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688 Oschatz. Von Lorenzkirchen kommende Zigeuner — man sprach von 3—400 Köpfen mit 47 Wagen — hatten am I. September in der Nähe unserer Stadt, vor dem Gasthause in Lonnewitz, ihr Lager aufgeschlagen und eine zahlreiche Menge Schaulustiger aus Stadt und Land herbeigelockt. Der Wirth des Ortes, bei welchem sie den ganzen Tag auslagen und sich bei Wein und bayrischem Bier recht gütlich thaten, meinte, ein solcher Tag sei bester, als eine Ballmusik. Eigentlich beabsichtigten sie hier, mehrere Tage hindurch eine Hochzeit zu feiern. Aus der Sache wurde aber nichts, da der Gemeindevorstand ihnen dazu, obwohl sie 200 Mk. zu zahlen versprachen, keine Erlaubniß gab. Im Gegentheil. Die Landbewohner wünschten sich so rasch als möglich von dieser Bande befreit. Da aber die Aufforderung des Gemeindevorstandes und des anwesenden Amtshauptmannes, doch das Ge lage zu beenden und das Lager abzubrechen, ohne Erfolg blieben, wurde schließlich militärische Hilfe, die in der Garnison verbliebenen Ulanen, in Anspruch genommen. Als der Offizier erschien und die Mit theilung machte, daß die Ulanen kämen, waren sie im Nu nach allen Seiten verduftet. Der Sprache nach stammten die Zigeuner aus dem Elsaß. LeiSnig. Am Montag Abend fand man hier, nach Ankunst des Dresdner Zuges, auf dem Dache eines Personenwagens liegend, den 28 Jahre alten Bremser Weißig todt auf. Derselbe hatte an der Stirne eine große Wunde und auf sofortige Recherchen, welche die Bahnverwaltung anstellte, glaubte man annehmen zu können, daß Weißig vor der Concordia brücke in Dresden auf dem Wagen gestanden hat und mit dem Kopfe an die Brücke angeprallt ist. Man nahm dies um so eher an, weil man an jener Stelle die Mütze Weißig's gefunden hatte. Die weitere ärzt liche Untersuchung der Leiche nach Ueberführung der selben in die Todtenhalle ergab jedoch, daß Weißig außer der schon erwähnten Stirnwunde am Halse in der Nähe des Hinterkopfes eine 9 em lange Stich wunde hatte, daß also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mord vorliegt. Die von der Leisniger Polizei behörde sofort von dem Vorfälle in Kenntniß gesetzte königl. Staatsanwaltschaft zu Leipzig wird hoffentlich bald Licht in die Sache bringen. Leipzig. Auf dem Eilenburger Bahnhofe sollte dieser Tage eine Kiste nach Glogau befördert werden, in der sich lebende Bienen befanden. Durch das Rütteln der Kiste gewannen jedoch die Bienen einen Ausweg durch das Schlüsselloch und zeigten sich so bösartig, daß die Bahnbeamten schleunigst das Weite suchen mußten. Wieviel „lebende Bienen" davon wirklich in Glogau angekommen sind, davon ist bisher nichts gemeldet worden. (Fortsetzung des Sächsischen in der Beilage.) Tagesgeschichle. Berlin. In Berliner diplomatischen Kreisen ver lautet, daß der ehemalige preußische Gesandte am Vatican, Herr v. Schlözer, auf die beabsichtigte Her ausgabe eines Werkes über den Vatican verzichtet hat, da ihn nach seiner eigenen Angabe ein höherer Wille hierzu bewogen habe. — Man berichtet aus Berlin, daß nun auch der Militärmantel einer Modernisirung entgegengehe. Nicht die Offiziere, wohl aber die Mannschaft beklagte sich häufig über den Mantel. Denn im Sommer ist er zu warm und im Winter schützt er nicht genügend vor Kälte. Dem soll nun durch ein auf- und ab knöpfbares Futter abgeholfen werden. Im Sommer soll das Mantelfutter im Kompagniemagazin hinter legt bleiben, so daß die Mannschaft in der warmen Jahreszeit nur einen leichten Mantel zu tragen hat. Bei Eintritt der rauhen Jahreszeit wird das