertretern der Berufsgenossenschaften und der ver sicherten Arbeitei- bestehen soll, dem Charakter der Selbstverwaltung entspricht und einen genügen den Schutz gegen eine einseitig bureaukratische Handhabung des Aufsichtsrechts gewährt.“ Bezüglich der Unfallverhütung hebt die Be gründung’ speciell noch hervor, dafs „gerade auf diesem Gebiete der Selbstverwaltung der mit den öffentlichen Interessen irgend zu vereinbarende Spielraum um so mehr zu gewähren sein wird, als hierbei auch wesent lich ökonomische Gesichtspunkte in Betracht kommen“. Dem Reichsversicherungsamt bezw. den Landesversicherungsämtern sind demgemäfs zwar in organisatorischer, administrativer, ver waltungsgerichtlicher und disciplinarischer Be ziehung, und zwar mit wenigen Ausnahmen als letzter Instanz, umfangreiche Functionen bei Durchführung des Gesetzes übertragen, überall aber unter Wahrung der vollen Autonomie der Berufsgenossenschaften und unter Beschränkung auf die Controle der Beachtung der gesetzlichen Vorschriften, sowie die Geltendmachung der öffentlich-rechtlichen Interessen. In wesentlich analoger Weise sind die Versicherungsanstalten aufgebaut und das Ver- hältnifs derselben zum Reichsversicherungsamt bezw. den Landesversicherungsämtern gestaltet. (Vergl. Commentar von Bosse und Woedtke zu dem Reichsgesetz betreffend Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 zu § 131.) Die neuen Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni 1900 haben dem Reichsversicherungsamt bezw. den Landesversicherungsämtern noch weiter gehende Befugnisse übertragen, jedoch an der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften im wesentlichen nichts geändert, und die Berathungen über die Ausdehnung der fraglichen Befugnisse bieten gleichzeitig einen inafsgebenden Anhalt für die Beurtheilung der Frage, welchen Inhalt das im öffentlich-rechtlichen Interesse statuirte Aufsichtsrecht der genannten Behörden hat. In dieser Beziehung kommt Folgendes in Betracht: I. Nach §31 des Gesetzes vom 30. Juni 1900* dürfen zur Errichtung von Heil- oder Genesungs anstalten nur mit Genehmigung des Reichsver sicherungsamts Beiträge von Mitgliederfi der Ge nossenschaft erhoben werden, oder Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen. Diese Genehmigung ist, wie die Begründung Allg. Theil Seite 72 ergiebt, mit Rücksicht darauf erfordert, dafs bei den fraglichen Aus gaben alle Interessen der Genossenschaftsmit glieder und der Arbeiter in Betracht gezogen werden sollen, d. h. also behufs Wahrung der öffentlichen Interessen, in gleicher Weise, wie auch die Genehmigung von Unfallverhütungs vorschriften vorgeschrieben ist, um — wie die obige Begründung des Gesetzes von 1884 wörtlich sagt —, „eine gerechte Vertheilung der Lasten der Unfallversicherung und den Schutz der Minorität der Berufsgenossen gegen eine den Rück sichten der Billigkeit widersprechende Majori- sirung derselben in der Genossenschaft zu sichern“. II. Nach § 34 Abs. II des Gesetzes vom 30. Juni 1900 kann die Genossenschaft in dringenden Bedarfsfällen mit Genehmigung des Reichsversicherungsamtes die Zinsen und erforder lichenfalls auch den Kapitalbestand des Reserve fonds angreifen, noch bevor der letztere die gesetzmäfsige Höhe erreicht hat. Die Wieder ergänzung erfolgt alsdann nach näherer An ordnung des Reichsversicherungsamtes. In gleicher Weise ist gemäfs § 95 der Reservefonds nach näherer Anordnung des Reichs versicherungsamts wieder zu ergänzen, falls behufs Ablösung von Renten die erforderlichen Mittel aus dem Reservefonds entnommen werden sollen. Auch hier ist das Eingreifen des Reichs versicherungsamts durch das öffentliche Interesse bezw. durch das Interesse des Reichs an der unveränderten Leistungsfähigkeit der einzelnen Berufsgenossenschaften geboten und bedarf daher keiner näheren Begründung, vergl. § 54 G.U.V.G. III. § 42 Abs. IV des Gesetzes vom 30. Juni 1900 bestimmt wörtlich Folgendes: „Der Vor stand der Genossenschaft kann unbeschadet seiner eigenen Verantwortung (§ 45) bestimmte Geschäfte besoldeten Geschäftsführern übertragen. Die zur Ausführung dieser Bestimmung er forderlichen Vorschriften erläfst das Reichs versicherungsamt. “ Diese Befugnifs ist, wie die Begründung Allgemeiner Theil Seite 75 ergiebt, dem Reichs versicherungsamt ertheilt, um eine Gewähr dafür zu haben, dafs in der Uebertragung der bureau- mäfsigen Geschäfte auf besoldete Geschäfts- * Wo im Folgenden nichts Näheres gesagt wird, ist unter dem Gesetze vom 30. Juni 1900 das Gewerbe- Unfallversicherungsgesetz abgekürzt G. II. V. G. zu verstehen.