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Wkikrih-ZeitiW. Beilage zu Nr. 77. Dienstag, den 4. Juli 1893. 59. Jahrgang. Die Krifis in den deutsch-russischen Handelsvertrags-Unterhandlungen. Obwohl die Gerüchte der letzten Tage über das angeblich bereits endgiltig erfolgte Scheitern der seit Jahr und Tag zwischen Deutschland und Rußland schwebenden Handelsvertrags: Unterhandlungen und über einen infolgedessen unvermeidlich gewordenen bal digen Zollkrieg zwischen beiden Reichen wohl noch ver früht sind, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die Aussichten auf eine handelspolitische Verständigung Deutschlands mit Rußland fast aus Null reduzirt sind. Diese kritische Wendung muß dem überraschenden Schritte zugeschrieben werden, den Rußland in seiner Zollpolitik soeben durch Aufstellung eines Minimal- nnd eines MaximaltarisSs— nach berühmtem französischen Muster! — gethan hat, eine Maßnahme, die sich in erster Linie unzweifelhaft gegen Deutschland richtet. Es geht dies daraus hervor, weil der neue russische Maximalzoll tarif Zollerhöhungen aufweist, welche für die spezifisch chemische Industrie, für die Eisen- und Maschinenfabri kation, für die Baumwoll- und Wollwaarenindustrie und noch verschiedene andere Industriezweige Deutsch lands, die für ihre Erzeugnisse in Rußland noch immer ein beachtenswerlheS Absatzgebiet fanden, nahezu eine Verhinderung ihrer ferneren Einfuhr nach Rußland bedeuten. Angesichts des Umstandes, daß die in Peters burg auf die jüngsten Zolloorschläge Rußlands einge gangene' Antwort Deutschlands die letzteren als unge nügend bezeichnet, gegenüber den weitgehenden deutschen Gegenkonzessioneu, gewinnt das Auftreten Rußlands mit dem Maximalzolltarif allerdings den Charakter einer Drohung gegen Deutschland. Dieser Charakter tritt um so schärfer hervor, als Deutschland seinen bisherigen Zolltarif Rußland gegenüber in keiner Weise erhöht und daher auch keine Veranlassung zu einem Vorgehen gegeben hat, wie es jetzt russischerseits beab sichtigt wird. Ja, die angekündigte neue zollpolitische Maßnahme Rußlands, von der Deutschland betroffen werden würde, erhält dadurch noch einen besonders gehässigen Zug, daß gerade jetzt der die Einfuhr einer Anzahl französischer Produkte nach Rußland begünstigende französisch-russische Spezialvertrag abgeschlossen worden ist. Jedenfalls können die geplanten russischen Zoll erhöhungen nach der ganzen Sachlage nicht als Repres salien gegenüber Deutschland bezeichnet werden, sie erscheinen vielmehr als ein direkter Angriff Rußlands auf seinen deutschen Nachbar auf wirthschastlichem Gebiete. Einer solchen Brutalität gegenüber giebt es für die deutsche Regierung kein schwächliches Zurück weichen, sie muß den hingeworfenen Fehdehandschuh entschlossen ausheben; daß sie hierbei auf die kräftigste Unterstützung des neuen Reichstages zählen dürfte, ist bei der Abneigung der Mehrheit der neugewäylten Volksvertreter gegen handelspolitische Abmachungen mit Rußland gewiß. Sicherlich aber stünden Deutsch land genug Waffen zur Verfügung, um dem beab sichtigten wirthschaftspolitischen Vorstoß des Czaren- reiches zurückzuweisen. Eine besonders wirksame Hand habe würde § 6 des deutschen ZolllarisSgesetzes vom IS. Juli 1879 darbieten, welcher die