Mantel futter ausgegeben; dasselbe ist bedeutend stärker und wärmer als das bisherige leichte Futter. Es sind noch die Wahrnehmungen bei den jetzigen großen Manöver« ausständig. Die seit nahezu einem Jahre bei der Truppe gemachten Erfahrungen stellen sich, wie es heißt, sehr günstig für die Annahme des auf- und abknöpfbaren Futters. — Der Tod Emin Paschas wird nun min destens zum zehnten Male scheinbar unzweifelhaft durch Mittheilungen des englischen Missionars Sman bestätigt. Die Angaben des Missionars stimmen genau mit denen des Majors v. Wißmann überein, und das ist erklärlich, denn der Missionar ist aus denselben Gegenden gekommen, in denen sich Wißmann aufhält. Mr. Swan gehört nämlich zu jenen englischen Missio naren, welche vor etwa drei Jahren nach Katanga gingen und unter Msiris Herrschaft sich dort festsetzten; die Missionare verlangten damals die Einverleibung von Katanga in das britische Nyassagebiet; aus den Einspruch de« Kongostaates unterblieb jedoch die Aus führung. Missionar Swan wiederholt ebenso wie Major v. Wißmann die Geschichte, die am 9. Mai 1892 am Jturi vorgegangen sein sollte, worin schon der arabische Führer Said bin Abed vorkam; neu ist hieran nur der Zusatz , daß Emin Pascha und seine Leute von ihren Besiegern aufgezehrt worden sein sollen. Vor einem Jahre kam zum ersten Male die Meldung von Emins Tode durch Said bin Abed zu uns, seitdem hat sie sich nach dem Süden Zentral afrikas verbreitet und kommt von Nyaffa nochmals hierher. Neu und bemerkenswerth ist die Angabe Swans, daß nach Udschidschi, dem arabischen Handels platz am Ostufer des Tanganika, die Anfrage gelangt sei, was mit Emins Sachen geschehen solle. Das ist das Thatsächlichste an allen bisherigen Meldungen über die Frage. Doch fehlt leider die nähere Mittheilung, von wem die Anfrage ausgegangen sein soll, an wen sie gerichtet ist, von welchem Ort sie kam und aus welcher Zeit. Wenn wir im Herbste 1892 schon Nach richten über Emins Tod in Europa hatten, so hätten sie schon viel früher in Udschidschi bekannt gewesen sein müssen. Da seitdem schon zahlreiche Karawanen vom Tanganika zur Küste gekommen sind und schon viele Reisende von Udschidschi dort eintrafen (z. B. vr. Baumann kam von Tanganika), so ist es ausfällig, daß wir nicht früher hiervon erfuhren. Kiel. Die englische Jacht „Insekt", die von den beiden angeblich französischen Spionen benutzt worden war, wurde polizeilich frcigegeben und hat am 7. Sept, die Rückreise nach Cowes angetreten. Die beiden Franzosen sind zur Feststellung ihrer Persönlichkeit auf Anordnung des Gerichts photographirt worden. Saßnitz. In Folge Kenterns eines Bootes des Torpedoschulschiffes „Blücher" sind 3 Matrosen am 7. September ertrunken. Das Schiff fuhr mit den Leichen an Bord nach Kiel. Mainz. Das Kreisamt macht bekannt, das Rhein wasser sei als verseucht zu betrachten; die Bade anstalten sind in Folge dessen geschlossen, das Straßen gießen mit Nheinwasser untersagt und die Waschbrücken sind entfernt worden. Elsaß-Lothringen. In einem Trinkspruch bei der Festtafel für die Civilbehörden am 6. September in Metz sprach der Kaiser den Lothringern den herz lichsten Dank für die warme, freundliche Aufnahme aus. Er ersehe aus den Ovationen der Metzer und der Landbevölkerung, daß sich Lothringen im Reichs- verbande wohl fühle und Verständniß für die Größe des Reiches habe. Lothringens Stellung im Reiche habe gewonnen. Ihm sei entgegengeklungen: „Wir Lothringer sind loyal und konservativ, wir erstreben den Frieden, um zu arbeiten, unser Feld zu bebauen und die