Volltext Seite (XML)
MWitz-MiW. Beilage zu Nr. 21. Sonnabend, dm 17. Februar 1894. 60. Jahrgang. !" ! I ü !!>!! !I !M.W Das jüngste anarchistische Verbrechen in Paris. Nur zu rasch haben die Pariser Anarchisten ihre Drohung, die Hinrichtung ihre« Gesinnungsgenossen Baillant „rächen* zu wollen, wahr gemacht, denn un- kreitig bedeutet die im TerminuS-Hotel zu Paris statt« gesundene Bombenexplofion die Antwort aus den anar chistischen Reihen auf die Justifizirung BaillantS. Zwar hieß «» ursprünglich, die Explosion sei von einem ent lassenen Kellner des genannten Hotels ins Werl ge setzt worden, so dab e« sich bei der Affatre also lediglich um einen persönlichen Racheakt handeln würde, indessen hat eS sich sehr bald heraus« gestellt, daß die Katastrophe im TerminuS-Hotel «in Werk der Anarchisten ist. Der muthmaßliche Attentäter selbst, der angeblich Le Breton heißt, hat bereits zugestanden, daß er der anarchistischen Ver schwörergesellschaft angehört und daß er durch seine Lhat Vaillant habe rächen «ollen. Im Uebrigen weichen die Angaben über die Einzelheiten deS Vor ganges noch von einander ab, es dürfte darum erst die gerichtliche Untersuchung volle Klarheit in den Sachverhalt bringen. Was die Wirkungen der Explo sion anbeiangt, so wurde ein am Thatorte gerade vorübergehender Arbeiter durch die bis aus die Straße geschleuderten Bombenstacke getödtet und über zwanzig andere Personen erhielten Verletzungen, außerdem ver wundete der angebliche Le Breton auf seiner versuchten Flucht noch drei Menschen durch Revolverschüsse. Die hervorgerufenen materiellen Beschädigungen stellen sich dagegen als verhültnitzmäßig geringfügige dar. Wie übrigens weitere Pariser Meldungen besagen, ist der Zustand der bei der Katastrophe Verwundeten, auch der Schwerverwundeten, nicht gefahrdrohend. Zunächst beweist nun diese neueste Freoelthat der Pariser Dynamitarden, daß die drakonischen außerordentlichen Gesetze, welche in Frankreich als unmittelbare Folge des Vaillant'schen Attentats in der Deputirtenkammer gegen die Anarchisten erlassen worden sind, die un heimliche Verbrecherbanve nicht im Mindesten einzu schüchtern vermocht haben. Wenn man sich vielleicht auf Seiten der französischen Regierung wie im parla mentarischen Kreisen von den neuen Maßnahmen eine Eindämmerung der anarchistischen Gefahr versprach, so bekundet eben der Vorfall im TerminuS-Hotel das Eitel« einer solchen Hoffnung. Freilich spricht sich die gesammte Pariser Presse, einschließlich der ultraradikalen und sozialistischen Organe, mit Schärfe und Entrüstung gegen das jüngste Bombenattentat aus und speziell die gemäßigt-republikanischen Blätter verlangm schon wieder neue und womöglich noch strengere Ausnahme- Gesetze gegen das anarchistische Unwesen, aber es zeigt sich immer mehr, daß auch die peinlichsten Ausnahme- Gesetze diese soziale Giftpflanze der modernsten Zeit nicht iu ihren Wurzeln zu treffen vermögen. Der Ver such einer wirlsamen Bekämpfung des Anarchismus muß aus ganz anderen Gebieten als auf denen der Justiz und des Ausnahmezustandes unternommen werden, wobei der Erfolg allerdings noch immer fraglich bleibt, eS werden solche scheußliche Thaten von Zeit zu Zeit doch immer wieder ins Werk gesetzt werden. Natür lich bleibt pber trotzdem die Verpflichtung für alle Regierungen bestehen, den anarchistischen Mordgesellen konsequent nachzuspüren und mit ihnen, auch wenn sie bei dem bloßen Versuche eines Verbrechens gegen die Gesammtheit ertappt worden sind, mit jener Strenge zu verfahren, welche gegenüber dem zur Bestie ge wordenen menschlichen Individuum allein am Platze »st. Die einzelne Regierung kann jedoch nur dann mit einiger Aussicht auf Erfolg an die Bekämpfung der anarchistischen Gefahr gehen — soweit jene überhaupt im Rahmen der Möglichkeit liegt — wenn sie hierbei von der öffentlichen Meinung des Landes einmüthig und rückhaltlos unterstützt wird. Gerade in Frankreich läßt diese Einmüthigkeit jedoch noch sehr zu wünschen übrig, haben sich doch die sozialistischen und sogar einige bürgerliche-radikale Blätter von Paris nicht entblödet, Vaillant als Märtyrer zu verherrlichen und seine Hinrichtung als eine Schmach für Staat und Gesellschaft hinzuftellen — da kann man sich nicht wundern, wenn den anarchistischen Verschwörern stets von Neuem