Möglichkeit ge währt, Retorsionsmaßregeln gegen Rußland anzuwenden und die Zölle aus alle russischen Maaren bei der Ein fuhr nach Deutschland um SO Prozent zu erhöhen. Außerdem besitzt aber das deutsche Reich in seinen mit Oesterreich-Ungarn, Italien u. s. w. abgeschlossenen Handelsverträgen und in den noch laufenden Meist- begünstigungsverlrägen mit anderen Staaten einen ge nügend festen Rückhalt, um den handelspolitischen Drohungen des russischen Kolosses mit Ruhe entgegen setzen zu können. Gewiß würde ein Zollkrieg mit Rußland in den industriellen Kreisen Deutschlands schwer genug empfunden werden, was sich schon daran ermessen läßt, daß der Werth der deutschen Ausfuhr nach Rußland im Jahre 189 t die beträchtliche Höhe von 262 Millionen Mark aufwies, welche Ziffer sich bei einem deutsch-russischen Zollkriege selbstverständlich gewaltig herabmindern würde. Aber auch Rußland hätte unter einem solchen Verhältnisse ganz bedeutend zu leiden, mag man sich hierüber auch in den maß gebenden Petersburger Kreisen noch in gewissen Jllus- stonen wiegen, ja, schließlich würde das Czarenreich von einem Zollkriege gegen Deutschland noch größere Nachtheile haben, als sein Widerpart. Auf alle Fälle ist für Deutschland bet einer definitiven Weigerung Rußlands, dem deutschen Nachbarreiche erheblichere Zollermäßigungest zuzugestehen, ein zeitweiliger Zoll krieg einer faulen und für Deutschland nachtheiligen zollpolitischen Abmachung noch immer vorzuziehen. Wenn die deutschen Grenzen nur mehrere Monate lang hauptsächlich gegen das russische Getreide herme tisch abgeschlossen sein werden, so wird man in Ruß land die Wirkungen eines derartigen Zustandes dann schon spüren! Sächsisches. Oschatz. In einer am 28. Juni unter Leitung des Negierungsrathes vr. Gilbert von der Kreishaupt- mannschast Leipzig abgehaltenen gemeinschaftlichen Sitzung der hiesigen städtischen Kollegien, in welcher die verschiedenen Ansichten des Nathes und der Mehr heit der Stadtverordneten über den bevorstehenden Krankenhausbau ausgeglichen werden sollten, ist es leider nicht gelungen, eine Einigung herbeizuführen. Die Mehrheit der Stadtverordneten blieb auf ihrem früheren Beschlüsse, ein Krankenhaus mit feststehendem Jsolirhause zu erbauen und durch Ausschreibung des Baues neue Pläne zu bewirken, stehen. Auch ein Vermittelungsoorschlag des Stadlverordnetenvorstehers Rechtsanwalt Pernitzsch wurde mit 11 gegen 5 Stim men abgelehnt. Der Vorschlag lautete: Die Stadt verordneten stimmen dem Plane des StadtratheS unter der Bedingung zu, daß 1. die Wirthschastsräume, in klusive Wohnung des Verwalters, in ein Nebengebäude oder in einen Anbau verlegt werden, 2. der Ausbau des Daches in der Vorderfront zunächst unterbleibt, 3. gleichzeitig mit dem Bau die Anschaffung und Ausstellung einer zerlegbaren Baracke mit etwa 12 Betten erfolgt und 4. der Bau inklusive Einrichtung die Summe von 130000 Mk. nicht übersteigt. Der Sitzung wohnte auch der medizinische Beirath der Kreishauptmannschast zu Leipzig, Professor vr. Hof mann, bei. Auch die Ausführungen dieses Fachmannes konnten die Mehrheit der Stadtverordneten nicht be stimmen, von ihrem Beschlüsse abzuweichen. Die Ent scheidung liegt nunmehr bei der Kreishauptmannschast und dem Kreisausschuffe. Meerane. Die