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Abiturienten der höheren Schulen. Es ist darum auch die technische Hochschule an der Vorbildung auf unseren höheren Schulen wesentlich betheiligt. Man hat im Jahre 1890 bei der Schulconferenz eine sehr einfache Lösung dieser Frage zu finden geglaubt, indem man den Strom derer, die eine höhere technische Bildung suchten, auf die Realgymnasien und die Oberrealschulen zu leiten vermeinte. Die thatsächliche Entwicklung, die seitdem eingetreten ist, hat gezeigt, dafs man sich dabei gründlich geirrt hat. Einige Zahlen werden dies beweisen. Unter 2000 Stu- direnden der technischen Abtheilungen unserer Hoch schule zu Berlin im Wintersemester 1897/98 befanden sich 87 % solcher, die das Reifezeugnifs einer höheren Schule besafsen, und zwar stammten 54 % von den Gymnasien, 39 % von Realgymnasien und 7 % von Oberrealschulen. Lassen Sie mich zum Vergleich heranziehen die Verhältnisse an den Universitäten. Mir stehen zufälllig die Zahlen für die philosophische Facultät der Berliner Universität zur Verfügung — das ist die gröfste in Deutschland —: unter 1500 Stu denten befanden sich dort nur 70 %, die das Zeugnifs der Reife für eine höhere Schule besafsen, und diese 70 % setzten sich zusammen zu 66 % aus Gymnasiasten, zu 30 % aus Realgymnasiasten und zu 4 % aus Oberrealschülem. Sie sehen, meine Herren, die Ver schiedenheit in der Zusammensetzung der Studenten ist keine allzugrofse. Auffallend und für viele über raschend dürfte aber die Thatsache sein, dafs der Procentsatz derer, die ihr Studium mit dem Reife zeugnifs einer höheren Schule beginnen, auf der technischen Hochschule gröfser ist als bei der philo sophischen Facultät der Universität Berlin — 87 % gegen 70 %. Diese an sich bedeutungslose Thatsache mufs ich aber hervorheben, weil in dem anderen Hohen Hause einer der Herren Redner den technischen Hochschulen den Rath gegeben hat, sie-möchten ihr geistiges Niveau von innen heraus erhöhen, indem sie die Aufnahmebedingungen verschärfen. Der verehrte Herr hat seinen Wunsch an eine falsche Adresse gerichtet. M. H., aus den mitgetheilten Zahlen, welche zeigen, dafs auch bei uns der gröfste Theil dei - Studenten aus Gymnasiasten besteht, könnte man nun eine sehr einfache Schlufsfolgerung ziehen. Man könnte sagen: sie beweisen, dafs auch die humanistischen Gymnasien eine ausreichende Vorbildung für die technischen Studien gewähren. Bei dieser Schlufsfolgerung würde man aber zwei verhängnifsvolle Fehler begehen. Erstens würde man nämlich diejenigen weiten und hochgebildeten Kreise unseres Volkes, bei denen die Abneigung gegen die altsprachliche Erziehung unserer Jugend aus innerster Ueberzeugung entspringt, auf das tiefste verletzen, jene grofsen und wahrlich nicht gering zu schätzenden Kreise, für welche vor 10 Jahren das erlösende Wort gesprochen ist: Wir sollen nationale junge Deutsche erziehen und nicht junge Griechen und Römer. M. H., ich weifs sehr wohl, dafs in diesem Hohen Hause sehr Viele sind, welche diese Anschauung nicht theilen und welche in der altsprachlichen Erziehung immer noch das einzige Heil erblicken. Ich will mit diesen verehrten Herren darüber gar nicht streiten. Ich möchte aber keinen Zweifel darüber lassen, dafs ich selber zu jenen gehöre, welche nach ihren Lebens erfahrungen ebenso wie nach ihren innersten und heiligsten Ueberzeugungen in religiöser, sittlicher und idealer Beziehung eine harmonische, höchste Geistes bildung auch ohne Kenntnifs der alten Sprachen für möglich halten, welche selber die Werthschätzung des klassischen Alterthums tief im Herzen tragen, ohne die Kenntnifs desselben Anderem als der Anschauung oder mustergültigen Uebersetzungen zu verdanken. M. H., wer hat die Schätze des klassischen Alter thums in edlerer Weise sich