der Kamm schwillt! Vielleicht wird darum das Attentat im TerminuS-Hotel wenigstens das Sine Gute haben, daß eS den sich in der öffentlichen Mei nung Frankreich» noch immer bemerklich machenden sentimentalen Anwandlungen zu Gunsten der Anarchisten nunmehr das verdiente Ende bereitet. Sächsische-. — DaS Königreich Sachsen, das zu den ersten Staaten zählt, welche die Fortbildungsschule obliga torisch machten, läßt seit dem Jahre 1876 auch den Volksbibliotheken eine staatliche Mitwirkung an gedeihen. Von 1876 biS 1889 wurden jährlich 15000 Mark und seitdem jährlich 18000Mk. zur Unterstützung von Volks- und Arbeiterbibliotheken aus Staatsmitteln in den Etat eingestellt. Alljährlich erhalten 250 di» 350 solcher Bibliotheken Staatsbeihilfen, die sich in einzelnen Fällen bis auf mehrere hundert Mark be laufen. Ein Musterkatalog für Volksbibliotheken wurde im Kultusministerium zusammengestellt. Eine neue Auflage dieses Katalogs erschien 1883. Die Geldbeihilfen sollen zum Ankäufe von Büchern (also nicht zur Beschaffung von Räumen, BibltothekSgeräthen und Besoldungen) dienen, und zwar in der Regel zur Beschaffung solcher Bücher, die in den Musterkalalog ausgenommen sind. Die erfreuliche Wirkung dieser staatlichen Maßregeln zeigt sich darin, daß die Zahl der sächsischen Gemeinden mit Volksbibliotheken von 1875 bis 1893 von 165 auf 1031, Vie Zahl der Volkebibliotheken selbst von 196 auf 1065 gestiegen ist. Von je 100 sächsischen Gemeinden hatten im Jahre 1875 nur 5, aber 1893 schon 32 solche nütz liche Unternehmungen. Geheimrath vr. Roscher ver öffentlicht eine interessante statistische Zusammenstellung der sächsischen Volksbibliotheken vom Jahre 1893, wo nach in den gewerblichen erzgebirgischen Bezirken die meisten VolkSbidliotheken bestehen, während in den vorwiegend landwirthschaftlichen Distrikten, wie Döbeln, Meißen, Rochlitz, Bautzen, dies weniger der Fall ist. ES waren in den Amtshauptmannschaften Annaberg 95 Proz., Marienberg 88 Proz., Flöha 61 Proz., Chemnitz 57 Proz. aller Gemeinden mit Volksbiblio theken versehen. Was es für die minderbemittelten Volksklaffen bedeutet, wenn sie zur Befriedigung ihres Lese- und Bildungsbedürfnisses gut eingerichtete Bibliotheken vorfinden und nicht auf die oft sehr zweifel hafte Kolportagelitteralur angewiesen sind, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. ' — Im Auftrage des Kgl. Finanzministeriums ist von der Kgl. Wafferbaudirektion zu Dresden eine hydrographische Karte von Sachsen im Maß stab 1:250000 bearbeitet worden, welche die Zufluß gebiete sowohl der größeren, als auch der kleineren Wasserläufe des Landes in leicht erkennbarer Weise zur Darstellung bringt. Die einzelnen Hauptflußgebiet; find mit verschiedenen Farbentönen überlegt und man unterscheidet, vom Westen ausgehend, zunächst da» Ge biet der Weißen Elster, an welches sich das Gebiet der Mulden anschließt. Sodann folgen die Gebiete der Elbe, Röder, Schwarzen Elster, Spree und Neisse. Um das Flußnetz genügend hervortreten zu lassen, sind in die Karte außer den hauptsächlichsten Städten nur diejenigen Ortschaften ausgenommen, in denen täglich beobachtete Pegel vorhanden sind, oder in welchen regelmäßig« tägliche Regenbeobachtungen stattfinden. Di« eingezeichneten Höheschichten und eine große An zahl von Höhenangaben gestatten schließlich einen all gemeinen Ueberblick über die gesammten Höhenverhält- niffe des Landes. Der Karte ist außerdem ein Heft beigegeben, welches genaue Auskunft giebt über die Längen, Höhen und Gefälle der Flußläuse in den ein zelnen Strecken derselben, ferner über die Größen der einzelnen Niederschlagsgebiete und, soweit dies bis jetzt festgestellt ist, über die Wasserführung der Wasserläufe an verschiedenen Punkten. Auch enthält das Heft am Schluffe eine Zusammenstellung, welche angiebt, wel cher Antheil der HauptflußgebietSflächen innerhalb Sachsen auf die verschiedenen Kulturarten (Feld, Wald, Wiese rc.) entfällt. Die Karte hat den Zweck, den allgemeinen Zustand der sächsischen Wasserläufe zur Darstellung zu bringen und die Erkenntniß der Be ziehungen zwischen den physikalischen Verhältnissen deS Stromgebietes zu den Abflußvorgängen in den Ge wässern zu fördern, und ist deshalb für weitere Kreise von Interesse. Aus diesem Grunde ist die Karte ver vielfältigt