königl. Sächsische Eisenbahnver waltung Hal an den hiesigen Rath die Anfrage er gehen lassen, ob die Anbringung eines Lichtschachtes auf Kosten der Stadtgemeinde in dem zu verlängernden Bahnhofstunnel gewünscht werde. Da die Kosten hierfür 800—1000 Mk. betragen werden, hat der Rath von der Anbringung eines Lichtschachtes abzu sehen beschlossen. Das Stadtverordneten Kollegium stimmte diesem Nathsbeschlusse zu. Wenn auch die Nothwendigkeit der Anbringung eines Lichtschachtes in dem Tunnel allenthalben anerkannt wird, so hält man den Kostenaufwand hierfür, in Anbetracht, daß es sich um einen Privatweg handelt, der jederzeit vom Be sitzer geschloffen werden kann, für zu hoch und hofft, auf billigere Weise (durch Ausstellung von Gaslater nen) die Dunkelheit in dem Tunnel einigermaßen zu beseitigen. Zwickau. Ohne Rücksicht auf die noch schweben den Verhandlungen mit der Regierung wegen des Baues einer elektrischen Straßenbahn gehen die Vorarbeiten für die Errichtung des Zwickauer Elektrizitätswerkes für Lieferung elektrischen Stromes zu Beleuchlungszwecken und Krastabgaben für Arbeits leistung ihren Lauf. DaS Konsortium Schubert u. Co. in Nürnberg und Leo Arnoldi in Mainz gedenkt, das Zwickauer Elektrizitätswerk Anfang November d. I. in Betrieb zu setzen, und ist bereits mit den Strom abnehmern wegen der Ausführung der Anschlüffe, Her stellung dec elektrischen Hauseinrichtungen u. s. w. ins Vernehmen getreten. Au» dem oberen Bogtlande. Der Futtermangel, der sich hier ganz besonders fühlbar macht, hat die Landwirthe veranlaßt, die Milch preise zu erhöhen. Die Butterpreise sind hier ohnehin meist hoch und schon in der letzten Zeit auffallend gestiegen. Für das Liter Sahne werden von jetzt ab 60, für gute Milch 18 und für abgerahmte Milch 6 Pfg. verlangt. Natür lich gelten die Preise nur für solche Kunden, die ihren Bedarf direkt von den Bauern holen; die Milchhändler fordern wenigstens 10 Prozent mehr. Annaberg. In allen Kreisen unserer Stadt wird bereits lebhaft die Frage der Einquartirung, welche uns anläßlich der diesjährigen Herbstmanöver bevor steht, diskutirt. Der hiesige Stadtrath ist über die Zahl der hier zu verquartirenven Truppen noch nicht in Kenutniß gesetzt worden, indessen darf man wohl mit Recht annehmen, daß unsere Stadt in der Zeit um Anfang September mit etwa 1SOO—-2000 Sol daten belegt werden wird. Vermischtes. Leipziger Johannisfest vor hundert Jahren. Vor hundert Jahren wäre in Leipzig am Johannistage säst ein Volksausstand ausgebrochen, weil der Rath das .Johannis männchen" abschaffen wollte. Schützte doch dieses nach der Meinung der Menge die Stadt vor Feuer, Waffersnoth und Theuerung. Dieses noch heute vorhandene Männchen ist ein hölzernes Bild des heiligen Johannes, das vor undenklichen Zeiten in der Johanniskirche gestanden hat. Es wurde jeden Johannistag mit Blumen und Zweigen geschmückt im Hose des Johannishospitals aufgestellt und die ganze Stadt lief hinaus, um es zu sehen und ihm zu Ehren die Predigt zu hören, Kaffee zu trinken, Kuchen zu essen, zu tanzen und zu springen. Im Jahre 1743 befahl der Rath dem .Spittel pachter", das Johannismännchen nicht mehr aufzustellen, und darüber gerieth Alles in die größte Aufregung. Der gemeine Mann sah schon Unglück deshalb