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Leipzig. Wie sehr die einzelnen Senate der Reichsgerichts überlastet sind, geht daraus hervor, daß zum Theil die Termine auf jetzt eingelegte Re visionen erst auf Ende Oktober, also erst nach 6'/, Monaten, anberaumt werden. Dabei hat jetzt schon das Reichsgericht ein« so große Anzahl von Richtern, daß Plenarberathungen der Civil- und der Strafsenate, geschweige des Reichsgerichts kaum noch mit Zweck mäßigkeit durchführbar sinv. Die Frage der Abhilfe, die mit der Inangriffnahme der Revision der Civil- und Strafprozeßordnung aufs Engste zusammenhängt, wird immer dringender. — Der Bau des neuen Reichsgerichtsgebäudes geht immer mehr seiner Vollendung entgegen. Die überaus reichen Skulpturarbnten sollen noch im Lause dieses Herbstes beendet werden. Für die innere Aus stattung der nahezu 400 Räume sind jetzt die Möbel bestellt worden. Wird diese innere Ausstattung auch einfach sein, so soll sie doch der Würde des obersten deutschen Gerichtshofes entsprechen und dem Kunst handwerk Gelegenheit zu reger schöpferischer Betheili gung geben. Ob das umfangreiche Gebäude schon im Herbste des kommenden Jahres seiner Bestimmung übergeben werden kann, darüber sind endgiltige Fest setzungen noch nicht getroffen worden. Zwickau. Am letzten Freitag und am Sonnabend haben etwa 150 Förderleute vom 2. und 4.Brücken- dergschacht hier behufs Erlangung höherer Löhne die Arbeit eingestellt. Die Werksverwaltung hat die Ge währung höherer Lohne abgelehnt und bekannt gegeben, daß jeder Ausständige, welcher binnen 48 Stunden die Arbeit nicht wieder aufnimmt, als entlassen be trachtet werde. Seitens der übrigen Bergarbeiterkreise wird zur Zeit Theilnahme für die Sache nicht an den Tag gelegt. (Fortsetzung des Sächsischen in der Beilage.) Tagesgeschichte. Berlin. Der Reichstag nahm am 16. April den Jesuitenantrag des Zentrums in namentlicher Abstimmung mit 168 gegen 145 Stimmen bei 2 Stimmenenthaltungen an. — Dagegen stimmten ge schloffen: Deutschkonservative, Reichspartei, die sächsischen Antisemiten, ferner ein Theil der freisinnigen Volks partei, die Mehrheit der süddeutschen Volkspartei und vr. Barth von der freisinnigen Vereinigung. — In dem neuen Gesetze gegen die vielbeklagten Auswüchse der Abzahlungsgeschäfte wird leider keine Bestimmung enthalten sein, die den Betrieb dieser Geschäfte im Umherziehen untersagt. ES darf also auch in Zukunft das Abzahlungsgeschäft innerhalb der neuen gesetzlichen Grenzen mit Hilfe von Hausirern und Detailreisenden in weiteste Kreise hineingetragen werden, was bei der Rasfinirtheit und Gewissenlosig keit vieler Abzahlungshändler gewiß seine groben Be denken hat. Ein sehr zweckmäßiger Antrag des klerikale». Abgeordneten Gröber auf Verbot aller Abzahlungs geschäfte im Hansirhandel hat bedauerlicher Weise im Reichstage die Mehrheit nicht erlangt, obwohl gerade durch die Hausirer viele kleine Leute zu Käufen auf Abzahlung ost über ihre Verhältnisse hinaus verleitet und schließlich zu Grunde gerichtet worden sind. Mit Rücksicht aus die sozialen und wirthschaftlichen Gefahren des Abzahlungsgeschäftes im Hausirbetriebe hat die österreichische Regierung in ihrem neuen Hausirgesetz- entwurfe die Einleitung und den Abschluß von Ab zahlungsgeschäften verboten. Auch ist dieses Verbot noch besonders dem österreichischen Gesetzentwürfe über die Abzahlungsgeschäfte einverleibt worden. Man will in Oesterreich dem Hausirer nicht die ganze oder theil- weise Kreditirung seiner Waare, sondern nur gewiße unlautere Praktiken des Abzahlungsgeschäfts verwehren. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, sagte Staatsminister vr. v. Bötticher im Reichstage, daß das Abzahlungsgeschäft an sich eine wirthschastlich nütz liche Einrichtung ist, so liegt keine Veranlassung vor, den Hausirern dieses Geschäft zu verbieten. Dieser Ausspruch war wenig glücklich. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Wenn ein Hausirer das Abzahlungsgeschäft betreibt und dafür von Haus zu Haus, von Ort zu Ort seine ausdringliche Propaganda macht, so hat das doch eine ganz andere Wirkung, als wenn ein seßhafter Abzahlungshändler Kundschaft an sich heranzuziehen sucht. Im Nebligen haben sich weder Ne'chSregierung noch Reichstag auf dem Stand punkt gestellt, daß das Abzahlungsgeschäft an sich „eine wirthschastlich nützliche Einrichtung" ist; sie haben viel mehr ihre Bedenken gegen diesen Standpunkt durch zweckmäßige Beschränkung des Abzahlungsgeschäfts zum praktischen Ausdruck gebracht, und eS wäre das Ver bot der Abzahlungsgeschäfte im Hausirbetriebe eine ebenso zweckmäßige als nothwendige Ergänzung dieser Beschränkungen gewesen. Allenfalls hätte man die Bücherkolportage davon ausnehmen und einer be sonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten können. — Wie der „N. P. Z." mitgetheilt wird, war eS ! im Berliner BiSmarck-AuSschuß in Anregung gebracht I worden, an Prof. Virchow eine Erklärung zu er« lassen wegen seiner dem Berichterstatter der „Riforma" gethanen »eußerungen über Bismarck und Bismarck- Verehrung. Dieser Antrag wurde, obwohl die Aeuße- rungen allseitig aufs Schärfste gemißbilligt wurden, mit Rücksicht auf die geringe politische Bedeutung des Herrn Virchow abgelehnt. — Der Dowe'sche Panzer ist neuerdings so verbessert worden, daß er nur noch acht Pfund wiegt und dabei Brust und Bauch vollständig schützt. Ein Probeschieben auf diesen Panzer fand vergangene» Frei tag Nachmittag vor einem geladenen Publikum im Wintergarten des Central-HotelS statt. Herr Dowe legte sich selbst den Panzer an, nahm militärische Grundstellung und li ß wiederholt mit dem Armee gewehr Modell 88 aus ganz kurzer Entfernung aus sich schießen; nur ein geringes Schwanken nach rück wärts verrieth, daß er getroffen war, und seine heitere Miene ließ außer Zweifel, daß ihm der furchtbare Schlag, der ihn in der Höhe des Zwerchfelles getroffen hätte, nicht einmal Leibschmerzen verursachte. Der Panzer zeigte auf der Rückseite weder Riß noch Beule. Da jede Täuschung in Bezug aus das Gewehr, die Patronen und den Schuß ausgeschlossen ist, so bleibt wohl kaum noch ein Zweifel an der praktischen Ver wendbarkeit des Dowe schen Panzers. — Wie der „Voss. Ztg." aus Metz mitgetheilt wird, plant der kommandirende General dcS XVI. Armeekorps großartige Erweiterungen der Stadt. Ein Theil der östlichen Festungswälle soll fallen, und zahl reiche umliegende Ortschaften mit 8000 Einwohnern in das Stadtgebiet einbezogen werde», uin eine bessere Verbindung der Festungswerke untereinander zu ermög lichen. Bad Lippspringe. In den Flammen umgekommen ist bei dem großen Brande nun doch ein Menschen leben. Ein Heizer, welcher mit dem Quartalsan fange ein neues Logis beziehen mußte und sich mit dem Um ziehen etwas verspätet hatte, war mit seiner Familie mit dem Wegschaffen von Möbeln gerade beschäftigt, als der Brand ausbrach. Später ist nun das eine Kind, ein Mädchen von 4 Jahren, in die alte Woh nung, in der inzwischen ebenfalls Feuer ausgebrochen war, wieder zurückgelaufen, ohne daß die Eltern oder andere Leute in der allseitigen großen Bestürzung am Brandtage es bemerkten. Das unglückliche Kind ist nun