und der Buchhandlung von Adolf Urban, Wilsdruffer Straße in Dresden, in Kommissionsverlag übergeben worden. Der Preis für ein Exemplar der Karte nebst Erläuterung-Heft in entsprechendem Um schlag beträgt 5,« Mk. Bautzen. Da- in der EonntaaSnacht hier auS- gebrochene Schadenfeuer wurde in der Nacht zum Montag durch den Sturm von Neuem angefacht und die Flammen griffen wieder mit Schnelligkeit um sich. ES ist dabei abermals eine Anzahl Häuser vernichtet worden. Mittag» waren 32 Häuser verbrannt; da» Feuer griff noch weiter um sich. Durch den Brand find über 200 Personen obdachlos geworden. Ein Hilfskomitee hat sich sofort gebildet, und behördlicher seits wird alles gethan, um den schwer Betroffenen ihr Schicksal zu erleichtern; immerhin ist die Noth und das Elend groß. Wie bestimmt verlautet, ist ein der Brandstiftung verdächtiger Mann in Haft genom men worden. Die mit ein Raub de» Element» ge wordene sogenannte MönchSkirche hatte für Bautzen eine ganz besondere historische Bedeutung und wurde ihrer Merkwürdigkeit halber gern besucht. Die eigent liche MönchSkirche war früher ein Franziskanerkloster nebst Kirche, dieselbe wurde in der Zeit von 1225 bi» 1240 erbaut und barg in seiner Blüthezeit 500 Mönche. Durch Einführung des Protestantismus verarmt und verwaist, nahm es 1527—1540 die vom Etädtrathe errichtete erste evangelische Schule, aus der sich später das Gymnasium entwickelte, in seinen Mauem auf, bis es 1598 durch Feuer zerstört wurde. Seitdem hatten sich in den Ruinen arme Leute angefiedelt, welche in den achtzehn ganz regellos erbauten Häuschen billige Wohnungen fanden. Planen i. V. Seit Jahren beschäftigt unsere städtischen Behörden die Erbauung eine- neuen Schlachthofes. Als Bauplatz dazu war die obere Aue bestimmt; doch müßte dort die Regulirung der Elster vorhergehen. Da aber dieselbe in 3—4 Khren kaum zu vollenden ist, so Hal der WohlfahrtSpolizei- ausschuß in Veranlassung einer Verfügung der Mrdi- zinal-Polizej-Behörde beschlossen, bei dem Stadtrath zu beantragen: zur Erbauung de» neuen Schlacht hofes das Löwenstein-Grundstück zu bestimmen und die Ausführung des Baue- baldigst in Angriff zu nehmen. Es wird, falls der neue Schlachthof nicht in die obere Aue zu liegen käme, bet der Elster- regulirung eine Ersparniß von rund 300000 Mk. ein treten. Von der Regierung sind als Beihilfe zur Elsterregulirung jetzt 100000 Mk. anstatt früher 50000 Mk. in Aussicht gestellt worden. Taucha. Von einem bedauerlichen Unglücks fall wurde eine hiesige Beamtensamilie betroffen. Ihr kleines ca. 3 Jahre alles Söhnchen fiel in eine Aschen grube, in welcher die Asche noch glühte; obwohl da» Kind sofort aus seiner furchtbaren Lage befreit wurde, waren doch Köpfchen und Arms bereit» so schwer ver brannt, daß an einer Wiederherstellung des Knaben gezweifelt werden muß. Waldheim. Am vergangenen Sonntage verstarb hier im Zuchthause der Raubmörder Künschner, der am 2. November 1865 den Kaufmann Markert in dessen Geschäftslokal, Ecke der Nikolai- und Srimma- ischen Straße in Leipzig erschlug. Sein Leichnam wurde der Leipziger Anatomie geführt. Künschner, der sich noch im Zuchthause als ein überaus gefährlicher und verbrecherischer Mensch erwies, indem er auf den Direktor des Gefängnisses und noch eine andere Person Mordversuche aussührte, hat, nachdem ihn der ver storbene König Johann bet Gelegenheit seines nach dem Friedensschluß mit der preußischen Krone statt gefundenen Besuches am Königshof in Berlin zu lebenslänglicher Einsperrung begnadigt, mehr al» 28 Jahre im Zuchthause zugebracht. Vermischtes. Ein »neumodischer* HandwerksbNrsche ist dieser Tage, wie das »Bad. Tagbl.* berichtet, durch das BüuSthal gereist. Es ist ein arbeitsuchender Schreinergeselle aus dem — Velo- ziped. Vorn am Dreirad hängt der Reisesack, in der Mitte sitzt der Geselle, hinten sind Stock und Schirm, Säge und Beil angebracht. Merkwürdige Passionen. Die Wiener »Deutsche Ztg.' schreibt : Wir haben einen amerikanischen Millionär gekannt, der bei einer hiesigen aristokratischen Familie speist« und an dem wappengeschmückten Service solches Gefallen fand, daß er schleunigst ein gleiches mit dem gleichen Wappen geschmücktes Tafelgeräth für seinen Gebrauch bestellte. ES erinnert einiger maßen an diesen Wappen-Enthusiasten, wenn aus Paris ge-