Früchte unserer Arbeit ungestört genießen zu können." Zum Beweise, daß ihm dies Alles am Herzen liege, habe er sich unter ihnen ein Heim ge gründet, und sie möchten daraus die Versicherung ent nehmen, daß sie ungestört ihrem Erwerbe nachgehen könnten. Der Kaiser schloß: „Das geeinte deutsche Reich sichert Ihnen den Frieden, deutsch sind Sie und werden Sie bleiben, dazu helfe uns Gott und unser deutsches Schwert. Ich trinke auf das Wohl der Neichslande, der treuen Lothringer. Sie leben drei Mal Hoch!" -- Die Haltung der Lothringer beim Besuch; des Kaisers in Metz bespricht ein Bericht des Pariser „Figaro". Der Verfasser bemüht sich nach Möglich keit hervorzuheben, daß in den Begrüßungsartikeln der französisch gesinnten Metzer Blätter diese Gesinnung durchgeschienen, daß manche Kundgebungen nur den Werth äußerlicher Veranstaltungen gehabt u. s. w. Aber er kann nicht umhin, zuzugestehen, daß das Schauspiel ihm Eindruck gemacht hat, daß kein un angenehmer Zwischenfall vorgekommen, daß die Be völkerung aus Stadt und Land massenhaft herbei geströmt, (was „trauernde Patrioten" doch nicht zu thun pflegen!) und er schließt seinen Bericht: „Ich werde Ihnen das Ergebniß der Beobachtungen über senden, welche ich in den französischen Ortschaften ge sammelt und welche die Moral des kaiserlichen Be suches in Metz sind. Das ist merkwürdig, belehrend und nicht lustig." Also erfreut scheint der französische Beobachter von seinen Wahrnehmungen nicht zu sein. Das genügt uns. Der Berichterstatter des „Matin" geht sogar noch weiter; er findet, daß in der Ge sinnung der Bevölkerung der Reichslande ein großer Wandel zu Gunsten Deutschlands vorgegangen ist; Lothringen habe bereits zu lange auf die Befreiung durch Frankreich gewartet. Die Kinder der im Jahre 1870 wieder zu Deutschland geschlagenen Bevölkerung seien bereits Ralliirtc (Versöhnte). Frankreich. Mit einer merkwürdigen Zähigkeit erhalten sich die ungünstigen Gerüchte über den an- geblich bedenklich erschütterten Gesundheitszustand des Präsidenten Carnot, ja, am Dienstag war in Paris sogar die Nachricht vom Tode Carnot's verbreitet. Die Unwahrheit dieser aufregenden Gerüchte wurde aber noch am genannten Tage dadurch erwiesen, daß Herr Carnot in seiner Sommerfrische Fontainebleau wohl und gesund einem Ministerrathe präsidirte. In politischen Kreisen von Varis muthmaßt man, eS handle sich bei den falschen Mittheilungen über Carnot um ein wohlorganisirteS Manöver, dem Constans nicht fernstehen und welches bezwecken soll, das französische Staatsoberhaupt zur Demission zu veranlassen. Poli zeilicherseits ist bereits eine Untersuchung in Sachen der über den Präsidenten verbreiteten Todesnachricht eingeleitet worden, außerdem hat der Minister des Innern ein Rundtelegramm an sämmtliche Präfekten gerichtet, welches das ausgezeichnete Befinden Carnot's feststellt. Frankreich. Der Besuch der russsichen Flotte in Toulon beginnt die Leute bereits wirbelig zu machen. Für alle Zeitungen steht es natürlich fest, daß die amt liche Anzeige dieses Besuches absichtlich auf den Zeit punkt verschoben wurde, wo Kaiser Wilhelm sich an schickte, den Boden Lothringens zu betreten. Diese Anzeige sei die Antwort auf die Entsendung des italienischen Thronfolgers zu den deutschen Manövern. „Es ist unmöglich", schreibt der „Figaro", „daß Europa nicht begreife, daß Rußland, wenn es bereit ist, durch Flottenmanöver auf Garnisonsmanöver zu antworten, nicht auch bereit wäre, durch eine Mobili- sirung auf eine Mobilisirung zu antworten." Darum besitze der Flottenbesuch in Toulon