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504 Stahl und Eisen. Referate und kleinere Mittheilungen. 1. Mai 1900. Man brauchte j a nur die landwirtschaftlichen Akademien statt wie bisher ausschliefslich den Universitäten in Zukunft auch den technischen Hochschulen anzugliedern. Wir würden sie mit offenen Armen empfangen, wir würden unsere Kraft mit Begeisterung in den Dienst dieser neuen und hohen Aufgabe stellen; die Gründung der Hochschule in Danzig bietet dazu eine willkommene Gelegenheit. M. H., für die grofse Zahl derer aber, welche aus landwirtschaftlichen Kreisen höhere Schulen besuchen und welche die Schule verlassen mit dem Einjährig freiwilligen- oder mit dem Abiturientenzeugnifs, kann doch das humanistische Gymnasium nun und nimmer die geeignete Vorbildung liefern für ein erfolgreiches Selbststudium technischer Einrichtungen, wie sie meiner festen Ueberzeugung nach die Landwirtschaft in Zu kunft in immer steigendem Mafse wird verwenden müssen. M. H., ich halte die Frage der Vorbildung auf unseren höheren Schulen direct für eine Lebens frage der Landwirtschaft, und ich meine, dieses Hohe Haus, in welchem der Grundbesitz so hervorragend vertreten ist, sollte, entgegen dem Commissionsbericht, sich vereinigen zu der Bitte an den Herrn Minister, er möge auch seinerseits an der Hebung der Notlage unserer Landwirtschaft nach besten Kräften mitarbeiten. Aber, m. H., es ist dies nur der eine Weg, unsere Einnahmequellen zu vermehren; es giebt noch einen anderen. Die treibenden Kräfte im Lande haben ihn bereits mit Erfolg betreten, gestützt durch die Welt politik unseres erhabenen Kaisers. Die Entwicklung der letzten 50 Jahre hat der erstaunten Welt gezeigt, dafs der Deutsche nicht blofs Dichter und Denker ist, als welcher er ehedem fast allein galt, sondern auch ebenso wie der Engländer und Amerikaner ein ge borener ideen- und erfindungsreicher Ingenieur und Kaufmann. Es wird allseitig zugegeben, dafs bei dieser aufsteigenden Entwicklung der technischen Fähigkeiten unseres Volkes die technischen Hochschulen ein treibendes und förderndes Element gewesen sind. Was liegt da näher als die Folgerung, dafs alles ge schehen mufs, um diesem wichtigen Kulturfactor mehr noch als bisher freie Bahn, Luft und Licht zu ver schaffen für weitere Entwicklung, dafs es gilt, Hinder nisse aus dem Wege zu räumen, welche ihm die er folgreiche Lösung wichtiger Aufgaben bisher noch er schweren. M. H., hier kann ich Ihnen nun das Bekenntnifs nicht ersparen, dafs unsere technischen Hochschulen an einem kritischen Wendepunkt ihrer Entwicklung angelangt sind, dafs sie vor der Gefahr stehen, das wissenschaftliche Uebergewicht, welches sie bisher gegenüber den ausländischen Schulen gehabt haben, zu verlieren, dafs sie Einbufse erleiden müssen an ihrer wissenschaftlichen Bedeutung, wenn nicht durch greifende Mafsregeln in die Wege geleitet werden. M. H., ich stehe seit etwa 30 Jahren im Hoch schulunterricht und habe vorwiegend mit den Studenten der letzten Semester zu thun gehabt; ich kenne das Mafs der Bildung, mit welchem diese in ihren Beruf treten, ziemlich genau. Welche Aenderung in den Zielen unseres Unterrichts habe ich in diesen 30 Jahren erlebt! Damals reichte ein vierjähriges Studium voll kommen aus, nm sich in den Besitz der Kenntnisse zu setzen, die einen Ueberblick über das damalige technische Wissensgebiet ermöglichten. Welche Fülle von neuen Gebieten hat sich aber seitdem erschlossen, und zwar handelt es sich nicht etwa nur um Gebiete, welche der Specialforschung überlassen bleiben können: nein, m. H., es handelt sich um grundlegende Wissens gebiete, ohne deren tieferes Studium kein Ingenieur heute auf irgend einem Gebiet eine erfolgreiche Thätig- keit entfalten kann. Ich erinnere nur an die Elektro technik, welche heute alle technischen Gebiete durch dringt, an die moderne