zu eigen gemacht und wieder gegeben als unser idealster' Dichter — Schiller, von dem es doch bekannt ist, dafs er kein Wort Griechisch verstand ? Die Möglichkeit aber, auch durch naturwissenschaftliche Studien logische Schulung des Geistes zu erzielen, wird meist nur von denen be stritten, die Solche Studien nicht näher kennen gelernt haben. Ich will aber, wie gesagt, darüber nicht streiten. Ich ehre und verstehe sogar die Liebe, welche dank bare Gemüther den Studien ihrer Jugend, dem An denken begeisterter Lehrer bewahren. Aber, m. H. — nun komme ich zu dem zweiten, wichtigeren Punkte —, für mich hat diese ganze Frage der Vorbildung eine eminent wirthschaftliche Be deutung, bei welcher die ganze Zukunft unseres Vater landes lebhaft vor Augen tritt, und in diesem kühlen und praktischen Sinne möchte ich auch die Frage nur behandelt und entschieden sehen. M. H., die centrale Lage unseres Landes legt uns die bittere Nothwendigkeit auf, stark gerüstet zu sein zu Wasser und zu Lande, damit wir den für unsere wirthschaftliche und nationale Entwicklung noth- wendigen Frieden uns erzwingen und sichern können. Bei dem unaufhaltsamen Fortschritt der Waffentechnik sowie aller technischen Rüstungsmittel überhaupt können wir die erforderlichen Ausgaben, die sich immer mehr steigern werden, nur dann bestreiten, wenn es uns ge lingt, unsere Einnahmequellen zu vergröfsern. Alle noch so idealen Gesichtspunkte müssen dieser kalten Nothwendigkeit gegenüber vollkommen zurücktreten. Es ist der Selbsterhaltungstrieb, den der liebe Gott als den stärksten im Menschen entwickelt hat. Aber auch der ganze Fortschritt auf culturellem Gebiet, auf geistigem und besonders auf socialem Gebiet, auf den wir so stolz sein dürfen, ist in Zukunft nur möglich, wenn es uns gelingt, immer reichere Mittel für diese hoch idealen Zwecke bereitzustellen. M. H., wenn wir nun die Frage aufwerfen: nach welcher Richtung sollen wir eine Vermehrung unserer Einnahmen in erster Linie suchen, so bin ich kein einseitiger Schwärmer für die Industrie, wie Sie das nach meiner Berufsstellung vielleicht vermuthen. Nein, m. H., ich bin der Ansicht, dafs diese Vermehrung in erster Linie zu erstreben ist durch eine intensivere, rationellere und deshalb lohnendere Bewirthschaftung unseres Grund und Bodens, dieses sichersten und werth vollsten Grundstockes unseres nationalen Vermögens. (Sehr wahr!) M. H., Sie wissen selber am besten, in welchem Mafse dies bereits hat geschehen können dadurch, dafs Sie bei dem Chemiker in die Lehre gegangen sind. Versuchen Sie es nun einmal mit dem Techniker. Welch erstaunliche Bedeutung die Technik für die Landwirthschaft besitzt, habe ich kürzlich aus der Schrift eines ostpreufsischen Grundbesitzers, des Hrn. Mack in Ragnit, erfahren. In dieser Schrift wird auf das überzeugendste an der Hand eines umfassenden Zahlenmaterials der Nachweis geführt, wie sich die Productionskosten der Landwirthschaft wesentlich verringern lassen durch planmäfsige Einführung maschineller Betriebe unter Anwendung von Kraft- vertheilung mit Hülfe der Elektricität. Ich kann den rein landwirthschaftlichen Theil dieser Schrift nicht beurtheilen; der technische Theil aber, über den ich I mir ein Urtheil zutraue, zeugt von einem ganz her vorragenden Verständnifs der Technik. Diese Schrift sowie die darin angeführten bahnbrechenden An wendungen sind ein Beweis für die hohe Intelligenz, die auf einzelnen Gütern unseres Landes sitzt. (Sehr richtig! — Heiterkeit.) Welche grofsen und segensreichen Folgen müfste es nun haben, wenn allseitig unsere Grundbesitzer nicht wie bisher ausschliefslich juristische und land- i wirthschaftliche Studien an Universitäten betrieben, sondern wenn sie sich auch umfassende technische ; Kenntnisse aneigneten. Der Weg dazu ist so leicht