eine so ungeheure politische Bedeutung und Frankreich werde dieser That- sache durch einen enthusiastischen Empfang seiner Ver bündeten den nothwendigen Nachdruck zu geben wissen. Der diese zuversichtliche Sprache führt, ist dersetbe „Figaro", der vor ein paar Monaten die Frage an Rußland gerichtet Hal: ^lianoo ou siirt? was damals in Deutschland so schnöde übersetzt wurde: „heirathen oder poussiren?" In Deutschland wird man weder den zu gewärtigenden Festlärm in Toulon, noch die prahlerischen Redensarten der französischen Presse über das „Ereigniß" des 13. September sonderlich tragisch nehmen. Wessen Deutschland sich von Franzosen und Russen zu versehen hat, weiß man nicht erst seit gestern, aber auch das weiß man, daß es von den bösen Gedanken unserer Nachbarn in West und Ost bis zu Thaten denn doch noch ein weiter Weg ist. In London scheint man etwas nervöser zu sein, vielleicht unter dem Eindrücke der üblen Wendung, welche die siamesischen Dinge in Folge der Schwäche und Matt herzigkeit der englischen Diplomatie genommen haben. Anläßlich der amtliche» Meldung, das russische Ge schwader werde nach Toulon kommen, um den Besuch der französischen Flotte in Kronstadt zu erwidern, schreibt der Londoner „Standard", ein Bündniß zwischen dem republikanischen Frankreich und dem autokratischen Rußland sei so ungeheuerlich und un natürlich, daß die benachbarten Nationen nicht getadelt werden können, wenn sie ihm die bedenklichste Deutung beilegen. Frankreich sei stark aber unzufrieden, seine Unzufriedenheit verursache seinen Nachbarn ernste Ausgaben und Besorgnisse. Dänemark. In Schloß Fredensborg, der Som- mervilleggiatur der dänischen Königsfamilie und deren fürstlichen Gäste, ist der Todesengel eingekehrt. Da selbst starb am Dienstag Abend Prinz Wilhelm von Dänemark, der Bruder des König Christian, nach kurzem Leiden; das dänische Königspaar und die rus sischen Majestäten waren am Sterbelager anwesend. Eine besondere Bedeutung besitzt das Ereigniß indeß nicht, da Prinz Wilhelm keine größere politische Rolle gespielt hat. Rußland. Die russische Grenzwache, bei deren Reform im Jahre 1889 die Absicht bestand, sie auch für Kriegszwecke brauchbar zu machen, wird vom ehe maligen Kommandanten der Grajewo'schen Grenz brigade, Obersten Schewitsch, in der „Birshewaja Wjedomosti" für eine gänzlich veraltete und völlig untaugliche Institution erklärt. Von 36 Kommandanten nebst ihren Gehilfen, den Abtheilungskommandanten und Brigade-Offizieren, kenne fast keiner den Kavallerie dienst. Die Grenzsoldaten besäßen ganz unbrauch bare Pferde. Von 5767 Pferden, die 1890 verzeichnet wurden, waren 1001 untauglich; außerdem fehlten 450, obwohl 1889 ein Kredit zur Kompletirung er öffnet war und Fouragegelder alljährlich für den vollen Bestand gezahlt wurden. Ebenso wurden die Pferde kläglich gefüttert. Die für Erneuerung der Grenz pfähle ausgesetzten Summen werden anderweitig ver wendet, so daß der Uebergang von Landstücken russi schen Territoriums in die Hände des Nachbars gar nicht selten sei. Der Bericht scheint darauf berechnet zu sein, auf den Uebergang der Grenzwache unter die Leitung des Kriegsministeriums hinzuwirken. Rußland. In Moskau soll eine neue große Verschwörung von Nihilisten gegen den Zaren ent deckt worden sein. Angeblich sind 85 in die Affaire verwickelte Studenten, ferner 8 Professoren und sogar 5 Damen der Aristokratie verhaftet worden. England. Die Ueberreichung der vom Unterhause in der Nachr auf Sonnabend genehmigten Homerule- bill an die Lords schildert der „Daily Graphic" in