Gasmaschine, welche sich an schickt, die Dampfmaschine, den Stolz des vorigen Jahrhunderts, zu verdrängen, die moderne Ofentechnik, die Beleuchtungstechnik, die uns mit einer Fülle von Licht überschüttet hat, die Kühl- und Eismaschinen, die sanitären Einrichtungen der grofsen Städte, Kanali sation und Wasserleitung, die tiefere Einsicht in die Eigenschaft der Materialien, welche unsere Auffassung über die Festigkeit durchaus verändert hat, und nicht zuletzt an die steigende Verwendung der Technik in der Landwirthschaft, die dazu führen wird, dafs der Landwirth in Zukunft immer mehr die erfinderische Kraft des Ingenieurs wird in Anspruch nehmen müssen. Dazu kommt, dafs die alten Gebiete, wie Dampf maschinen und Pumpenbau, Bergwerksmaschinen und Turbinenbau und andere durchaus nicht verschwunden sind, sondern nur eine tiefere eingehendere Behandlung erfahren haben. Wie stellt sich nun der Studienplan der tech nischen Hochschulen angesichts dieser Fülle neuer Gebiete? Unsere Studienzeit ist heute noch wie vor 30 Jahren vierjährig, abgesehen von dem praktischen Jahr. Hätten wir nur diese 4 Jahre, dann wollten wir den Stoff schon bewältigen. Aber, m. H., das erste Studienjahr scheidet bei uns völlig aus dem akademischen Lehrplane aus; es ist gefüllt mit vor bereitenden Studien in den Elementen der höheren Mathematik, Mechanik, darstellenden Geometrie, Physik und Chemie. Wir müssen diese vorbereitenden Studien treiben, weil die Mehrzahl unserer Studenten von den Gymnasien stammt, wir können sie nicht zurückweisen. M. H., was würden die Herren Theologen, Philo logen und Historiker sagen, wenn ihr Studium be gonnen werden sollte mit der Aneignung der elemen taren Vorkommnisse in der Grammatik der lateinischen und griechischen Sprache! Das ist das ABC des Studiums, ohne welches ein erfolgreiches Fachstudium überhaupt nicht begonnen werden kann und wird deshalb der Vorschule überwiesen. Und, in. H., mit Recht! Ich wäre der letzte, der verlangen wollte, dafs auf unseren humanistischen Gymnasien der Unterricht in den alten Sprachen heruntergeschraubt werden sollte; ich theile vielmehr die Besorgnifs der vielen Herren, namentlich der Philologen, welche in der Herabminderung des altsprachlichen Unterrichts durch die Reform vom Jahre 1892 eine sehr ernste Gefahr für diese Studien erblicken. Diese Gefahr m u f s beseitigt werden; das Niveau unserer humanistischen Bildung darf nicht sinken, es mufs vielmehr gefördert werden. (Sehr richtig!) Aber, m. H., wir müssen das gleiche Recht auch für unser Wissensgebiet in Anspruch nehmen. Wir müssen es noch aus einem anderen Grunde. Die Ele mente der höheren Mathematik sind genau so lang weilig und trocken wie die Elemente der Grammatik der lateinischen und griechischen Sprache; diese Dinge werden erst interessant, wenn man sieht, was man damit anfangen kann, welchen Bildungsstoff man damit erwerben kann. Solche Vorstudien gedeihen infolge dessen am besten unter dem sanften, väterlichen Zwange von Schuleinrichtungen. Es gehört ein hohes Mafs I von Pflichtgefühl und innerer Reife dazu, diese trockenen Studien freiwillig mit derjenigen Intensität zu betreiben, die sie nun einmal erfordern. In dem ersten Jahre der erlangten akademischen Freiheit sind die Be dingungen für die freiwillige Entwicklung solcher Intensität nicht gerade die günstigsten. Ich will ! unserer studirenden Jugend kein schlechtes Zengnifs ausstellen; aber Viele sind doch darunter, welche meinen, dafs mit dem Anhören der Vorlesungen zu nächst genug gethan sei. Dann kommt das zweite Jahr mit dem Examen; nun treibt die Hetzpeitsche der i Angst und verzehnfacht die Intensität. Der Studien- | plan des zweiten Jahres, der schon technische An wendung umfafst, leidet darunter. Das Fac.it ist: für | viele unserer Studenten scheidet auch das zweite Jahr i aus, und es bleiben nur zwei Jahre für ein vertieftes