wahrscheinlich in dem brennenden Hause herum gelaufen, um die Eltern zu suchen, und im Rauche erstickt. Die Leiche wurde an einer Mauer liegend, verkohlt aufgefunden. Hamburg. Die „Hamb. Nachr." veröffentlichen die Danksagung des Fürsten und der Fürstin Bismarck anläßlich der zu ihren Geburtstagen eingegangenen Glückwünsche. Dem Fürsten gingen nicht weniger als 11000 Glückwünsche zu seinem Geburtstage zu. Frankreich. In Paris ist eine neue Sieges nachricht aus Timbuktu eingelaufen. Oberst Joffre, der Kommandant von Timbuktu, hat in der Gegend eines Sees einen Tuaregstamm nach zweitägigen Kämpfen völlig geschlagen, 120 Tuareg, unter ihnen die angesehensten Stammeshäuptlinge, sind gefallen. Die Franzosen wollen, dem betreffenden Bericht zu folge, nur 2 Verwundete bei der ganzen Affaire ge habt haben. — In Paris beschäftigt man sich bereits mit der Wahl des künftigen Präsidenten der Republik. Der „Gaulois" zählt neun Kandidaten für die Wahl auf, die am 2. November stattfinden muß: Carnot, Casimir Perier, Challemel-Lacour, Magnin, Brisson, Meline, Dupuy, Waldeck-Rousseau und Admiral Ger vais. Das orleanistische Blatt glaubt hinzusügen zu müssen, die drei Letzteren würden von ihren Freunden oorgedrängt und verwahrten sich persönlich gegen jedes Gelüste nach dem höchsten Amte der Republik. Aller dings wüßte man nicht recht, wie der Advokat Waldeck- Rousseau trotz seiner Rednergabe und trotz seines ehe maligen Freundschaftsverhältnisses zu Gambetta dazu käme; Herr Dupuy ist so unpopulär als nur möglich, und an den Admiral Gervais, Kronstädter Angedenkens, als an das künftige Staatsoberhaupt, haben wohl selbst die Fanatiker der französisch-russischen Allianz, die übrigens seit dem Abschlüsse des deutsch-russischen Handelsvertrages schon etwas zahmer geworden sind, wohl niemals gedacht. DaS Gleiche gllt auch von Herrn Mölme, dem Vater der Schutzzölle, und von dem Direktor der Bank von Frankreich, Magnin. Brisson wiederum hat nur Anhänger in den radikalen und sozialistischen Kreisen und wird sicherlich nicht durch dringen, wenn er auch im ersten Wahlgange, wie der „GauloiS" meint, 180 bis 200 Stimmen erlangen dürste. Von Herrn Carnot heißt eS, er werde auf die Wiederwahl auf das Bestimmteste verzichten, und so blieben doch nur der jetzige KonsetlSpräsident Casimir Perier und der Senatsprästdent Challemel-Lacour als ernste Kandidaten übrig. — Die Entdeckung des Dynamitlagers bei Aubervilliers ist darauf zurückzuführen, daß mehrere verhaftete Anarchisten den Bestand Kieses Dynamit« lager- verriethen. Der Polizeipräfekt ließ nämlich allen Anarchisten, die Enthüllungen wichtiger Natur machen, nicht bloß Straflosigkeit zufichern, sondern auch eine Geldbelohnung versprechen. In Folge dessen ver riethen mehrere Anarchisten das Dynamitlager in Aubervilliers. Die daselbst gefundenen Bomben, etwa 10 an der Zahl, sind der Bombe VaillantS ähnlich; sie stammen offenbar aus derselben Werkstätte. Ueber die Eigenthümer deS aufgefundenen Dynamitlagers fehlen noch nähere Angaben. Die Verhaftungen von Anarchisten.dauern fort. Italien. Kaiserm Augusta Viktoria ist am 16. April in Venedig angekommen und hat die Sehens würdigkeiten der Stadt besichtigt. Die Rückreise nach Abbazia sollte am 18. April erfolgen. England. Die Londoner Polizei hat bereits wieder einen glücklichen Anarchistenfang gethan. Der italienische Anarchist Francesco Polki wurde am Sonntag in Farrington Street (West-London) verhaftet, er trug eine Bombe bei sich. In seiner Wohnung fand man Chemikalien und anarchistische Schriftstücke auf. Polki war der Freund des bei der