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Es lag mm nahe, dafs die grofsen Erfolge der Elektrotechniker auf dem Gebiete des Strafsen- bahnwesens ihre Rückwirkung auf das Haupt verkehrsmittel der Jetztzeit, die Eisenbahnen, ausübten und den Eisenbahntechniker anspornten, die Elektricität auch für die dem Schnell- und Massenverkehr dienenden Haupt- und Neben- , eisenbahnen als Zugkraft anzuwenden. Das trat ■ auch vor etwa zehn Jahren schon ein; allein, | wie es bei solchen Dingen häufig geht, man schiefst zunächst in seinen Plänen über das Ziel hinaus, führt dann seine Bestrebungen auf das Erreichbare zurück und hat nun erst Erfolge. So auch hier; einige Heifssporne sahen schon das Ende der Dampflocomotiven voraus, man fabelte von einer förmlichen Umwälzung im Eisen bahnwesen, namentlich von einer Fahrgeschwindig keit, die alles Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Dahin gehört u. a. der viel besprochene Vorschlag der Verbindung zwischen Wien und Budapest, bei der kurze Züge mit 250 km/Stunde -Geschwindigkeit befördert werden sollten, und ein ähnliches Project für eine elek trische Eisenbahn zwischen Chicago und St. Louis. Wenn von alledem auch bislang nichts eingetroffen ist, so hat sich die Angelegenheit doch in einer solchen Weise entwickelt, dafs die Elektro techniker Erfolge aufzuweisen haben, die es recht fertigen dürften, an dieser Stelle eine Uebersicht über das bislang Erreichte zu geben. Der unmittel bare Anlafs dazu bietet sich — ganz abgesehen davon, dafs alleUmwälzungen im Verkehrswesen von gröfster Bedeutung für die Eisenindustrie sind — durch die vor kurzem erfolgte oder nahe bevor stehende Eröffnung des elektrischen Betriebes auf der Wannseebahn bei Berlin, der ersten elektrisch betriebenen Strecke der Preufsischen Staatsbahn. Wenn es sich dabei auch nicht um etwas Dauerndes handelt, indem zunächst nur die Absicht besteht, einen auf ein Jahr sich ausdehnenden Versuch mit einigen wenigen Zügen zu machen, so zeigt doch diese Thatsache, dafs man immerhin in der Staatseisenbahnverwaltung der Sache eine gewisse Wichtigkeit beimifst.* Auch hat sich im October 1899 in Berlin eine „Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen“ gebildet, der aufser den ersten deutschen Banken eine Reihe her vorragender Techniker aus Beamten- und Industrie kreisen, Offiziere, sowie mehrere unserer gröfsten industriellen Werke (Krupp u. a.) angehören.** Kurz zusammengefafst, ist das Ergebnifs der bisherigen Bestrebungen zur Einführung des elek trischen Betriebes auf Eisenbahnen gewesen, dafs man für die schweren, in längeren Zwischen räumen fahrenden Züge der Hauptbahnen zur Zeit noch nicht daran denken kann, den Dampf betrieb durch elektrischen Betrieb zu ersetzen. * Vergl. „Stahl und Eisen“ 1900 Nr. 6 S. 300. '* „ „ 1899 S. 990. Die Hindernisse liegen ebensosehr auf elektro technischem wie auch auf eisenbahntechnischem Gebiet und sind theils in den beim Zusammen setzen und Auflösen der Züge sowie bei Betriebs- unregelmäfsigkeiten infolge Versagens der elek trischen Kraft auftretenden Schwierigkeiten, theils in der Bauart und Ausrüstung der Bahnanlagen sowie der Veränderlichkeit der erforderlichen Zugkraft zu suchen, abgesehen von den bei ge wissen Anwendungsformen der Elektricität für das Eisenbahnpersonal bestehenden Gefahren. Vor allem ist die finanzielle Seite der Sache nicht aufser Acht zu lassen. Stände man vor einer ganz neu zu schaffenden Einrichtung, bei der es sich darum handelte, die Eisenbahnen entweder mit Dampf oder Elektricität zu be treiben, so möchte die Wahl nicht schwer sein und wohl zu Gunsten der Elektricität ausfallen, obgleich auch dann noch die hohen Anlagekosten der elektrischen Einrichtungen, zu deren Ver zinsung der Verkehr namentlich auf den Neben bahnen meistens nicht dicht genug sein würde, ein starkes Hindernifs für die allgemeine Ein führung des elektrischen Betriebes bilden könnte. So wie die Dinge aber liegen, dafs nämlich be währte Anlagen für den Dampfbetrieb vorhanden sind, in denen immense Kapitalien stecken, wird man sich nicht ohne die triftigsten Gründe ent- schliefsen, eine Aenderung in der Betriebsweise herbeizuführen. Am günstigsten für den elek trischen Betrieb sind die Verhältnisse zur Zeit dort, wo der Eisenbahnbetrieb sich dem Strafsen- bahnbetrieb nähert, wo es also darauf ankommt, einzelne Fahrzeuge oder leichte Züge von wenig veränderlicher Zusammensetzung in kurzen Zwischenräumen zu- befördern. Das trifft für den Personenverkehr auf nicht zu stark belasteten Vorortbahnen und auf einzelnen Strecken in den grofsen Städten, bei gewissen Anschlufsstrecken und getrennt für sich liegenden Bahnnetzen zu. Auf derartige Fälle sind die Anwendungen daher bislang beschränkt geblieben. Abgesehen von diesen Gesichtspunkten rein eisenbahntechnischer Natur, ist die Frage der Einführung des elek trischen Betriebes für manche Länder deshalb von gröfserer Wichtigkeit als für andere, weil die Beschaffungskosten der Elektricität eine her vorragende Rolle spielen. Für Länder, die reich an natürlichen Wasserkräften sind, wie die Schweiz, Norwegen, Italien, läfst sich die Elektricität mit geringen Kosten durch Ausnutzung dieser Kräfte herstellen. Braucht ein Land, das arm an Stein kohlen ist, wie Italien, gröfsere Mengen hiervon für den Betrieb seiner Eisenbahnen, so wird die Verwendung der Elektricität als Zugkraft auf ihnen unter Ausnutzung vorhandener Wasser kräfte besonders lohnend sein. Die bislang zur Anwendung gekommenen Systeme lassen sich unter die folgenden drei Klassen einreihen: