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412 Stahl und Eisen. Eisenbauten ein, durch welche der Beweis geliefert wurde, dafs das Eisen bei gutem Geschmack sich zu Hochbauten ebensogut verwenden läfst wie seine älteren Geschwister im Bauwesen, Stein und Holz. Das Hauptverdienst des Erbauers des 300 Meter hohen Thurmes wurde damals darin erblickt, dafs er keine Nachahmung vor handener Thurmbauten versuchte, sondern eine völlig eigenartige, dem Baustoff entsprechende neue Gestaltung erfand. Der unter anfänglichem heftigem Einspruch erster französischer Künstler errichtete Eiffelthurm ist damals als eine Verkörperung der Fortschritte der Technik, namentlich des Eisen baues in würdiger Gestalt und als die angemessene Darstellung eines Gulturgedankens angesehen wor den. Was damals galt, trifft auch heute noch zu; der kühne Bau ragt auch heute noch als das eigentliche Wahrzeichen der Ausstellung in die Lüfte empor. Nicht minder siegreich als beim Eiffelthurm trat im Jahre 1889 die Verwendung des Eisens auch bei den übrigen hauptsächlichen Ausstellungs bauten auf. Die grofse Maschinenhalle von 105 m Spannweite bei 48 m Höhe und 420 m Länge entsprach sowohl in constructiver Anordnung wie eleganter Linienführung und äufserem und innerem Schmuck. In den zahlreichen Kuppeln, nament lich dem Dome centrale, vereinigte sich technisches Geschick und künstlerischer Sinn in glücklicher Weise und schufen bisher Unerreichtes; die klar hervortretenden Gonstructionslinien in den das Marsfeld flankirenden Gebäuden, in welchen die schönen Künste und die Ausstellung der Pariser Stadtverwaltung untergebracht waren, erzielten bei Verbindung mit der Aussfüllung der Gitter gefache durch farbige Thoneinlagen einen grofs- artigen und gleichzeitig wohlthuenden Eindruck. Mit vollem Recht bezeichnete unser damals noch lebender verehrter Mitarbeiter J. Schiink, der stets den Nagel auf den Kopf traf, diesen durch schlagenden Erfolg der Verwendung des Eisens im Hochbau als den „Siegeszug des Eisens“. Die diesjährige Ausstellung wird, was die Gebäude anbelangt, keinen so entschiedenen Markstein in der Geschichte der Verwendung des Eisens im Hochbau bilden, wie dies im Jahre 1889 der Fall war, sie wird aber glänzender Beweis dafür sein, dafs der vor einem Jahrzehnt begonnene Siegeszug inzwischen unaufhaltsam seinen Lauf genommen hat; denn im Grunde genommen kommt man der Wahrheit mit der Behauptung ziemlich nahe, dafs auf der Ausstellung der einzige Bau stoff, welcher auf Tragfähigkeit in Anspruch ge nommen ist, das Eisen ist. Holzbauten kommen nur vereinzelt für Pavillons vor; selbst der grofse Kunstpalast, welcher als monumentaler Bau mit einem Kostenaufwand von über 20 Millionen Franken erbaut ist, besteht in seinem wesentlichen Theil aus Eisenbau. Die grofsen Bauten, welche das Marsfeld und den Invalidenplatz zu beiden Seiten symmetrisch 15. April 1900. bedecken, sind in Grundrifsanordnung als muster gültig in ihrer Art anzusehen. Durch geschickte Gruppirung der Längs- und Querhalle sind immense lichtdurchfluthete Räume geschaffen, die durch Verschiedenheit der Binderconstructionen, durch die wechselnden Blicke an den Vierungsstellen und durch nicht aufdringliche Tönung in lichtgrünen und rothbraunen Farben nirgendwo langweilen, sondern dem Besucher stets neuen Reiz bieten. Besonders glücklich erscheinen die in verschiedenen Formen ausgeführten Kragträger auf dem Marsfeld infolge des Umstandes, dafs sie im Giebel zu nach unten gänzlich offenen Laternen ausgebildet sind. Wo die Gefache der Eisenconstructionen nicht mit Glas ausgefüllt sind, sind die Wände zumeist mit Gips über Drahtgewebe oder Streckmetall verputzt, das sehr weitgehende Anwendung ge funden hat. An den Hauptfa<;aden sowohl auf dem Marsfeld wie auf dem Invalidenplatz ist freilich das Eisen verschwunden, es ist durch einen mit ungemein reicher Architektur und grofsem Aufwand an Werken der bildnerischen Kunst ausgeführten Verputz verdeckt, zum Bedauern des Schreibers, der der früheren Eisen-Terracotta- Architektur an sich entschieden den Vorzug giebt. In dem sogenannten Ehrenhof der Elektrischen Industrie, einer vor die Maschinenhalle gesetzten Halle, deren Vorderseite das vielgenannte Wasser- schlofs bildet, wölbt sich die Dachconstruction in weitem Bogen quer über das Marsfeld, in welchem sich die mit anscheinend äufserst zu lässiger Leichtigkeit construirten Binder an den mächtigen Säulen in schlanken Linien absetzen und einen imposanten Eindruck hervorrufen. Der Gipfelpunkt in der Eleganz der Eisen- construction ist indefs in der nebenanliegenden Festhalle erreicht, welche in die Mitte der alten Maschinenhalle eingebaut ist. Es war ein eigen artiger Gedanke, in die vorhandene Halle einen neuen Bau zu setzen, der im Grundrifs über 80 m im Geviert mifst, dort loggienartig zur Aufnahme von 25000 Personen ausgebildet ist und durch eine, auf schlanken Säulen aufgesetzte, mit buntem Glas bekleidete runde Laterne gekrönt ist. Da der Aufbau durch das Dach der alten Maschinenhalle gegen Schneelast und Winddruck geschützt ist, auch keine andere Belastung als das Eigengewicht zu tragen hat, so konnte die Gonstruction mit einer verblüffenden Leichtigkeit ausgeführt werden, die für den Ingenieur wie für den Architekten gleich anziehend wirkt. Auch der grofse Kunstpalast hat sich, ob wohl er in erster Linie monumental zu wirken be stimmt ist, der ausgiebigen Verwendung des Eisens nicht entziehen können; denn sein wesentlicher Theil besteht aus einer Eisenhalie mit Glasbedeckung, deren Grundrifs durch eine ungleicharmige T-Form gebildet wird. Das Eisengewicht wird auf 6000 t angegeben; wie weit man in den lichten Oeffnungen der Einzelgefache gegangen ist, mag Die Pariser Weltausstellung. I.