Bomben explosion in Greenwich am 15. Februar ums Leben gekommenen Anarchisten Bourdin. Orient. Die Klagen der montenegrinischen Re gierung bei der Pforte über die fortgesetzten Ueber- sälle der Grenzbevölkerung Montenegros durch die be nachbarten Albanesenstämme haben die Pforte endlich veranlaßt, ihre Autorität gegenüber den unruhigen Albanesen energisch zur Geltung zu bringen. Durch direkten Befehl von Stambul aus sind sämmtliche Häuptlinge der unbotmäßigen Stämme abgesetzt und durch andere Persönlichkeiten ersetzt worden. Um den Befehlen der Pforte den gehörigen Nachdruck zu ver schaffen, sind von Skutari mehrere BatailloneJnfanterie nebst 11 Geschützen nach der montenegrinischen Grenze abgegangen. Ob die wilden und kriegerischen Albanesen die Befehle des Sultans ohne Weiteres respektiren werden, bleibt freilich noch abzuwarten. Egypten. Die politische Spannung in Egypten hat sich zunächst durch den Rücktritt des Ministeriums Riaz Pascha, welches dem Khedioe nicht fest genug gegenüber England war, etwas Luft gemacht. Nach einer Reuter-Meldung aus Kairo würde das neue Kabinet folgendermaßen zusammengesetzt sein: Nubar Pascha, Präsidium und Inneres; Butros Pascha, Auswärtiges; Mustafa Fehmi, Krieg; Ibrahim Fund Fakri, Unterricht und öffentliche Arbeiten; Maslum Pascha, Finanzen. Angeblich ist die Bildung des neuen egyptischen Kabinets mit Billigung Englands erfolgt, so daß also mit der Jnstallirung des Mini steriums Nubar Pascha der Gegensatz zwischen dem jungen Khedioe Abbas Pascha und seinen englischen Vormündern einstweilen wieder verkleistert wäre. Australien. Die Samoa-Konvention kommt in's Wackeln. Wie aus Washington telegraphisch ge meldet wurde, ist in der Exekutiv-Kommisston des amerikanischen Senats eine Resolution eingebracht worden, welche die Kündigung dieser unglückseligsten aller Vereinbarungen in's Auge faßt. Darüber würde man sich in Deutschland nur freuen können, wenn nicht die Energielosigkeit, die unser Auswärtiges Amt in allen kolonialen Dingen an den Tag legt, die Be fürchtung erregte, daß dem Schlimmen Schlimmeres folgen könnte. Geh. Legationsrath Kayser hat eine solche Geschicklichkeit in der Konstruktion von Zwangs lagen bewiesen, in denen angeblich das Deutsche Reich immer und überall sämmtliche» Forderungen des Aus landes gegenüber der Gnade und Ungnade der fremden Staatsmänner preisgegeben ist, daß man von einer Neubehandlung der Samoasrage zunächst nur eine Preisgebung des letzten noch kümmerlich bewahrten deutschen Nnflusses zu befürchten hat. So ungern man daher den gegenwärtigen verfahrenen Zustand erträgt, einer beabsichtigten Aenderung kann man, wie nun leider einmal die Dinge liegen, nur mit Besorgniß entgegensetzen. Brasilien. Die letzten Szenen deS brasilianischen Flottenaufstandes haben soeben gespielt, theils an der Küste von Uruguay, th-ils an der Küste des südlichen Brasiliens. An jener landeten Admiral de Mello und einige Hundert brasilianischer Insurgenten, nachdem sie den Panzer „Republica" verlassen hatten, und boten der Uruguayschen Republik ihre Ergebung an. Die Regierung von Uruguay sandte in Folge dessen ein Bataillon Truppen auf Kanonenbooten ab, um die Insurgenten zu internsten. Anderseits soll sich das vom Präsidenten Peixoto nach Süden ent sandte Geschwader deS Panzers „Aquidaban", deS letzten Schiffes der ehemaligen Jnsurgentenflotte, an der Küste von Santa Catharina bemächtigt haben. — In Rio de Janeiro ist eine theilweise KadinetL- krtsis ausgebrochen. Der über die Hauptstadt ver hängte Belagerungszustand ist bis zum 30. Juni ver längert worden.