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Nr. 15. 62. Jahrgang. Sonnabmd, dm 8. Februar 1896. Verantwortlicher Redacteur: Mul Ithnc in Dippoldiswalde. Mit achtseitigem „Jllustrirten Unterhaltungsblatt". Mit land« und hanSwirthschastlicher MonatSbeilage. Inserate, welch« bei der bedeutenden Auflage des Blattes eine sehr wirk same Verbreitung finden, werden mit 10 Pfg. die Spaltenzeile oder deren Raum berechnet. — Ta bellarische und complicirte Inserate mit entsprechen dem Aufschlag. — Einge sandt, im redaktionellen Theile, die Spaltenzeile 20 Pfg. Wlitz -MW. Anzeiger für Dippoldiswalde und Umgegend. Amtsblatt für die Königliche Amtshaupimannschast, das Königliche Amtsgericht und den Stadtrath zn Dippoldiswalde. »Meiperitz-Aeitung" erscheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend. — Preis vierteljührlich 1 M. Äb Pfg., zweimonatlich St Pfg-, einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Alle Postan stalten, Postboten, sowie die Agenten nehmen Be stellungen an. Vor fünfundzwanzig Jahren. 8 Februar. In ganz Frankreich finden die Wahlen in die National-Versammlung statt. In Paris, wo die Sozialisten bei dieser Gelegenheit die Stärke ihrer Partei prüfen wollten, wurden die radikalsten Per sönlichkeiten gewählt. Die Mehrheit in der Versamm lung hatten aber trotzdem die Monarchisten und die konservativen Republikaner. Gambetta hatte eine Wahl im Elsaß angenommen. ThierS war in 20 Departe ments gewählt ,worden und hatte auf sich allein eine Million Stimmen vereinigt. Er galt bereits als der vom Volke selbst bezeichnete Ches der neuen Republik. Vor Paris beginnt die Abgabe der Geschütze und Waffen der Armee von Paris. Vor Belkort werden die in Felsen erbauten deta- chirten Forts Hautes Perches und Baffes Perches genommen, wozu die Laufgräben theilweis in Felsen gesprengt werden mußten und bei dem herrschenden Thauwelter unter Wasser standen. S. Februar. Die Umsicht der deutschen Heeresverwaltung trifft Vorsichtsmaßregeln für den Fall, daß eine desorgani- sirende Partei in Paris, die von ihrer Existenz schon mehrfach Anzeichen gegeben hatte, die augenblickliche Regierung stürzen und die Feindseligkeiten von Neuem beginnen sollte, nachdem reichliche Lebensmittelver sorgung für die Hauptstadt sich vollzogen hatte. Alle FortS wurden auf 6 Wochen für volle Kciegsbesatzung oerproviantirt, gegen Paris armirte Zwischenbatterien erbaut. Ueber 600 schwere Geschütze wurden in ihnen bereit gestellt für einen eventuellen Wiederausbruch «on Feindseligkeiten, sei es von einer neuen Regierung oder von der ihr Haupt kühn erhebenden Anarchie, mm Paris zu bombardiren bezw. die Aufgänge nach den Höhen der Werke unter gewaltiges Feuer zu nehmen. 10. Februar. Seit Eintritt des Waffenstillstands erhielten die deutschen Soldaten vor Paris tagtäglich zahlreichen Besuch der in der französischen' Hauptstadt hausenden Menschenkinder und herrschte vor den Forts tagsüber «st ein Leben und Treiben wie auf einem deutschen Jahrmärkte. Schaarenweise kamen die Pariser an gezogen: Soldaten ohne Waffen, feine Herrchen im schwarzen Cylinder und Bratenrock, neben Arbeits leuten in Blouie und Hol,schuhen; das stärkste Kontingent stellte aber das schöne, schwache, neugierige Geschlecht, welches in allen möglichen Nüancen im deutschen Kriegslager erschien. Die Reichen kauften, namentlich in den ersten Tagen, Nahrungsmittel aller Art, sowie andere Kleinigkeiten zu hohen Preisen und die Armen erbettelten Brod und Cigarren von den Soldaten. Ein sehr gesuchter Artikel waren die in diesem Kriege ausgekommenen Erbswürste. -Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde. Im Jahre 189S sind in hiesiger Harochie 141 Kinder getauft worden, darunter I Kind katholischer Eltern, 7 Kinder aus gemischter Ehe, d. h. einer Ehe, bei der der eine Theil katholisch, der andere evangelisch ist, und 16 uneheliche. Geboren wurden in derselben Zeit 145 Kinder, darunter 9 todt. 42 Ehen sind kirchlich eingesegnet worden, darunter 2 gemischte Ehen. 106 kirchliche Begräbnisse haben stattgesunden. 