über die Stadt kommen. Es hals nichts, der Rath mußte den Leipzigern ihr Johannis männchen wiedergeben. Als im Jahre 1832 der Johannis tag aus der Reihe der Festtage gestrichen wurde, lag zu dessen Erhaltung aus dem Polizeiamte eine Petition an das Ministerium aus, die über 21 OSO Unterschriften sand. Sie blieb ohne Erfolg, und nun schufen die Leipziger au« dem Johannistage ihren Festtag für die Todten. Merkwürdig ist, daß vor etwa 15 Jahren, wo man das JohanniSmännchen aus Vergeßlichkeit auszustellen versäumt hatte, das Publikum so demonstrativ austrat, daß das Johannismännchen alsbald herbeigeholt und an seinen alten Platz gebracht werden mußte, wo milde Hände es sogleich mit Blumenschmuck versahen. Unfreiwillige Komik. Aus dem .Album unfrei williger Komik" (Berlin, Richard Eckstein Nachfolger, Hammer L Runge): Der k. Oberbau-Inspektor M. zu G., der jüngst das Unglück hatte, beim Betreten des russischen Bodens sür einen Spion gehalten und verhaftet zu werden, ist in gleicher Eigenschaft an die königl. Regierung zu Br. versetzt worden. (.Laub. Ztg.") — Die Königin von Dänemark ist die Schwiegermutter von halb Europa und Asien. (.Br. Mgztg.") — Hunde, welche ohne Beißkorb auf den Straßen werden betroffen werden, werden, außer wenn sie von ihren Besitzern an der Leine gesührt werden, weggcsangen werden und die Besitzer mit einer Geldstrafe bis zu 150 M. bestraft werden. („Fr. Amtsbl.") — Heute Abend gelangte rin neues Samoa- Adreßbuch zur Vertheilung. .Karlsb. Bdbl.") — Die Ge neralversammlung der Rindviehsterbekaffe findet den 7. Juli statt. Um zahlreichen Besuch der Versicherten ladet ein der Vorstand. (.Hellw. Anz.") Dresdner Produktenbörse vom 30. Juni. An der Börse: 142-146 Weizen, pro 1000 kg netto: Wcißweizen . . >66—168 Brauweizen,Ld., neu 163—166 Weibweizen, Pos.. 168—172 Ruff. Weizen, rothcr — Rogge», sächs.. . 142-146 do. fremder . . — Berste, sächsische . 150-158 do. böhm. u.mähr. 158—168 Futtergerste. . . 115—125 Hafer, sächs. . . 174—182 Mais, Einqnantine 128—132 do. rnmänischcr n. , beffarabischer 120—124 do. ainerik., mired -— Erbsen pro 1000 kg netto: weiße Kochwaare . 170—180 Futlerwaare . . 136—150 Bohnen, pro 1000kg Wicken, pro 1000 kg 150—156 Buchweizen, pro 1M0 kg netto: inländ. n. fremder Oelfaate» pro 1000 kg netto: Winterraps, sächs. - Winterrübse», neuer — Leinsaat, feinste . 243 - 250 do. seine . 228-245 do. mittlere. 215 -230 Niiböl pro 100 kg netto (mit Faß): rasstnirl . 56,00 Spiritus. . Rapskuchen pro IM kg netto: lange .... 14,00 runde . . . 13,00 Leinkuchen, einmal gepreßte . . . 19,M bo. zweimal gepr. 18,00 Malz pro IM kg brutto (ohne Sack) .... 23-26 Kleesaat pro IM kg Brutto (mit Sack) rolhe do. weiße . . do. schwedische vv. . . Thymothee, sächs.. Weizenmehl pro IM kg netto: KaiseranSzug . . 32.00 Gricslerauszug. . . 29,50 Semmelmehl . . 27,50 Bäckermundmehl . . 25,50 Brieslermundmehl . 19,M Pohlmehl .... 16,50 Roqgcnmehl Nr. 0 . 24,50 do. Nr. 0/1 . 23.50 do. Nr. 1 . 22,50 do. Nr. 2 . 18,50 do. Nr. 3 . 17,00 Futtermehl . . . 12,40 Weizenkleie, grobe. . 9,80 do. seine . . 9,80 Roggeukleie .... 11,60 57,25 37,50. Aus dem Markte: Haser (KI) . . 8,80—9,10 j Heu pro (!tr. . 7,00—8,00 Kartoffeln (Otr.) 2,60—3,00 SlrohproSchock 38,00- 40,00 Butter (kg, . 2,20-2,70 j