74 Katechumenen sind konfirmirt worden. Darunter 1 aus gemischter Ehe. Das heil. Abend mahl ist von 2123 Personen (920 männl., 1203 weibl.) begehrt worden, darunter befanden sich 93 Haus kommunikanten, das ist 254 Kommunikanten mehr al- 1894. Der Ertrag der 7 im Laufe des Jahres gesammelten Kirchenkollekten belief sich aus 281 Mk. 10 Pf., da- ist 25 Mk. 10 Pf. mehr als 1894. Bei der letzten KirchenoorstandSwahl hatten .sich 129 Per sonen in die Wählerliste eingetkagen, von denen 103 ihr Wahlrecht ausübten. Zu den betrübenden Er scheinungen des kirchlichen Lebens gehört die Geburt von 17 unehelichen Kindern (1 todt), 1 Ehescheidung und 1 Selbstmord; der bstr. Selbstmörder g°hörte allerdings nicht der hiesigen Parochie an. — Das am Dienstag Nachmittag erfolgte AuS- rücken der Landabtheilung unserer Feuerwehr erfolgte, wie uns von maßgebender Seile mitgetheilt wird, keineswegs nur in Folge sogen, blinden Allarms, sondern nach zweimaliger telephonischer Anfrage in Reichstädt, von wo aus das dortige Stürmen mit der Glocke hier gehört worden war. Auf die von dort erlheilten Antworten hin, daß die zu Reichstädt gehörige Lehnmühle brenne, war die gesetzlich be gründete Veranlassung zum sofortigen Abgänge der Abtheilung gegeben. Tharandt. In sorstmänwschen Kreisen erregt die Erkrankung des Direktors der kgl. Forstakademie Tharandt, Herrn Obersorstmetsters Professor vr. Neumeister, allseitiges Bedauern. Der weit über Sachsen hinaus bekannte Forstmann, der sich nament lich unter seinen akademischen Hörern grober Beliebt heit ersreut, hat sich, höchstwahrscheinlich durch geistige Ueberanstrengung, ein schweres Nervenleiden zugezogen und infolgedessen aus ärztlichen Rath seine Vor lesungen einstellen müssen. Die interimistische Ver tretung bei Lesung der rein forstwiffenschastlichen Collegten ist Herrn Forstassessor Beck, welcher sich der akademischen Lehrlaufbahn zu widmen gedenkt, übertragen worden. Dresden. Der auf Anregung des größten Theiles der Mitglieder der Zweiten Kammer von der königl. Staatsregierung ausgearbeitete Entwurf eines Gesetzes, die Wahlen für die Zweite Kammer der Ständever sammlung betreffend, ist nunmehr den Ständekammern zur verfassungsmäßigen Beralhung und Beschlußfassung zugegangen. Die Grundzüge desselben seien im Nach stehenden mitgetheilt: Der Kreis der Wahlberechtigten erfährt im Gesetz entwürfe eine erhebliche Erweiterung dadurch, daß das Wahlrecht aus alle diejenigen ausgedehnt wird, welche überhaupt staatliche Grund- oder Einkommen steuer entrichten und, vom Tage des Abschlusses der sogenannten Urwählerliste zurückgerechnet, seil minde stens 6 Monaten ihren Wohnsitz oder Aufenthalt im Orte Haden. Die Abgeordneten zur Zweiten Kammer werden auch künftig in Wahlkreisen, deren Zahl und Ab grenzung keine Aenderung erfährt, gewählt, aber nicht mehr unmittelbar von den Wahlberechtigten, sondern von Wahlmännern. Auf je 500 Seelen der ortsanwesenden Zivil bevölkerung entfällt ein Wahlmann. Unter Zugrunde legung der Volkszählung von 1890 würde die Zahl der in den einzelnen Wahlkreisen zu wählenden Wahl männer demnach zwischen 55 und 177 schwanken. Nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung wird sich letztere Ziffer voraussichtlich noch wesentlich erhöhen. Die Wahlmänner werden in Wahlbezirken durch die Urwähler gewählt. Orte von weniger als 1500 Seelen werden mit einem oder mit mehreren benachbarten Orten zu einem Wahlbezirke vereinigt. Orte von 1500 bis 3499 Seelen bilden eigene Wahl bezirke. Orte von 3500 und mehr Seelen werden in mehrere Wahlbezirke gelheilt. In einem Wahlbezirke können bis zu 6, in den Wahlbezirken der Städte mit 40000 und mehr Ein wohnern bis zu 12 Wahlmänner gewählt werden. Die Urwähler werden nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden staatlichen Grund- und Ein kommensteuer in drei Abtheilungen gelheilt. In die erste Abtheilung gehören diejenigen höchstbesteuerten Urwähler, welche zusammen das erste, oberste. Drittel der Gesammtsumme der Eleuerbeträge des Ortes be,w. des Wahlbezirks entrichten. In jedem Falle aber gehören in die erste Abtheilung alle diejenigen Ur Wähler, welche an Grund- und Einkommensteuer zu sammen den Betrag von wenigstens 300 M. — welcher Betrag einem Einkommen von 10000 M. entspricht — zu entrichten haben. Die zweite Abtheilung wird gebildet von den nächst niedriger besteuerten Urwählern, auf welche die Hälfte der nun noch verbliebenen Steuersumme entfällt. Jedenfalls aber gehören in die zweite Abtheilung alle diejenigen Urwähler, welche an Grund- und Einkommensteuer zusammen den Betrag von mindestens 50 M. — der einem Einkommen von 2800 M. entspricht — entrichten. Alle übrigen Ur wähler bilden die dritte Abtheilung. Ist schon durch die Bestimmung, daß jedenfalls alle Urwähler mit 300 M. Steuersatz in die erste, alle mit 50 M. Steuersatz in die zweite Abtheilung zu gehören haben, einem überwiegenden Einfluß der Besitzer großer Vermögen vorgebeugt, so ist eine weitere Kautel gegen den plutokratischen Charakter des Wahlsystems ferner noch durch die Bestimmung geschaffen worden, daß alle Steuerbeträge, welche 2000 M. übersteigen, nur mit diesem Betrage bei der Berechnung der Gesammtsumme der Steuerbeträge tn Ansatz kommen. , Um den unter der Herrschaft des in Preußen gel tenden Wahlsystems nicht seltenen Fall auszuschließen, daß die erste oder zweite Abtheilung nur aus einem oder nur aus zwei Urwählern bestehe, ist ferner die Bestimmung getroffen worden, daß in diesen Fällen die Abtheilung durch Nachrücken aus der nächst folgenden Abtheilung bis auf mindestens 3 Urwähler ergänzt wird. Ein weiterer Vorwurf gegen das Klaffenwahlsystem pflegt dann erhoben zu werden, wenn die Berechnung und Abgrenzung der Gesammtsteuersumme in ein und derselben Gemeinde bezirksweise erfolgt, da solchenfalls oft eine große Verschiedenheit in der Vertheilung der gleiche Steuerbeträge entrichtenden Wähler auf die einzelnen Abtheilungen sich herausstellt, eine Ver schiedenheit, die, weil sie denselben Ort betrifft, von den Betheiligten besonders unangenehm empfunden wird. Um derart'ge Verhältnisse auszuschließen, wird nach dem sächsischen Entwürfe die Gesammtsumme der Steuerbe-räge für den einzelnen ganzen Ort berechnet. Abweichungen ergeben sich nur für die beiden Fälle, daß mehrere Orte zu einem Wahlbezirk vereinigt sind und baß — wie in Dresden, Leipzig, Chemnitz — ein Ort in mehrere Wahlkreise zerfällt. Im ersteren Falle wird die Gesammtsumme der Steuerbeträge für den ganzen Wahlbezirk, im letzteren Falle für den ganzen Wahlkreis berechnet. Für jeden Ort sind llrwählerlisten aufzustellen, welche als Grundlage für die Abtheilungsliste zu dienen haben. Unter Zugrundelegung der letzteren finden sodann die Wahlmännerwahlen statt. Jede Abtheilung wählt gesondert für sich in ge heimer Abstimmung den dritten Theil der Wahl männer. Die dritte Abtheilung wählt zuerst, die erste zuletzt. Bei der Wahl der Wahlmänner entscheidet die absolute Mehrheit der abgegebenen giltigen Stimmen. Ergiebt sich für einen Wahlmann keine absolute Stimmenmehrheit, so findet eine anderweite Wahl statt, bei welcher die relative Mehrheit der abgegebenen giltigen Stimmen, bei Stimmengleichheit das LoS entscheidet. Die gewählten Wahlmänner bleiben, außer im Falle eine Kammerauslösung, auf die Dauer der Wahlperiode des Abgeordneten tn Funktion. Bei einer ersorderlich werdenden Ersatzwahl eines Ab geordneten sind nur an Stelle der inzwischen durch Tod, Wegzug oder sonst auSgeschiedenen Wahlmänner neue zu wählen. Die Mahlmänner endlich wählen unter der Leitung eines Wahlkommiffar» in geheimer Abstimmung nach absoluter Majorität wahlkreiSweise die Abgeordneten.